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Strittmatters Liebesbriefe

Die frühe Korrespondenz des Dichterpaares zeigt viel Gefühl - und einen Haufen Konflikte.

Von Karin Großmann
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"Kein Leben ohne Dich": Eva und Erwin Strittmatter in den Fünfzigerjahren.
"Kein Leben ohne Dich": Eva und Erwin Strittmatter in den Fünfzigerjahren. © Arte

Er nennt sie sein Goldkind, seine Süßtaube und herzliebe Mädchenfrau. Sie nennt ihn Lubko Liebherz oder: hochverehrter Herr Heumacher. Als sie sich kennenlernen, ist er 39, zweimal verheiratet, vierfacher Vater und nach dem Dorfroman „Ochsenkutscher“ in der DDR ein geachteter Autor. Sie ist 22, Germanistin, Mitarbeiterin im Schriftstellerverband, verheiratet und Mutter eines kleinen Jungen. Die Gewichte sind ungleich verteilt. Dennoch beginnt in jenem Februar des Jahres 1952 eine Liebe, die den Beteiligten außerordentlich erscheint. Ihnen ist, als müsste die ganze Welt mitfeiern bei diesem Fest. Einer fühlt sich vom anderen bis in den letzten Herzwinkel verstanden: „Du bist mein zweites Ich“. So heißt das Buch mit der frühen Korrespondenz zwischen Eva und Erwin Strittmatter. Es kommt an diesem Wochenende heraus.

Die Briefe spiegeln nicht nur die private Beziehung des Literatenpaares, sondern zugleich ein Stück Zeitgeschichte. Auch etwas Klatsch ist dabei.

Gleich der erste Brief vom 26. Februar 1952 schlägt den Ton an. Nach einer Autorentagung in Potsdam sind beide sich nähergekommen, und nun fragt Erwin Strittmatter: Meint sie das ernst? Darf er ihr seine Nähe antragen? Oder verrät er damit schon mehr, als gut ist? Hochgestimmtheit wechselt mit Misstrauen. So geht es viele Postautos lang hin und her. Erwin Strittmatter folgt seinen Stimmungen. Er ist beherrscht vom „Gefühlsspalterteufel“. Er schickt leidenschaftliche Liebesschwüre. „Mein Inneres ist ein großes Geschrei nach Dir.“ Und: „Du machst einen Vulkan aus mir.“ Er könne sich nicht sattsehen an ihrem Puppennäschen. „Wie schön Du warst, als Du auf meinem Bettrand saßest.“

Alles dreht sich ums Werk

Doch er ist nicht nur groß im Lieben, sondern auch im Zorn. Er wirft Eva vor, sie sei faul und tue alles nur halb. Als sie schwanger wird, drängt er auf Abtreibung. Als sie ein Kinderbuch beginnt, warnt er, das werde „ein Dreck“ sein und vom Volk nicht gelesen werden. Denn sie rede bloß über Natur, ohne auch nur ein Unkraut zu zupfen. In schwarzen Stunden zieht er sich schmollend auf die „Reserve-Inselchen“ seines Gefühls zurück.

Es ist aus heutiger Sicht erstaunlich, was Eva Strittmatter aushält. In den Fünfzigerjahren lebt sie noch die alten Rollenmuster, verzichtet auf eine eigene Karriere und betet an. Er möge führen, sie würde folgen. „Deine Tage sollen leuchten durch mich.“ Er notiert, was er von ihr erwartet: Optimismus, Wärme und Liebesstrahlen. Sie möge ihm Mutter und Tochter sein, Mitarbeiterin und Gespielin. In ihrem letzten Brief des Bandes heißt es am 19. Juni 1958: „Ich verlang gar nix.“ Heimlich hat sie mit Gedichten begonnen. Sie wird die auflagenstärkste Lyrikerin der DDR. 

Davon ist hier nicht die Rede. Es ist eine herzergreifende Korrespondenz und eine entlarvende. Schon in den veröffentlichten Tagebuch-Bänden war Erwin Strittmatter als ein Mann zu erleben, dem sich alles unterzuordnen hatte. Seine Söhne gingen auf Zehenspitzen umher. Ängstlich versuchten sie, die Laune des Vaters abzuschätzen, bevor am Mittagstisch der Schuss fiel. So erinnert sich Erwin Berner, der älteste der drei gemeinsamen Jungs und mit Ingrid Kirschey-Feix Herausgeber der 163 Briefe.

Auch in diesen frühen Briefen bezieht der Schriftsteller Strittmatter alles auf sich und sein Werk – als sei die Liebe nur Mittel zum Zweck. „Dein Wesen ist für mich ein Feuer, durch das ich gehe, um das Mögliche zu werden“, schreibt er an seine spätere Frau Eva, und sie antwortet: „Deine Arbeit wird immer Quelle unserer Liebe sein.“

Umzug auf den Schulzenhof

In dieser Zeit entsteht das Stück „Katzgraben“ für das Berliner Ensemble. Auf Vermittlung von Bertolt Brecht erhält Erwin Strittmatter dafür den Nationalpreis der DDR 3. Klasse. Das Preisgeld von 25 000 Mark investiert er 1954 in ein Gehöft in Brandenburg. Zwei Tage vor der Abreise zu einem internationalen Schriftstellerkongress in Amsterdam macht Erwin den Kauf von Schulzenhof perfekt. Eva muss aus Berlin kommen, den Kinderwagen durch den Wald schieben und sich um eine Ziege, eine Glucke und zwanzig Küken kümmern. Die Menagerie wächst ständig weiter. Mitunter gehören dreißig Ponys zum Hof. Erwin Strittmatter ist als Züchter von Araberhengsten republikweit anerkannt.


Mit Tinko erfand Erwin Strittmatter einen Bestsellerhelden der DDR. 
Mit Tinko erfand Erwin Strittmatter einen Bestsellerhelden der DDR.  © Kinderbuchverlag


Die Briefe zeigen, wie sehr sein dörfliches Gemüt das Landleben braucht, wie tief er mit der Erde verwurzelt ist. Stolz berichtet er nun, wie er Mist zu den Erdbeerbeeten karrt. In den Morgenstunden schreibt er an „Tinko“, es wird eines der beliebtesten Jugendbücher der DDR. Tinko wird als Vorname zugelassen. In Schulzenhof beginnt Strittmatter die „Wundertäter“-Trilogie und schreibt „Pony Pedro“. Das Kinderbuch lässt sich auch als Satire auf das Künstlerdasein lesen. Nur wenn das Pferdchen die geforderten Kunststücke zeigt, bekommt es Futter.

Eva Strittmatters Schreibtisch steht in dieser Zeit in der Stalinallee. Aus dem Kontingent des Schriftstellerverbandes erhielt die Familie eine Vierraumwohnung, die sie später gegen eine kleinere tauscht. Der Magistrat erlaubt den Zuzug von Erwin Strittmatter aus Spremberg nach Berlin. Dort verfolgt er den Aufstand vom 17. Juni 1953 und meint: „Unzufriedene Arbeiter kann es nur geben, wenn Partei und Regierung nicht gut gearbeitet haben.“

Doppelter Aufbruch

Noch aber glauben Eva und Erwin Strittmatter an den Sieg des Neuen. Darin sind sie sich einig. Sonst würde es nicht gehen, schreibt er. „Beide wollen wir uns aneinander erhöhen, um das Bestmögliche für die Gesellschaft und ihre Zukunft geben zu können.“ Der doppelte Aufbruch im Privaten und Politischen verführt wohl zum Pathos. Als Zeitzeuge und Verbündeter tritt neben anderen Boris Djacenko auf. Er wagte es in den Fünfzigerjahren, die Vergewaltigungen deutscher Frauen durch sowjetische Soldaten zu thematisieren.

Eine Nebenrolle spielt Erich Loest. Amüsiert berichtet Strittmatter von einer Ungarnreise, wie der Leipziger Kollege abends ausreißt zum Tanzen, jedem Rock nachjagt und säuft wie ein Loch. Er habe den Frauen früher selber „Äugelchen“ gemacht. Nun aber nicht mehr. Auch das wird sich ändern. Trotz allem bleiben Eva und Erwin Strittmatter fast 38 Jahre lang beieinander. Er stirbt 1994, sie 2011. An einigen Tagen im Jahr öffnet Sohn Jakob den Schulzenhof zur Besichtigung.

Eva und Erwin Strittmatter: Du bist mein zweites Ich. Aufbau-Verlag, 377 S., 24 Euro 

Strittmattersohn und Herausgeber Erwin Berner liest am 21. Februar, 18 Uhr, in der Bibliothek Dresden-Leubnitz.