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Putin entmachtet seinen Stabschef

Sergej Iwanow war lange Jahre ein Weggefährte von Kremlchef Wladimir Putin und galt als möglicher Kronprinz. Doch kurz vor der Parlamentswahl ordnet Putin die russische Führung neu.

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© dpa

Moskau. Diese Art von Personalpolitik liebt Wladimir Putin. In einem spektakulären Schritt entlässt der Kremlchef ohne vorherige Anzeichen seinen langjährigen Vertrauten Sergej Iwanow als Leiter des Präsidialamts. „Ich habe Verständnis für Ihren Wunsch, nach mehr als vier Jahren etwas anderes zu machen“, sagt Putin bei einem Treffen mit Iwanow im Kreml. Und vor laufenden Kameras ernennt Putin den Mann, der die Außenpolitik der Atommacht Russland rund 15 Jahre lang mitgeprägt hat, zum Sonderbeauftragten für Umwelt und Verkehr. Es ist eine Degradierung, die Schockwellen aussendet in Russlands Politik.

„Wenn Iwanow nicht mehr sicher ist - wer dann?“, schreibt ein Kommentator im Internet. Der Ex-Verteidigungsminister ist wie Putin ein Mann aus den Reihen des Sowjet-Geheimdienstes KGB und mit allen Wassern gewaschen. „Sergej Iwanow war der sowjetische James Bond. Der Offizier eines verschwundenen Imperiums, der diesem die Treue hält und bereit ist, dafür zu kämpfen“, meint der Publizist Michail Sygar.

Die populäre These von Iwanow als Putins möglichem Erben scheint damit über den Haufen geworfen. Wie so oft in seiner Amtszeit gelingt es dem Präsidenten, Erwartungshaltungen zu durchkreuzen. Putins Politknaller dürfte auch andere Schwergewichte ins Schwitzen bringen: „Wer ist der Nächste?“

Hartnäckig halten sich Gerüchte über eine mögliche Ablösung von Regierungschef Dmitri Medwedew, sollte die Kreml-Partei Geeintes Russland bei der Parlamentswahl am 18. September schlecht abschneiden. Der Kreml tut dies als „Kampagne“ ab.

Medwedew steht wegen missglückter öffentlicher Auftritte in der Kritik. So riet er Lehrern, die über niedrige Gehälter klagten: „Wenn Sie Geld verdienen wollen, gehen Sie in die Wirtschaft.“ Eine Online-Petition zur Entlassung von Medwedew unterzeichneten innerhalb einer Woche mehr als 250 000 Menschen.

Auch andere langjährige Vertraute verlieren ihre Nähe zu Putin. Eisenbahn-Chef Wladimir Jakunin musste im vergangenen Jahr gehen. Igor Setschin, Ex-Geheimdienstler und Chef des staatlichen Ölgiganten Rosneft, kommt bei der Privatisierung der Firma Baschneft nicht so zum Zug, wie er will. Ein Freund von Putin zu sein verliere an Bedeutung, schreibt der Experte Andrej Koljadin.

Iwanows Entlassung kommt in einer turbulenten Zeit für Russland. Selten war der außenpolitische Druck auf die UN-Vetomacht so massiv. Mit seiner Ukraine- und Syrien-Politik liegt Moskau mit dem Westen massiv über Kreuz. Iwanow steht als einer von vielen kremltreuen Politikern seit der Krimkrise 2014 auf der Sanktionsliste der USA.

Die Ernennung von Anton Waino (44) zu Iwanows Nachfolger stärkt Putins Macht nach innen. Der im estnischen Tallinn geborene Waino bringt kein eigenes politisches Gewicht mit. Er ist nur Putin verpflichtet, den er jahrelang als Protokollchef durch Termine und öffentlichen Auftritte gelotst hat.

Viele Spitzenposten sind in jüngster Zeit mit Leuten besetzt worden, die keine eigene Hausmacht haben, aber Putin aus jahrelanger Zusammenarbeit vertraut sind. Zwei Ex-Leibwächter machte der Kremlchef zu Gouverneuren in Kaliningrad und Tula. Der frühere Leiter der präsidialen Sicherheitstruppe, Viktor Solotow, kommandiert die neue 400 000 Mann starke Nationalgarde. Sie untersteht nur dem Präsidenten und darf bei inneren Unruhen auf Demonstranten schießen.

An der Spitze dieses Machtapparats steuert Putin auf die Präsidentenwahl 2018 zu. Den sicheren Sieg muss traditionell der Chef des Präsidialamts organisieren. Doch die Entlassung des Schwergewichts Iwanow könnte auch den Kreml-Astrologen Recht geben, die nicht an eine Kandidatur Putins glauben.

Der Taktiker könnte sich, so meinen Beobachter, 2018 formal erneut in das Amt des Regierungschefs zurückziehen und einen Vertrauten im Kreml installieren - zum Beispiel Sicherheitsratschef Nikolai Patruschew. Doch auch Iwanow scheint in der Kaderreserve zu bleiben, er behält vorerst seinen Sitz im einflussreichen Sicherheitsrat. (dpa)