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Suche nach Menschen in Seenot

Die Maschine überholt, den Proviant verstaut, das Schiff ordentlich registriert: Am Donnerstagmorgen startet die „Lifeline“ von Malta aus zu ihrer ersten Rettungs-Mission ins Mittelmeer.

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© Mission Lifeline

Dresden/Valletta. Vereinzelt fegen frische Böen über den Hafen von Valletta, Wolken ziehen vorbei, spätsommerlich wärmen die Temperaturen: 21 Grad zeigt das Thermometer an Land und einen etwas höheren Wert besitzt auch die Wassertemperatur rund um Malta: Schiff ahoi. In den frühen Stunden des Donnerstagmorgens bricht die „Lifeline“ auf zu ihrer ersten Rettungs-Mission in den internationalen Gewässern vor der libyschen Küste in Kooperation mit der spanischen Hilfsorganisation #maydayterraneo..

Die "Lifeline" rüstet sich zur ersten Mission

Die Dresdner tuckern mit 8 Knoten in der Stunde in den Süden, nach einer Tagesfahrt wollen sie das Zielgebiet erreicht haben, sagt Axel Steier. Der Initiator des Vereins „Mission Lifeline“ begleitet die erste Mission der Seenotretter persönlich und hat sich dafür von seinem Job im Spätshop beurlaubt. Eigentlich hätte die Crew schon vor Tagen die Leinen losmachen wollen, doch fehlte noch ein wichtiger Stempel auf den Dokumenten zur Schiffsregistrierung.

Der letzte bürokratische Akt sei jetzt aber erledigt, das Schiff regulär bei der Allianz versichert und nun könne die Seenotrettung beginnen. Für die 18-köpfige Crew werde es in gewisser Weise auch eine Fahrt ins Ungewisse, weil niemand abschätzen könne, wie viele Notrufe die „Lifeline“ erhalte und was das Schiff auf hoher See erwarte.

Dabei droht das nächste Ungemach bereits in der Heimat: Der Schatzmeister der sächsischen AfD will den Verein anzeigen wegen der „Einschleusung von Ausländern“. Damit wirbt Carsten Hütter auf seiner Facebook-Seite um Wählerstimmen. Dass die Staatsanwaltschaft in Dresden eine ähnliche Anzeige vor Wochen bereits zu den Akten legte, nahm der Landtagsabgeordnete zum Anlass die Landesregierung zu fragen, ob sie nicht das Schiff beschlagnahmen und die Konten des Vereins sperren lassen wolle. Die aber lehnte ab.

Doch seit diesem Sommer schreitet die Kriminalisierung der privaten Seenotretter voran: Italien drohte den Organisationen erst mit der Sperrung seiner Häfen, forderte dann das Unterzeichnen eines Verhaltenskodexes. Als Grund dafür diente der Vorwurf, die Seenotretter würden mit Schleusern kooperieren. Die italienische Staatsanwaltschaft konkretisierte die Beschuldigung mit dem Festsetzen der „Iuventa“ auf Lampedusa. Das Schiff gehört der Organisation „Jugend rettet“.

Diesen Dienstag äußerte sich die italienischen Anwälte der NGO öffentlich zu dem Fall, sprachen von vermeintlichen Beweisfotos, die kein Fehlverhalten dokumentieren würden, und zogen ihrerseits die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Zweifel: Demnach stammen Informanten der Justiz aus dem Dunstkreis der rechtsextremen sogenannten Identitären Bewegung.

Während der Druck auf die NGOs zunahm, schlossen die EU und Italien im Besonderen Abmachungen mit der libyschen Küstenwache, die der aktuell anerkannten Regierung des Bürgerkriegslandes untersteht. Ausbildung und Geld für Ausrüstung im Tausch gegen einen Stopp der Schlepper. Die Küstenwache kündigte zu dem Zweck eine Ausweitung der Hoheitsgewässer an und drohte den Seenotrettern im schlimmsten Fall mit dem Kapern der Schiffe.

Tatsächlich ging in den vergangenen beiden Monaten die Zahl der Flüchtlinge massiv zurück, die Italien über den Seeweg erreichten. Doch dafür machen sich offenbar wieder mehr Menschen von der Türkei aus auf den Weg und im August hätten Migranten erstmals auch Rumänien übers Schwarze Meer erreicht, wie das Flüchtlingshilfswerk UNHCR auf seiner Homepage mitteilt.

Wegen der ungeklärten rechtlichen Situation im Mittelmeer ankert die „VOS Prudence“ der „Ärzte ohne Grenzen“ vorerst weiter in Sizilien, mailte Sprecherin Christiane Winje. Der Seenotretter „Sea-Watch 1“ von der gleichnamigen NGO sei zurzeit auf einer Beobachtungsmission in der Ägäis, wo alleine im August 3 121 Menschen auf den Inseln angekommen seien, schrieb Theresa Leisgang. In der vergangenen Woche habe das Schiff gleich 27 Menschen aus dem Meer rund um die griechischen Inseln gefischt. Die neuerworbene „Sea Watch 3“ wartet noch auf ihren Einsatz.

Die „Sea-Eye“ der gleichnamigen NGO aus Bayern hat in Malta festgemacht, ihr Schwesterschiff, die „Seefuchs“, liegt momentan im tunesischen Hafen Zarzis. Zuvor hatte die Crew vor der libyschen Küste gemeinsam mit einem Schiff der irischen Marine über 40 Flüchtlinge aus zwei kleinen Holzkähnen geborgen. Den Auftrag dazu erhielten die Retter nach wie vor von der italienischen Leitstelle für die Seenotrettung (MRCC) in Rom.

„Wenn wir in den internationalen Gewässern vor der libyschen Küste kreuzen, werden wir auch auf die Funksprüche der MRCC warten oder der Leitstelle melden, wenn wir etwas sehen und Hilfe leisten müssen“, sagt Steier. Schließlich sei die Pflicht dazu weiter geltendes Seerecht, trotz aller politischen Deals in der Region und dem üblichen Populismus der Unwissenden in der Heimat.

Denn das trotz der Restriktionen weiter Boote mit Migranten in Seenot geraten und kentern, erlebte jüngst die Piloten des Aufklärungs-Flugzeuges „Moonbird“ von der NGO „Sea-Watch“: Ein Boot sank in dem Augenblick, als die Flieger es in den Wellen entdeckten.

Dafür scheint eine andere potenzielle Gefahr bereits gebannt: die „C-Star“, das von den Identitären gecharterte Schiff wurde von der Seite „vesselfinder.com“ jüngst vor Palamos an der Costa Brava geortet. Auf Facebook beschwerten sich die Rechtsextremen darüber, dass Malta der „C-Star“ unter anderem das Einlaufen in einen seiner Häfen verwehrt hatte – und feierten ihre Chaos-Kreuzfahrt tatsächlich als Erfolg.

Die Erlebnisse und Begegnungen der „Lifeline“ lassen sich entweder auf Facebook verfolgen oder in einem Blog des MDR.