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Dresden schrammt am Filmpreis vorbei

"Fritzi" unterlag im Lola-Rennen "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl". Der Deutsche Filmpreis wurde wegen Corona auf einer einsamen TV-Bühne verliehen.

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Schauspieler Ronald Zehrfeld auf dem Motorrad bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises. Der Preis wurde wegen der Corona-Pandemie diesmal im Fernsehen verliehen.
Schauspieler Ronald Zehrfeld auf dem Motorrad bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises. Der Preis wurde wegen der Corona-Pandemie diesmal im Fernsehen verliehen. © Florian Liedel/Deutsche Filmakademie/dpa

Von Julia Kilian, Aliki Nassoufis und Oliver Reinhard

Am Ende hat es doch nicht gereicht. Das Animations-Abenteuer "Fritzi - eine Wendewundergeschichte" aus dem Dresdner Balancefilm-Studio hatte gegen das neue Epos von Oscar-Preisträgerin Caroline Link das Nachsehen: Ihr "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" wurde am späten Freitagabend beim Deutschen Filmpreis als bester Kinderfilm ausgezeichnet. Aber schon die Nominierung war für "Fritzi" eine hohe Ehrung. Die große Abräumerin beim höchstdotierten deutschen Kulturpreises war ebenfalls ein Mädchen: Das Drama "Systemsprenger" holte gleich acht Auszeichnungen, darunter die Goldene Lola für den besten Spielfilm. Regisseurin Nora Fingscheidt erzählt darin von der jungen Benni, die es anderen nicht leicht macht. In der Nacht zum Samstag gewann sie dafür eine Lola für Regie und Drehbuch, zugeschaltet aus der Ferne.

Denn der Filmpreis wurde nicht bei einer Gala, sondern als Fernsehsendung im Ersten verliehen. Die Zuschauerzahl war so niedrig wie nie zuvor. Lediglich 0,52 Millionen (3,0 Prozent Marktanteil) sahen zwischen 22.34 Uhr und 01.00 Uhr zu. Im vergangenen Jahr waren noch etwa doppelt so viele Zuschauer dabei. Seit 2013 gab es bei ARD oder ZDF keinen Sendeplatz mehr vor 22 Uhr. Prominente wurden diesmal aus ihren Wohnzimmern und Küchen eingeblendet. 

Die elfjährige Helena Zengel gewann für "Systemsprenger" die Lola als beste Hauptdarstellerin. Sie schrie vor Freude und bedankte sich bei ihrer Mutter: "Danke, Mama!" Das Drama, das bereits auf DVD und bei Streamingdiensten zu sehen ist, war auch als deutscher Oscar-Beitrag ins Rennen gegangen. Es ist Fingscheidts erster abendfüllender Spielfilm. Gleich drei der Schauspieler gewannen eine Lola. Neben Zengel wurde Gabriela Maria Schmeide als beste weibliche Nebendarstellerin geehrt.

Gabriela Maria Schmeide (l) als Frau Bafane und Helena Zengel als Benni in einer Szene des Films "Systemsprenger". Beide bekamen eine "Lola".
Gabriela Maria Schmeide (l) als Frau Bafane und Helena Zengel als Benni in einer Szene des Films "Systemsprenger". Beide bekamen eine "Lola". © Yunus Roy Imer/Port au Prince Pictures/dpa

Das Drama, das bereits auf DVD und bei Streamingdiensten zu sehen ist, war auch als deutscher Oscar-Beitrag ins Rennen gegangen. Es ist Fingscheidts erster abendfüllender Spielfilm. Gleich drei der Schauspieler gewannen eine Lola. Neben Zengel wurde Gabriela Maria Schmeide als beste weibliche Nebendarstellerin geehrt.

Albrecht Schuch gewann sogar doppelt. Der 34-Jährige spielt in "Systemsprenger" einen Sozialarbeiter. Er bekam dafür eine Auszeichnung als bester Hauptdarsteller. Eine Lola als beste männliche Nebenrolle gewann er in "Berlin Alexanderplatz". Die Literaturverfilmung soll noch ins Kino kommen und gewann eine Silberne Lola. Eine Lola in Bronze ging an die Produzenten des Dramas "Es gilt das gesprochene Wort".

Der Deutsche Filmpreis gilt als wichtigste nationale Auszeichnung in der Branche. Die rund 2.000 Mitglieder der Deutschen Filmakademie stimmen über viele Gewinner ab. Die Preise sind mit insgesamt rund drei Millionen Euro für neue Projekte dotiert, das Geld kommt aus dem Haus von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). Sie würdigte "Systemsprenger" als "Überraschungskinoerfolg des vergangenen Jahres".

Der Cast von Systemsprenger (l-r): Schauspielerin Lisa Hagmeister, Regisseurin Nora Fingscheidt, Hauptdarstellerin Helena Zengel und Schauspieler Albrecht Schuch kommen zur Verleihung des Europäischen Filmpreises.
Der Cast von Systemsprenger (l-r): Schauspielerin Lisa Hagmeister, Regisseurin Nora Fingscheidt, Hauptdarstellerin Helena Zengel und Schauspieler Albrecht Schuch kommen zur Verleihung des Europäischen Filmpreises. © Archiv/Jörg Carstensen/dpa

Wegen der Corona-Pandemie wanderte die Verleihung ins Fernsehen. Moderator Edin Hasanovic tanzte einsam über die Bühne, bewegte sich zwischen Briefkasten und Telefonzelle ("Ich fühle mich fast wie James Bond"). Der Schauspieler unterhielt mit geplanten Pannen, bekam Besuch von Ronald Zehrfeld auf einem Motorrad und hatte Unterstützung von Hund Wilma.

Hasanovic schlug aber auch politische Töne an und erinnerte an die Lage der Filmbranche. Bundesweit sind Kinos geschlossen, um die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus einzudämmen. Dreharbeiten ruhen. Die gesamte Branche stehe still, sagte Hasanovic. Schauspieler Ulrich Matthes hatte als Präsident der Filmakademie bereits vorab auf die Lage von Produktionsstudios, Kinos und Schauspielern hingewiesen.

Edin Hasanovic moderierte die Verleihung des Deutschen Filmpreises.
Edin Hasanovic moderierte die Verleihung des Deutschen Filmpreises. © Florian Liedel/Deutsche Filmakademie/dpa

"Der deutsche Kinofilm lebt, das haben wir heute wieder gesehen, aber er steht vor den größten Bedrohungen seit Bestehen der Bundesrepublik", teilte der Präsident der Filmförderungsanstalt (FFA), Bernd Neumann, mit. Weitere Unterstützungsmaßnahmen von Bund und Ländern seien unverzichtbar. "Geeignet wären Maßnahmen, wie sie etwa die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft mit ihrem 560-Millionen-Stabilisierungsfonds vorgeschlagen hat."

Mit der Fernsehshow wollte die Filmakademie ein Hoffnungszeichen setzen. Sie sei so lange nicht im Kino gewesen, sagte Komikerin Anke Engelke am Freitagabend. Zwei Monate? Zwei Jahre? 20 Jahre? Sie wollten heute die Filmkunst feiern. Grütters sprach in einer Mitteilung von einem wichtigen Zeichen der Hoffnung in einer historischen Ausnahmesituation.

Prominente - wie hier Giovanni di Lorenzo, Laudator für den Ehrenpreis - wurden aus ihren Wohnzimmern und Küchen eingeblendet.
Prominente - wie hier Giovanni di Lorenzo, Laudator für den Ehrenpreis - wurden aus ihren Wohnzimmern und Küchen eingeblendet. © Florian Liedel/Deutsche Filmakademie/dpa

Verliehen wurde der Filmpreis zum 70. Mal. In der Kategorie "Bester Spielfilm" setzte sich "Systemsprenger" gegen fünf andere Kandidaten durch: gegen "Berlin Alexanderplatz", das Drama "Es gilt das gesprochene Wort" über eine Scheinehe, den Musikfilm "Lindenberg! Mach dein Ding", das Liebesdrama "Undine" und das Mutter-Sohn-Drama "Lara" mit Corinna Harfouch.

Regisseur Edgar Reitz ("Heimat") bekam den Ehrenpreis der Filmakademie. Die Lola für den besten Dokumentarfilm ging an "Born in Evin" von Regisseurin und Schauspielerin Maryam Zaree. Die Komödie "Das perfekte Geheimnis" mit Elyas M'Barek wurde als besucherstärkster Film ausgezeichnet. 

Echte Emotionen gab es trotzdem: Als die elfjährige Helena Zengel für „Systemsprenger“ ihre Lola bekam, ging daheim im Hintergrund rasantes Gequieke los. Helenas Mutter Anne Zengel huschte kurz für einen Kuss ebenfalls vor die Skype-Kamera neben ihre Tochter und verschwand mit ungebändigtem Jubel wieder im Zimmer. Und mit ihr die Befürchtung, diese besondere Veranstaltung unter besonderen Bedingungen müsse ohne echte Emotionen auskommen. (dpa/SZ)