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Tags spielen, nachts wachen

Wie lebten die Pirnaer zu Canalettos Zeiten? Hinter dem 14. Türchen wartet ein Musiker und Brandbekämpfer.

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© Marko Förster

Von Christian Eissner

Der Hofmaler Canaletto hielt die Stadt Pirna nach 1753 aus elf verschiedenen Perspektiven fest. Eine Wohnung aber ist auf allen Bildern zu sehen: die des Stadtmusikus Friedrich Jacob Schwabe. Ihm stand nämlich die Türmerwohnung in der Marienkirche zu, die zu erreichen über knapp 200 Stufen zwar mühsam war, wofür die Aussicht aber entschädigte. Auf Canalettos Marktplatz-Ansicht ist deutlich zu erkennen, dass am nördlichen Dach der Turmhaube ein Schornstein aufgesetzt ist, den es heute nicht mehr gibt. Die Türmerwohnung war also mittels eines Kamins beheizbar.

Ein ruhiges Leben hatte der Türmer und Stadtmusikus nicht, aber auch kein spaßbefreites. Ihm stand das alleinige Privileg der öffentlichen Musikausübung außerhalb der Gottesdienste und Schulen zu. Seinen Lebensunterhalt verdiente er damit, gemeinsam mit seinen Gesellen zu allen möglichen Feierlichkeiten in der Stadt aufzuspielen, zu Hochzeiten, Tauffeiern, Begräbnissen, städtischen Zeremonien und Schützenfesten. Dazu stellte er Kapellen mit Trompeten, Posaunen, Streichinstrumenten, Pfeifen, Hörnern, Flöten und Schlagwerk zusammen. Auch leitete er das Turmblasen der Posaunen, dessen Tradition in Pirna bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts zurückreicht.

Der wuchtige Turm der Marienkirche wurde zwischen 1466 und 1479 gebaut, die Turmspitze mit der Türmerwohnung allerdings danach mehrfach umgestaltet. Sie erhielt ihre jetzige Form mit dem doppelt geschwungenen Dach um 1700. Die exponierte Lage seiner Wohnung brachte dem Türmer weitere Aufgaben ein. Gemeinsam mit dem Nachtwächter war er für die Brandwache in der Stadt zuständig. Entdeckte er ein Feuer, so schlug er an einer Glocke, der sogenannten Seiger-Schelle, Alarm, um die Bürger zu wecken. Diese Glocke nutzte der Türmer normalerweise zum Anschlagen der Stunden, damit die Pirnaer wussten, wie spät es ist. Im Falle eines Feuers markierte der Türmer auch die Richtung, in der er den Brand sah, sodass der Brandort leichter zu finden war. Bei Tage nutzte er dazu eine Fahne, nachts eine Fackel.

Der letzte Türmer der Marienkirche zog mit seiner Familie erst im Jahr 1906 aus der Türmerwohnung in der Kirchturmspitze aus.