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Tausende Flüchtlinge wollen an Unis

Zehntausende Flüchtlinge wollen in Deutschland studieren. Wie den Asylbewerbern ein Weg in die Hörsäle und damit in eine gewisse Normalität geebnet werden kann, diskutieren jetzt die Kultusminister.

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© dpa

Von Nico Pointner und Werner Herpell

Neu-Ulm/Berlin. Montaser Al Naser (30) hat viele Pläne für sein neues Leben in Deutschland - und viele Fragen. Wo kann er Deutsch lernen? Wird sein syrischer Hochschulabschluss angerechnet? Wo kann er als Student leben? Seit vier Monaten ist der Flüchtling aus Syrien nun im Land. Bisher hat er kaum Antworten gefunden. „Ich will meinen Master machen“, sagt er. „Mit einem guten Abschluss findet man leichter einen Job hier.“ Doch derzeit lebt er noch mit 200 anderen Flüchtlingen in einer Turnhalle in Neu-Ulm.

Etwa 50 000 Menschen wie Al Naser, die dieses Jahr aus Krisengebieten kommen und hier studieren wollen, werden Unis und Hochschulen in Deutschland demnächst wohl aufnehmen. Das schätzt Jürgen Zöllner, einst Ressortchef für Wissenschaft in Rheinland-Pfalz und Berlin, jetzt Vorstandsmitglied der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Diese Zahl stellt die Bildungspolitik von Bund und Ländern vor enorme Herausforderungen. Einige davon werden an diesem Donnerstag und Freitag Thema der Kultusministerkonferenz (KMK) in Berlin sein.

Studierwilligen Asylsuchenden müssten Wege in die Hörsäle geebnet werden, verlangt die SPD-nahe Stiftung: Zugang zu Sprachkursen oder Studienkollegs, eine zuverlässige und dauerhafte Finanzierung des Lebensunterhaltes der oft mittellos in Deutschland gelandeten Flüchtlinge, neue Studienplätze. Und möglichst schnell soll es auch noch gehen - was nicht immer einfach ist, etwa wenn Unterlagen zu Schulabschlüssen vollständig fehlen.

Tests werden übersetzt

Am guten Willen fehlt es nicht. So sagte Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU) Hilfe zu: „Wir wollen, dass die Hochschulen zur Integration beitragen.“ Ihr Haus habe Maßnahmen beschlossen, die Flüchtlingen mit Qualifikationen den Hochschulzugang erleichtern sollen. Um Sprachkenntnisse und Studierfähigkeit früh festzustellen und zu fördern, werde der Test mit Bundesmitteln in die Sprachen der Asylbewerber übersetzt. Zudem stelle der Bund 2400 zusätzliche Plätze an vorbereitenden Studienkollegs für Ausländer bereit.

Ab 1. Januar 2016 können nicht nur Asylberechtigte ohne Wartezeit Bafög bekommen, auch Geduldete hätten nach 15 Monaten Aufenthalt in Deutschland ein Anrecht, sagt Wanka. Nach Auffassung von Berlins Wissenschafts-Staatssekretär Steffen Krach muss die zeitliche Lücke bis zum Bafög-Bezug indes weiter verkürzt werden.

Auch Dieter Lenzen, Präsident der Uni Hamburg und Mitglied der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), möchte beim Geld studierwillige Asylbewerber nicht warten lassen: „Nach den Erfahrungen, die diese während der Flucht gemacht haben, sollte Normalität zu erreichen das vordringlichste Ziel sein.“ Daher sei „jeder Bürokratismus etwa beim Nachweis der Hochschulzugangsberechtigung, der Rekonstruktion von Bildungsbiografien oder der Feststellung von Studierfähigkeit zu vermeiden“.

Immer mehr Unis befreien Flüchtlinge bereits von Gebühren für eine Gasthörerschaft oder bieten spezielle Sprachkurse, kostenlose Bibliotheksausweise und Internetzugänge an. Laut HRK berichteten bislang mehr als 90 Hochschulen in Deutschland von solchen Aktivitäten, Projekten und Initiativen.

Deutschkenntnisse Voraussetzung

Ob Zöllner, Wanka oder Lenzen - alle betonen, dass an deutschen Unis schon viel passiert für Asylsuchende wie Montaser Al Naser. Der 30-Jährige sitzt derweil in einem Aufenthaltsraum der Hochschule Neu-Ulm und informiert sich über Studienmöglichkeiten. Er tippt mit dem Finger auf Dokumente aus seiner Heimat: „Meinen Bachelor in Business Administration habe ich schon.“

Die meisten Flüchtlinge könnten ihre Qualifikation nachweisen wie Al Naser, sagt Thomas Böhm von der Hochschulrektorenkonferenz. Trotzdem gebe es Hindernisse auf dem Weg in den Hörsaal - zum Beispiel fehlende Deutschkenntnisse. „Wenn man bei Null anfängt, braucht man etwa ein Jahr mit einem Intensivkurs von 20 bis 25 Stunden die Woche.“ Böhm fordert finanzielle Unterstützung, um die Programme kostenlos anbieten zu können.

Von rund 105 000 befragten Asylsuchenden gaben laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dieses Jahr bisher rund 17 Prozent an, in ihrer Heimat eine Universität oder Fachhochschule besucht zu haben. Unter den Befragten aus Syrien waren es sogar knapp 30 Prozent. Für die Eingliederung in Deutschland sei dies eine gute Voraussetzung, teilte die Behörde mit.

Auch für Montaser Al Naser ist ein Studium Schlüssel zur Integration. Von der Veranstaltung in Neu-Ulm hat er Flyer, Visitenkarten und Informationszettel mitgenommen. Er möchte sich nun einlesen und in einigen Tagen zur Beratung wiederkommen. Der Syrer ist entschlossen, die Chance zu nutzen: „Ich will einfach an die Uni gehen, einen guten Job finden und eine Familie haben. Nachdem du den ganzen Krieg und das Blut gesehen hast, musst du das Leben einfach leben.“ (dpa)