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Alexa, mach meine Grundsteuererklärung!

Die Digitalisierung in Deutschland kommt immer noch zu langsam voran. Das ist schlecht für den Standort. Es ist aber auch schlecht für die Menschen, die hier ihr Leben organisieren. Ein Kommentar.

Von Marc Hippler
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Die Finanzamt-Software Elster ist für viele Grundstücksbesitzer in diesen Tagen der Endgegner.
Die Finanzamt-Software Elster ist für viele Grundstücksbesitzer in diesen Tagen der Endgegner. © dpa

Geben Sie es ruhig zu: Für einen kleinen Moment, wirklich nur ganz kurz, haben Sie davon geträumt, dass es so einfach sein könnte: Sie sagen Ihrem sogenannten smarten Lautsprecher, dass er die Steuererklärung für Sie erledigen soll, und dann wird das gemacht. Aber natürlich wissen Sie, dass das Unfug ist. Erstens, weil Ihnen klar ist, dass ein Elster-Formular nicht die Krone der Nutzerfreundlichkeit ist. Zweitens, weil Sie schon froh sind, wenn Alexa ihren Lieblingsradiosender startet statt fälschlicherweise jemanden anzurufen. Und drittens haben wir ja auch noch gar nicht über Datenschutz gesprochen.

Mit jeder technischen Entwicklung war es bislang immer so: Kurzfristig wurde sie überschätzt, langfristig unterschätzt. Das hat nicht erst mit dem Auto begonnen und mit dem Smartphone hört es nicht auf. Heißt: Gut möglich, dass wir niemals sprachgesteuert Steuern erklären werden. Aber vielleicht erledigen Sprachassistenten irgendwann Dinge, die wir uns jetzt noch gar nicht vorstellen können.

Wie Grundstücksbesitzer dem Staat bei der Digitalisierung helfen

Bis dahin heißt Digitalisierung in Deutschland eben auch, dass Millionen von Grundstücksbesitzern dieser Tage Daten in Formulare eintragen, die den Ämtern zwar allesamt vorliegen, aber eben nicht so, dass man sie einfach elektronisch weiterverarbeiten könnte. Mit anderen Worten: Bis zum 31. Oktober muss erledigt sein, was jahrzehntelang von Behörden versäumt worden ist.

Das gilt übrigens auch für das Empfangen staatlicher Leistungen, etwa beim Energiegeld. Direkt überweisen? Geht nicht. Finanzminister Christian Lindner sagte Ende August, dass es 18 Monate dauern würde, IBAN und Steuernummern der Empfängerinnen und Empfänger zusammenzuführen. Wie er auf die Dauer kommt, ist nicht ganz klar, aber selbst dann wäre das Problem nicht gelöst. Denn: Die Software der Finanzverwaltung könne, so Lindner, nur 100.000 Überweisungen pro Tag erledigen.

Entschuldigung? Wir haben 2022! Millionenfach werden Bankgeschäfte digital erledigt, Aktien per App gekauft, Einkäufe mit dem Handy bezahlt. Wer das tagtäglich erlebt, kann den Staat nur als digital naiv wahrnehmen. Und das ist ein Problem.

Deutschland hat immer noch eines der schlechtesten Glasfasernetze der Welt

Dieses Problem ist alt und es liegt tief in der Erde. Deutschland hat eines der schlechtesten Glasfasernetze der Welt. In Tschechien lag der Anteil von Breitbandanschlüssen 2021 mehr als doppelt so hoch, in Costa Rica viermal so hoch, in Schweden zehnmal so hoch. Die Misere begann in den frühen 80er Jahren. Statt auf Glasfaser setzte die Bundesrepublik auf Kupferkabel – mit dramatischen Folgen bis heute.

Die Versteigerung von 5G-Mobilfunklizenzen brachte 2019 dem Staat zwar sensationelle 6,6 Milliarden Euro ein, die in die Digitalisierung des Landes gesteckt werden sollten – aber von Wumms bis heute keine Spur. Im Gegenteil: Den Anbietern fehlte deshalb angeblich jahrelang das Geld, weiße Flecken auf der Mobilfunkkarte auszuradieren. Wer aus dem benachbarten Ausland nach Deutschland fährt, merkt das: Kaum ist man im deutschen Netz, ist der Empfang schlecht.

Lieber digitale Schienen als Hyperloop

Doch Digitale Infrastruktur ist so wichtig wie Straßen und Gasleitungen. Gerade in der Multikrise, in der wir uns gerade befinden. Statt uns mit Marketing-Quatsch wie Hyperloop, Flugtaxis und Metaverse aufzuhalten, sollte hybrider Schulunterricht endlich flächendeckend funktionieren. Auf digitalisierten Schienenstrecken könnten mehr Züge fahren. Und Smart Grid, das digitalisierte Stromnetz, könnte dafür sorgen, dass der Trockner läuft, während besonders viel günstiger Solarstrom fließt. Digitalisierung ist immer dann am besten, wenn man sie kaum bemerkt, weil sie sich als kleine Verbesserungen in den Alltag hinein schleicht.

Allerdings: Es ist nicht nur „die Technik“, Hardware, Software oder „der Datenschutz“, die angeblich so viel verhindern. Auch in der Privatwirtschaft werden millionenschwere IT-Projekte gegen die Wand gefahren. Es geht um digitales Know-How, um eine veränderte Arbeitskultur und Offenheit für neue Technologien. Es geht um Ärzte in Sachsen, die lieber ihre Praxis aufgeben statt sich mit neuer Technik zu befassen. Um Politiker, bei denen sich das Recht auf Bildung in der Pflicht zur Präsenz erschöpft. Und es geht um Chefs, die Zusammenarbeit ausschließlich dort sehen, wo Kolleginnen und Kollegen nebeneinander sitzen.

Wann muss ich eigentlich im Homeoffice ausstempeln?

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, wonach Firmen verpflichtet sind, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter systematisch zu erfassen, wirft bislang vor allem Fragen auf. Muss ich mich künftig ausstempeln, wenn ich im Homeoffice die Spülmaschine ausräume? Und wieder einstempeln, wenn ich am Abend auf dem Sofa einen Fachartikel lese, der mir bei einem aktuellen Problem im Job hilft?

Längst erleben Menschen eine Digitalisierung der zwei Geschwindigkeiten. Mobiler, schneller, bequemer auf Plattformen aus den USA oder China. Und behäbig, kompliziert und rückständig in der Daseinsfürsorge. Das muss sich schnell ändern, damit der Staat als handlungsfähig wahrgenommen wird. Dafür braucht es ganz sicher nicht Alexa. Es muss einfach funktionieren.