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Terrorprozess: Angeklagte schweigen

In Dresden stehen seit Dienstag acht Mitglieder der sogenannten „Gruppe Freital“ vor Gericht. Ihnen wird die Bildung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen.

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© Paul Sander

Dresden. Den mutmaßlichen Rechtsterroristen der „Gruppe Freital“ wird seit Dienstag in Dresden der Prozess gemacht. Die Anklage wirft sieben Männern und einer Frau im Alter zwischen 19 und 39 Jahren die Bildung einer terroristischen Vereinigung vor. Im Zusammenhang mit fünf Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und politische Gegner in Freital und Dresden wird ihnen außerdem versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung und die Herbeiführung von Sprengstoffexplosionen zur Last gelegt, ferner die Vorbereitung eines sogenannten „Explosionsverbrechens“ mit Rohrbomben.

Die "Gruppe Freital" vor Gericht

Unter großen Sicherheitsvorkehrungen hat heute in Dresden der Prozess gegen acht Mitglieder der „Gruppe Freital“ begonnen.
Unter großen Sicherheitsvorkehrungen hat heute in Dresden der Prozess gegen acht Mitglieder der „Gruppe Freital“ begonnen.
Der Hauptangeklagte Timo S. (M.) zwischen seinen Anwälten.
Der Hauptangeklagte Timo S. (M.) zwischen seinen Anwälten.
Die Richter im Prozess: v.l. Jürgen Scheuring, Thomas Fresemann und Birger Magnussen.
Die Richter im Prozess: v.l. Jürgen Scheuring, Thomas Fresemann und Birger Magnussen.
Die Vertreter der Bundesanwaltschaft, rechts Oberstaatsanwalt Dr. Jörn Hauschild.
Die Vertreter der Bundesanwaltschaft, rechts Oberstaatsanwalt Dr. Jörn Hauschild.
Besucher verfolgen hinter einer Schutzscheibe den Beginn der Verhandlung.
Besucher verfolgen hinter einer Schutzscheibe den Beginn der Verhandlung.
Da das im historischen Ständehaus in der Dresdner Altstadt residierende Oberlandesgericht nicht über die benötigten Räumlichkeiten verfügt, wurde für den Prozess der Speisesaal der noch im Aufbau befindlichen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge auf dem Hammerweg zum Hochsicherheitskomplex ausgebaut.
Da das im historischen Ständehaus in der Dresdner Altstadt residierende Oberlandesgericht nicht über die benötigten Räumlichkeiten verfügt, wurde für den Prozess der Speisesaal der noch im Aufbau befindlichen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge auf dem Hammerweg zum Hochsicherheitskomplex ausgebaut.
Polizeisprecher Thomas Geithner erklärt Pressevertretern, dass im Gebäude kein Sprengstoff gefunden wurde. Zuvor hatten Sprengstoff-Spürhunde auf einer öffentlichen Toilette angeschlagen. Höchstwahrscheinlich reagierten die Hunde auf ein Pflegemittel für Gummi.
Polizeisprecher Thomas Geithner erklärt Pressevertretern, dass im Gebäude kein Sprengstoff gefunden wurde. Zuvor hatten Sprengstoff-Spürhunde auf einer öffentlichen Toilette angeschlagen. Höchstwahrscheinlich reagierten die Hunde auf ein Pflegemittel für Gummi.
Auch Demonstranten haben sich vor dem Gebäude versammelt.
Auch Demonstranten haben sich vor dem Gebäude versammelt.
Hatten Polizisten Kontakt zu Mitgliedern der "Gruppe Freital"? Die Dresdner Staatsanwaltschaft ermittelt gegenwärtig noch gegen einen Polizeibeamten wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen. Der Polizist ist vom Dienst suspendiert, er soll den Beschuldigten Informationen über Polizeieinsätze zugespielt haben.
Hatten Polizisten Kontakt zu Mitgliedern der "Gruppe Freital"? Die Dresdner Staatsanwaltschaft ermittelt gegenwärtig noch gegen einen Polizeibeamten wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen. Der Polizist ist vom Dienst suspendiert, er soll den Beschuldigten Informationen über Polizeieinsätze zugespielt haben.
Ein Fahrzeug der Justiz fährt durch ein Tor des Gerichtsgebäudes des Oberlandesgerichts.
Ein Fahrzeug der Justiz fährt durch ein Tor des Gerichtsgebäudes des Oberlandesgerichts.

Die Angeklagten

Patrick F., 25 Jahre alt, Lagerarbeiter, mutmaßlicher RädelsführerPaul Sander
Patrick F., 25 Jahre alt, Lagerarbeiter, mutmaßlicher RädelsführerPaul Sander
Timo S., 28 Jahre alt, Busfahrer, mutmaßlicher RädelsführerPaul Sander
Timo S., 28 Jahre alt, Busfahrer, mutmaßlicher RädelsführerPaul Sander
Maria K., 28 Jahre alt, arbeitslos, Ausbildung als Goldschmiedin abgebrochenPaul Sander
Maria K., 28 Jahre alt, arbeitslos, Ausbildung als Goldschmiedin abgebrochenPaul Sander
Mike S., 38 Jahre alt, Altenpflege-HelferPaul Sander
Mike S., 38 Jahre alt, Altenpflege-HelferPaul Sander
Philipp W., 30 Jahre alt, gelernter Abwassertechniker, zuletzt BusfahrerPaul Sander
Philipp W., 30 Jahre alt, gelernter Abwassertechniker, zuletzt BusfahrerPaul Sander
Rico K., 39 Jahre alt, 1 Tochter, gelernter KochPaul Sander
Rico K., 39 Jahre alt, 1 Tochter, gelernter KochPaul Sander
Justin S., 19 Jahre alt, Auszubildender als Gleisbauer Paul Sander
Justin S., 19 Jahre alt, Auszubildender als Gleisbauer Paul Sander
Sebastian W., 26 Jahre alt, PaketzustellerPaul Sander
Sebastian W., 26 Jahre alt, PaketzustellerPaul Sander

Mit ihren zwischen Juli und November 2015 begangenen Taten hätten die Angeklagten die „Bevölkerung verunsichern“ und ein Klima der Angst erzeugen wollen, sagte Bundesanwalt Jörn Hauschild. Ziel der Gruppe sei es gewesen, ihre „rechtsextremistische Gesinnung mittels Anschlägen durchzusetzen“. Laut Anklage ging die Gruppe arbeitsteilig vor. Als führender Kopf gilt der aus Hamburg stammende Neonazi Timo S. Sein Gesinnungsgenosse Patrick P. sei für die technischen Details der Anschläge zuständig gewesen, hieß es. Er habe die Sprengsätze vorbereitet. Zum Einsatz kamen illegale Böller, von denen einige die 130-fache Sprengkraft der in Deutschland zulässigen Pyrotechnik besaßen.

Der Anklageschrift zufolge attackierten die Beschuldigten Flüchtlingsunterkünfte in Freital, ein Parteibüro der Linken und das Auto eines Linke-Politikers in der Kleinstadt sowie ein alternatives Wohnprojekt in Dresden. Bei einem der Sprengstoffanschläge wurde ein Asylbewerber durch herumfliegende Glassplitter verletzt. Glücklichen Umständen ist es zu verdanken, dass keine Menschen zu Tode kamen oder schwer verletzt wurden. Laut Anklage wurden die Entscheidungen zu den Angriffen gemeinsam getroffen. Timo S. und Patrick F. seien für die Organisation aber maßgeblich gewesen.

Chronologie der Ereignisse

27. Juli 2015 - Mit der Sprengung des Autos eines Freitaler Linke-Stadtrats beginnt die vom Generalbundesanwalt angeklagte Anschlagsserie. Verletzt wird niemand, am Wagen des Stadtrats und zwei daneben abgestellten Fahrzeugen entsteht erheblicher Schaden.

19. September 2015 - In der Nacht explodiert ein an einem Küchenfenster einer Flüchtlingsunterkunft in Freital angebrachter Sprengkörper. Es entsteht Sachschaden, die acht Bewohner der Unterkunft bleiben nur deshalb unverletzt, weil sich zum Tatzeitpunkt niemand in der Küche aufhielt.

20. September 2015 - Wieder ein nächtlicher Sprengstoffanschlag. Diesmal ist ein Parteibüro der Linken in Freital das Ziel. Wieder entsteht erheblicher Sachschaden, als Pyrotechnik an einer Fensterscheibe des Büros gezündet wird.

19. Oktober 2015 - Mitglieder der Gruppe werfen laut Anklage Pflastersteine und teils mit Buttersäure präparierte Sprengkörper auf ein alternatives Wohnprojekt in Dresden. Ein Bewohner der „Mangelwirtschaft“ wird verletzt.

1. November 2015 - Erneut ist eine Flüchtlingsunterkunft in Freital Ziel eines Anschlags. An drei Fenstern einer von Asylbewerbern genutzten Wohnung explodieren Sprengkörper. Ein Syrer wird von Glasscherben im Gesicht getroffen und verletzt.

5. November 2015 - Bei einer Razzia von Polizei und Staatsanwaltschaft werden in Dresden und Freital neun Wohnungen durchsucht. Timo S., Patrick F., Philipp W. und Maria K. werden verhaftet, der Haftbefehl gegen K. aber wieder außer Vollzug gesetzt. Insgesamt wird gegen sieben Verdächtige ermittelt. Bei den Durchsuchungen werden neben Pyrotechnik auch Nazi-Devotionalien gefunden. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft den Beschuldigten das Herbeiführen von Sprengstoffexplosionen sowie versuchte oder vollendete gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung vor.

Februar 2016 - Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden erhebt Anklage gegen Timo S., Patrick F., Philipp W., Justin S. und Maria K. wegen der Angriffe auf die „Mangelwirtschaft“ und eine Flüchtlingsunterkunft in Freital.

1. April 2016 - Der Generalbundesanwalt bestätigt, die Übernahme der Ermittlungen wegen Terrorsverdachts zu prüfen. Nach Anforderung der Akten durch Karlsruhe zieht die Generalstaatsanwaltschaft ihre Anklagen zurück.

11. April 2016 - Der Generalbundesanwalt zieht das Verfahren an sich. Jetzt wird wegen Terrorverdachts ermittelt.

19. April 2016 - Bei einer weiteren Razzia - an der im Auftrag des Generalbundesanwalts nun auch die Spezialeinheit GSG 9 beteiligt ist - werden Justin S., Rico K., Sebastian W., Mike S. und Maria K. festgenommen. Seither sitzen alle acht Beschuldigten in U-Haft.

2. November 2016 - Die Bundesanwaltschaft erhebt vor dem Oberlandesgericht Dresden Anklage. Neben der Bildung einer terroristischen Vereinigung sollen sich die Beschuldigten auch wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und des Herbeiführens von Sprengstoffexplosionen verantworten.

17. Januar 2017 - Das Oberlandesgericht lässt die Anklage der Bundesanwaltschaft zur Hauptverhandlung zu. Damit kann das erste Terrorverfahren in der Geschichte des Freistaates beginnen. Bis Ende September werden mehr als 60 Verhandlungstage angesetzt.

7. März 2017 - Beginn des Prozesses in einem eigens dafür eingerichteten Hochsicherheitsgebäude. (dpa)

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Der Vorsitzende Richter Thomas Fresemann setzte die Anklageverlesung entgegen Anträgen der Verteidiger durch. Diese hatten zuvor sowohl die Besetzung des Gerichts bemängelt als auch einen Befangenheitsantrag gegen Fresemann stellen wollen. Die Verteidiger bemängelten, dass der zuständige Strafsenat des Oberlandesgerichtes eigens für dieses Verfahren zusammengestellt wurde und sprachen von einer „gezielten Richterzuweisung“. Damit sehen sie das Gericht als befangen an. Die Antragsstellungen wurden auf Beschluss des Gerichts zunächst zurückgestellt. Sieben der acht Angeklagten weigerten sich deshalb, Angaben zu ihrer Person zu machen.

Der Prozess hatte am Vormittag unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen begonnen. Zuschauer und Medienvertreter mussten Sicherheitsschleusen durchqueren. Zunächst hatte sich der Einlass verzögert, weil zwei Sprengstoffspürhunde im Bereich einer Toilette angeschlagen hatten und im Saal ein merkwürdiger Geruch wahrgenommen wurde. Kurze Zeit später konnte die Polizei aber Entwarnung geben: Die Hunde hätten auf ein Gummireinigungsmittel reagiert.

Dem Prozess gingen monatelange Ermittlungen voraus: Erst hatte die Generalstaatsanwaltschaft Dresden gegen Timo S. und sechs weitere Verdächtige ermittelt und im Februar 2016 auch bereits Anklage erhoben. Timo S., Patrick F. und ein weiterer Beschuldigter saßen da schon seit drei Monaten in Untersuchungshaft. Vorgeworfen wurde ihnen ein Angriff auf ein alternatives Wohnprojekt von Flüchtlingsunterstützern in Dresden und ein Sprengstoffanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft in Freital, ausgeführt mit in Deutschland illegaler Pyrotechnik aus Tschechien.

Anders als die höchste Anklagebehörde in Sachsen sah der Generalbundesanwalt in Karlsruhe jedoch einen hinreichenden Verdacht auf Bildung einer terroristischen Vereinigung und zog den Fall im April 2016 an sich. Kurze Zeit später kam die Spezialeinheit GSG 9 in Freital zum Einsatz: Fünf weitere Beschuldigte wurden festgenommen.

Neben den schon von den sächsischen Behörden erhobenen Anschuldigungen wurde der Tatvorwurf erweitert und mit anderen Fällen zusammengefasst. Hinzu kamen Sprengstoffanschläge auf das Auto eines Freitaler Linken-Stadtrats im Juli 2015, auf ein Linken-Parteibüro im September sowie auf eine weitere Freitaler Flüchtlingsunterkunft im Herbst 2015.

Da das im historischen Ständehaus in der Dresdner Altstadt residierende Oberlandesgericht nicht über die benötigten Räumlichkeiten verfügt, wurde für den Prozess ein externes Gebäude zum Hochsicherheitskomplex ausgebaut. 5,5 Millionen Euro steckte der Freistaat in die Herrichtung eines Gebäudes, das einmal der Speisesaal einer noch im Aufbau befindlichen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge werden soll.

Nebenkläger sind unter anderem Mitglieder des alternativen Dresdner Wohnprojekts „Mangelwirtschaft“, das im Oktober 2015 Ziel eines Anschlags war. „Wir möchten, dass die Zusammenhänge zwischen der Gruppe Freital und den rassistischen Bürgerprotesten in Freital und Übigau aufgeklärt werden“, meint Sprecherin Judith Seifert. Denn es sei wichtig, „Rassismus als ein gesamtgesellschaftliches Problem zu erkennen“. (dpa/szo)