Von Jürgen Müller
Nossen/Meißen. Da haben sich die jungen Männer aber viel Mühe gegeben. Auf 120 Quadratmetern beschmierten sie in der Nacht vom 7. auf den 8. Februar vorigen Jahres einen Regionalzug der Deutschen Bahn AG, der in Nossen auf dem Bahnhof stand, mit Graffiti. Nur selten werden die Täter in solchen Fällen auf frischer Tat ertappt. Das gelingt auch diesmal nicht. Nur selten stellen sich Graffiti-“Künstler“ aber auch so dumm an wie diese drei, die jetzt am Meißner Amtsgericht auf der Anklagebank sitzen.
Sie filmen sich bei der Aktion in Nossen selbst. Am nächsten Tag kreuzen sie auf dem Hauptbahnhof in Leipzig, wohin der Zug gefahren ist, auf und wollen Fotos von ihrem „Kunstwerk“ machen. Dabei werden sie von Polizisten erwischt. Sie hauen ab, werden aber von den Beamten eingeholt. An ihrer Kleidung und an den Schuhen finden sich Reste von Farben, die auf dem Zug zu finden sind. Im Auto der jungen Männer liegen leere und volle Sprühflaschen, Sprühköpfe, ein Laptop, ein Stativ, eine Kamera, ein Video von der nächtlichen Aktion in Nossen und schließlich auch eine Vorlage mit Tags, die mit denen auf dem Zug übereinstimmen. Die Tatverdächtigen liefern auch freiwillig ihrer Handys ab. Anhand der Kurznachrichten kann von der Polizei nachverfolgt und dokumentiert werden, dass sie sich für die nächtliche Aktion absprachen.
Joker wird zum Rohrkrepierer
Nun ist eine solche Graffitischmiererei zwar ärgerlich für die Betroffenen, juristisch aber lediglich eine Sachbeschädigung und damit keine große Sache. In der Regel gibt es Geldstrafen. Und so haben die Angeklagten schon vor der Verhandlung Schadensersatz angeboten, was ein klares Schuldeingeständnis ist. Und dennoch zieht sich die Hauptverhandlung nun schon über den dritten Verhandlungstag hin. Denn kurz vor Ende der Beweisaufnahme am zweiten Tag hatte Verteidiger Thorsten Hönnscheidt aus Dortmund, dessen Kanzlei auf solche Verfahren spezialisiert ist, einen überraschenden Beweisantrag gestellt. Ein weiterer Zeuge soll gehört werden, der aussagen soll, dass einer der Angeklagten in jener fraglichen Nacht bei ihm gewesen sein soll, somit gar nicht an der Aktion beteiligt gewesen sein kann. Am Dienstag nun wurde dieser Zeuge gehört. Doch der angebliche Joker wird zum Rohrkrepierer. Er kann das nämlich nicht bestätigen. Ja, der Angeklagte habe mal bei ihm übernachtet, aber das sei im Frühsommer gewesen. In der Tatnacht hätte das auch keinen Sinn ergeben. Schließlich wurde bei dem Angeklagten eine Rechnung eines Hotels in Leipzig für die Zeit vom 6. bis zum 8. Februar 2015 gefunden. Warum sollte er sich ein Hotelzimmer nehmen und dafür bezahlen, wenn er kostenlos bei einem Kumpel schlafen kann? Möglicherweise ist der Zeuge sogar Mittäter, mindestens aber Graffiti-Fan. Als während seiner Vernehmung am Amtsgericht eine S-Bahn mit Graffiti vorbeifährt, schaut er begeistert auf den Zug.
Richterin Ute Wehner hat sich von dem Zeugen mal das Vorstrafenregister besorgt. „Damit wir mal sehen, wer uns hier so als Zeuge präsentiert wird“, wie sie sagt. Was da vor ihr liegt und vor ihr sitzt, ist jeweils alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Doch der 24-jährige Leipziger ist klug genug, keine Falschaussage zu machen. Dafür drohen ihm nämlich mindestens drei Monate Haft. Die Verteidigungsstrategie bricht damit krachend zusammen.
Dennoch bleibt es ein Indizienprozess. „Jeder Beweis und jedes Indiz für sich genommen würde nicht reichen, um die Angeklagten zu verurteilen. Doch es ergibt sich ein schlüssiges Gesamtbild“, sagt Staatsanwältin Yvonne Birke. Sie ist davon überzeugt, dass die Richtigen auf der Anklagebank sitzen.
Keine zufriedenen Mandanten
Die Verteidiger sehen das naturgemäß anders. Beide fordern Freisprüche für ihre Mandanten. Gegen einen dritten Angeklagten wurde schon am zweiten Verhandlungstag das Verfahren im Hinblick auf eine andere Verurteilung eingestellt. Diese Verfahrensweise machte die Verteidiger wohl mutig. Man kann´s ja mal versuchen.
Der Versuch schlägt fehl. Richterin Ute Wehner verurteilt die beiden verbliebenen Angeklagten wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung zu Geldstrafen von 2 100 beziehungsweise 1 400 Euro. Die unterschiedliche Höhe kommt zustande, weil die Angeklagten unterschiedlich große Einkommen haben.
Auf der Facebook-Seite der Dortmunder Kanzlei sieht man ein Video von einem mit Graffiti beschmierten Zug, der in einen Bahnhof einfährt. Kommentar der Kanzlei: „Was gibt es Schöneres als zufriedene Mandanten?“ Nun, für den jetzigen Mandanten dürfte die Verhandlung nicht zur Zufriedenheit ausgegangen sein. Für ihn könnte die Verurteilung noch ganz andere Konsequenzen haben. Wie ein Polizist zur SZ sagte, ist der junge Mann Angestellter der Deutschen Bahn AG. Als er erwischt wurde, hatte er Dienstausweis und Diensthandy dabei. Wird das Urteil rechtskräftig, ist er möglicherweise die längste Zeit Bahn-Mitarbeiter gewesen.