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Teurer Stinkefinger

Der Angeklagte nötigt und beleidigt andere Autofahrer. Zeugen bezichtigt er der Lüge. Es hilft ihm aber nichts.

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© Jens Büttner/dpa

Von Jürgen Müller

Meißen. Es ist ein schöner Sonntagabend im Mai, die Sonne geht gerade unter, als eine junge Familie aus Leipzig von einem Ausflug nach Hause fährt. Nahe dem Autobahndreieck Nossen schert plötzlich ein weißer Renault Twingo von der Mittelspur auf die linke Spur, drängelt sich bei Tempo 140 vor den Opel Astra der Leipziger in den Sicherheitsabstand. Dessen Fahrer muss extrem stark bremsen, um einen Zusammenprall zu vermeiden. Danach blockiert der Renault die linke Spur, schleicht weiter, obwohl es keinen Grund gibt, zu bremsen oder langsam zu fahren. Man fotografiert sich gegenseitig. Plötzlich zeigt der Renault-Fahrer zweimal den „Stinkefinger“.

Das ist wohl die Spezialität des 37 Jahre alten Dresdners. Denn das wiederholt sich auch zwei Monate später auf einer Landstraße. Auch hier setzt sich der Mann mit dem Twingo vor ein anderes Auto, bremst es aus, zeigt dem Fahrer den „Stinkefinger“. Dann fährt er auf einen Parkplatz. Der Fahrer des anderen Autos folgt ihm, will wissen, was das soll. Auf dem Parkplatz kommt es nicht nur zu einem Wortgefecht. Der Dresdner schlägt die Tür des anderen Fahrzeugs zu, haut gegen den Außenspiegel. „So etwas habe ich noch nie erlebt. Der Mann hatte ein sehr einschüchterndes Auftreten“, sagt der geschädigte Autofahrer. Obwohl der Spiegel seines Fahrzeuges beschädigt ist, traut er sich nicht, auf dem Parkplatz auf die Polizei zu warten. Er hat schlicht Angst vor dem Mann, der mal eine Ausbildung im Sicherheitsgewerbe gemacht hat. Und als solcher fühlt er sich wohl nicht nur im Recht, sondern will auch bestimmen, wo und wie schnell es langgeht.

Nun sitzt der Mann vor Gericht. Beleidigung wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor, die Verfahren wegen Nötigung wurden allerdings vorläufig eingestellt.

Der Angeklagte nimmt sich ganz wichtig, schreibt alles mit, hat Fotos angefertigt. Seine Klunker, dicke Ringe an jedem Finger, teilweise mit Totenkopf, an die sich die Zeugen explizit erinnern, hat er zur Verhandlung abgelegt. Er bestreitet, jemals einen „Stinkefinger“ gezeigt zu haben, und das, obwohl das mehrere Zeugen in unterschiedlichen Situationen an verschiedenen Tagen gesehen haben. Und behauptet sogar frech, eine Zeugin habe gar nicht mit im Auto des Geschädigten gesessen. Auf den Fotos, die seine Lebensgefährtin geschossen hat, sei sie nämlich nicht zu sehen. Kann sie auch nicht. Denn die kleine, zierliche Frau saß auf der Heckbank hinter dem groß gewachsenen Fahrer. Wenn man aber genau hinschaut, sieht man Teile des blonden Schopfes.

Die frechen Lügen und die hilflosen Verteidigungsversuche helfen dem Mann aber nicht. Sowohl Staatsanwältin als auch Richter haben nicht nur aufgrund der sehr glaubwürdigen Zeugenaussagen keinerlei Zweifel, dass sich die Taten genau so zugetragen haben, wie angeklagt. Dabei hat er noch Glück, dass die Nötigungen nicht mehr verfolgt wurden. „Die Zeugen haben die von Ihnen herbeigeführten Verkehrssituationen als gefährlich und bedrohlich für ihr Leben empfunden“, stellt Richter Michael Falk fest und verurteilt den Angeklagten wegen Beleidigung in zwei Fällen zu einer Geldstrafe von 600 Euro. Ein „Stinkefinger“ kostet ihn also 300 Euro. Viel Geld für den Mann, der Arbeitslosengeld II bezieht. Aber er ist ja genügsam, sagt er dem Richter: „Ich bin aktiver Containerer“, sagt er und erklärt. „Ich beziehe meine Lebensmittel aus der Tonne.“