Das Kriegsende im Tharandter Wald

In den letzten Wochen vor Ende des Zweiten Weltkrieges verdichteten sich die Ereignisse in dem kleinen Kurort Hartha – Flucht, Todesmärsche, Kämpfe zwischen deutschen und sowjetischen Truppen. Vor einem Jahr haben Carola Ilian und Anke Binnewerg, beide ehrenamtliche Denkmalpflegerinnen, sich dazu entschlossen, die Ereignisse genauer zu untersuchen. Denn bisher ist noch nicht beleuchtet, was in sächsischen Orten zum Ende des Kriegs genau vorgefallen ist.
Bisher haben die beiden 140 Ereignisse allein in Hartha erfasst. Diese haben sie in einer Raumchronik dargestellt. Diese Chronik ist eine Karte, auf der eingetragen wird, wann und wo die Ereignisse stattgefunden haben. „Wir arbeiten mit aktuellen Karten, so können die Menschen das auch viel besser nachvollziehen“, sagt Anke Binnewerg. „Dann überlegt man zum Beispiel beim eigenen Haus: Was war hier denn überhaupt früher?“. Wenn sie Daten gefunden haben, haben Ilian und Binnewerg auch die einzelnen Orte besucht. Sie wollten nachvollziehen, ob die Ereignisse, wie sie dargestellt wurden, überhaupt plausibel sind. Als Beispiel nennt Binnewerg, dass sie geschaut haben, ob an bestimmten Wegen überhaupt genug Platz war, damit dort ein Panzer lang fahren konnte.

Die Initialzündung für das Projekt kam eigentlich von André Kaiser, erzählen die beiden. Der Ortsvorsteher und -chronist von Hartha hat sehr viel Material wie Erinnerungsberichte oder Tagebucheinträge aus der Zeit des Krieges. Ilian und Binnewerg hatten schnell eine ganze Fülle an Unterlagen zusammen und entschlossen, sich erstmal auf den Kurort Hartha zu konzentrieren.
Der nächste Schritt des Projekts ist ein Mitmach-Raum-Tagebuch. Die Idee ist es, einen Blog zu erstellen. Dort soll die Raumchronik veröffentlicht werden. Man kann dann einzelne Ereignisse auswählen. Diese sind mit Tagebucheinträgen, also detaillierten Informationen sowie Bilder gespickt. Das Tagebuch soll sich nicht nur auf Hartha konzentrieren, sondern auch weitere Orte in und um den Tharandter Wald - wie Niederschöna oder Pohrsdorf - umfassen. Voraussichtlich soll der Blog im Frühjahr 2023 veröffentlicht werden. Neben dem Blog ist aber noch mehr geplant, um die Erinnerungskultur aufrechtzuerhalten. Zwei Ideen sind Erkundungen durch die Ortschaften oder Erzählcafés, wo Zeitzeugen ihre Erlebnisse teilen.
Wer kann bei der Raum-Chronik mitmachen?
Grundsätzlich kann jeder mitmachen, egal ob interessierter Bürger, Vereine oder Initiativen. Es gibt verschiedene Aufgabenbereiche. So können Personen beispielsweise Material wie alte Polizeiberichte oder Tagebucheinträge zur Verfügung stellen, aber auch persönliche Erinnerungen teilen. Die beiden Frauen suchen außerdem Unterstützung für die Recherche, dem Verfassen der Tagebucheinträge sowie das Organisieren von Veranstaltungen. Interessierte können sich per E-Mail oder über Binnewergs Website zeitformen.com melden. Es ist auch geplant, laufende Informationen im Amtsblatt von Tharandt zu veröffentlichen.
Viele Fragen sind noch offen, sagt Carola Ilian. Während der Recherche sind noch mehr dazugekommen. Die beiden betonen, dass es ein partizipatives Projekt ist. Ihnen ist es wichtig, mit den Anwohnern, die Erinnerungskultur zu bewahren und erweitern. Sie hoffen, gemeinsam diese Fragen beantworten und nachvollziehen zu können, was die letzten Wochen vor Kriegsende im Tharandter Wald passiert ist.