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Das Ungeziefer muss weg

Philipp Lux inszeniert Kafkas „Die Verwandlung“ mit Schauspielern im Teenager-Alter.

Von Marcel Pochanke
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Philipp Lux
Philipp Lux © Ronald Bonß

Das bin ich mit meinen unbehauenen Worten und viereckigen Mienen“ – so äußerte sich Franz Kafka als 18-Jähriger über sich selbst. Die berühmte Erzählung „Verwandlung“ schrieb er 1912, also zehn Jahre später. Die Verwandlung Gregor Samsas in einen Käfer als Bild für das, was pubertierende Jugendliche durchmachen? Für Philipp Lux lag das auf der Hand. Der Dresdner Schauspieler hat ein ausgesprochenes Faible für Kafkas längste zu Lebzeiten vollendete Erzählung. Seit der ersten Lektüre zu Schulzeiten hat er ihn immer wieder auf Bühnen vorgelesen. Auf das Angebot des Staatsschauspiels hin, an der Bürgerbühne ein Stück mit Heranwachsenden zu inszenieren, ergriff er die Gelegenheit, den Stoff selbst zu bearbeiten und zu inszenieren.

Dabei hatten er und das Dramaturgieteam auf der Suche nach Stoffen auch allerhand aktuelle Jugendliteratur gelesen. Fand sich da nichts Passendes? „Es hat mich nicht so angesprungen“, sagt Lux, der seit 1999 zum Ensemble des Staatsschauspiels gehört und jetzt seine fünfte Regiearbeit vorlegt.

Das Unwohlsein im eigenen Körper, die Beobachtung von bizarren Veränderungen daran, Eltern, die einem mit Ablehnung und Unverständnis begegnen, bis hin zum zunehmend vermüllten Zimmer – all dies sind sehr reale Puzzlestücke der Erzählung, die so wunderlich mit dem berühmten Satz beginnt, dass Gregor Samsa als „ungeheures Ungeziefer“ aus unruhigen Träumen erwacht. Bis hin zu der Frage, wer angesichts der kaltblütigen, zweckgesteuerten Charaktere aus der Erwachsenenwelt eigentlich das Ungeziefer ist. Bleibt die vermeintliche Schwierigkeit, das oft klausurgeprüfte Stück aus dem Kanon der Weltliteratur Teenagern in ihrer Frei- und Ferienzeit schmackhaft zu machen. Die habe es überhaupt nicht gegeben, sagt Philipp Lux ohne Zögern. 120 Bewerber wollten in dem Stück mitspielen, zwölf im Alter zwischen 14 und 21 wurden nach vier langen Vorspiel-Tagen im Juni schließlich ausgewählt. „Sie vertrauen sehr und haben unglaubliche Lust“, sagt Lux über die Arbeit mit den jungen Schauspielern, die anders als in vielen Inszenierungen der Bürgerbühne nicht ihre eigene Biografie in den Vordergrund stellen werden. „Es ist kein Abend über Pubertät“, betont der Regisseur, das Heranwachsen sei eher eine Folie, die noch mal über den Kafka drübergelegt wird, der aber immer durchscheint. Es geht um Bitternis und tiefes Leiden, aber eine Inszenierung von Philipp Lux ist zugleich ohne eine reichliche Beimischung von Humor nicht denkbar.

Überrascht hat ihn während der Proben, wie wenig verklemmt über die Konflikte der Pubertät gesprochen wurde. Das sei ihm aus seiner Zeit als Teenager Ende der 80er-Jahre anders in Erinnerung. Sonst finde er sich in vielen Szenen der „Verwandlung“ wieder, erzählt er. Wenn die jungen Schauspieler während der Proben an ihre Grenzen stießen, dann vor allem körperlich. „Die eigene Unruhe zu beherrschen, sich selbst ganz bewusst zu bewegen, das verlangt ihnen viel ab“, berichtet Lux, der seit vielen Jahren mit Jugendlichen zusammenarbeitet und inzwischen das Dresdner Schauspielstudio leitet. Dabei legt er eine Gelassenheit an den Tag, wie sie in den letzten Tagen vor einer Premiere selten ist. Seine Sicht auf „Die Verwandlung“ ist, trotz aller Unwägbarkeiten bei einer in die Tiefe gehenden Inszenierung mit jungen Laien, für ihn als Theaterstück aufgegangen: Über das „Leben, das da draußen über die Steine stolpert, wie die arme Postkutsche, die von Liboch nach Dauba humpelt“, wie Kafka mit 18 schreibt.

Bei aller Freude, die Philipp Lux in den Proben erlebt: Die Verwandlung bei Kafka geht bitter aus. „Eine Entwicklungstragödie“ lautet der Untertitel. Das zieht er durch. Wobei, wie er durchblicken lässt, hält er dem finsteren Ende doch eine Hintertür offen. Mehr verrät er im Vorfeld aber nicht.

„Die Verwandlung“ nach Franz Kafka, Bürgerbühne des Staatsschauspiels, Kleines Haus. Premiere am Sonnabend, 19.30 Uhr. Alle Termine im Dezember sind ausverkauft, weitere Termine: 16., 24., 31. Januar. Kartentelefon: 0351 4913555