Von Andreas Herrmann
Zittau/Görlitz. Der internationale Kindertag 2016 wird eine besondere Note in Zittau haben: Denn für das trinationale Jugendorchester Europera soll sich ab 1. Juni eine neue Zukunft eröffnen: Unterm Dach des Gerhart-Hauptmann-Theaters wird die Geschichte des einmaligen Klangkörpers fortgeschrieben, der sich seit kurzem Europera Youth Orchestra (EYO) nennt. „Unsere beiden Projektmanagerinnen werden ab Juni am Theater arbeiten“, sagt Villa-Geschäftsführer Jens Hommel und spricht zuversichtlich vom kulturellen Neuland, was nun betreten werde. „Sie bekommen dort arbeitsrechtlich nun sogar längerfristige Sicherheit als bei uns.“ Denn am Theater sind die Verträge an die Spielzeit, an der Villa nur an geförderte Projektzeiträume gekoppelt.
Als gemeinsame Arbeitsgemeinschaft zwischen der Bühne und dem soziokulturellem Zentrum soll nun der seit vier Jahren währende Kampf ums Überleben des einzigartigen Klangkörper mit jungen Leuten zwischen 14 und 26 Jahren aus den Musikschulen der Euroregion weiter geführt werden. Dabei hat das Theater künftig den Hut auf. Hommel, seit Dezember 2014 im Amt, beschreibt den neuen Weg als notwendigen Prozess, der lange beraten und weitreichend im Landkreis und im Kulturraum abgestimmt sei. „Es gibt mehrere kulturpolitische Aspekte für diesen Schritt. Der erste und wichtigste ist eine langfristige Perspektive, die wir als soziokulturelles Zentrum nicht bieten können.“ Man habe in den vergangenen Jahren zwar alle Klinken von Zittau bis Dresden geputzt, um die Bekundungen, dass das Orchester einzigartig und für die Region überaus wichtig sei, in eine institutionelle Förderung zu überführen. Leider vergeblich, so zuckt Hommel heute mit den Schultern: „Wenigstens eine Sockelfinanzierung müsste doch möglich sein, dachten wir.“
Abschied vom Elite-Konzept
Dem ist nicht so, sowohl beim Kulturraum Niederschlesien-Oberlausitz wie auch bei der Kulturstiftung des Freistaates Sachsens sind nur einzelne Projektförderungen drin. „Wir haben daher das Orchester in den letzten Jahren umbauen müssen zum reinen Projektorchester mit minimierten Kosten in den Leerlaufzeiten. Aber es passt auch vom Charakter her nicht zu unserem Haus“, erklärt Hommel den Gegenwind, der seinem Haus auf der kommunalen Ebene, aber auch aus der eigenen Szene ereilte. Denn nur wenige der Musikschüler leben in komplizierteren sozialen Verhältnissen oder stammen aus so genannten Problemfamilien. Das trifft in der Regel auch auf das Publikum zu.
Gemeinsam mit allen Partnern – also auch den Direktoren der Musikschulen in der Euroregion – gab es so, vor allem der Geldnot geschuldet, seit drei Jahren ausdauernde Zukunftsklausuren, bei denen auch Vertreter des Theaters aus beiden Standorten dabei waren. Konsens war der Wunsch zur Rettung des Orchesters, aber auch der Abschied vom zuvor gepflegten Elitegedanken, der vor allem eine Überforderung der deutschen Musikschüler darstellte, weil das Niveau der (kostenlosen) Musikschulen in Polen, aber vor allem in Tschechien einfach höher ist. Eine weitere Erkenntnis der Gespräche: Das Theater hält Sachen vor, die sich die Hillersche Villa immer erst besorgen muss: „Das betrifft Probenräume, Instrumente, Fachpersonal, aber auch das gesamte Marketing sowie Fahrzeuge“, erklärt Hommel.
Derweil müssen sich dessen Gesellschafter, der Landkreis und die Stadt Görlitz, verbindlich äußern und die Modalitäten der Zusammenarbeit in der Arbeitsgemeinschaft erörtern. Jens Hommel ist da grundlegend zuversichtlich: Wann und wie oft man sich trifft, sei jetzt noch nicht wichtig. Gut sei, dass alle an einem Strang ziehen und dass die unterschwellige Kritik an der Hillerschen Villa wegen angeblicher Vernachlässigung der Soziokultur vom Tisch sei. Aber gerade bei der Vernetzung in der Region – so bei neuen Kooperationen mit den Kindergärten zwecks frühmusikalischer Bildung – bleibt die Hillersche Villa auf jeden Fall eine wichtige Stütze. „Wir werden die Zusammenarbeit einüben und natürlich unsere Kompetenzen bei Förderprogrammen weiter zur Verfügung stellen“, betont Hommel.
Die neue Gemeinschaft mit dem Hauptmann-Theater, welches nach der neuerlichen Fusion seit nunmehr fünf Jahren mit Görlitz liiert ist, löst notwendigerweise Erinnerungen aus. Denn Europera wurde im Oktober 1992 auf Initiative des damaligen Intendanten des Görlitzer Musiktheaters, Wolf-Dieter Ludwig, gegründet und sollte damals mehr als zweihundert musikalisch besonders begabten Jugendlichen aus Polen, Tschechien und Deutschland von 17 Musikschulen der Euroregion Neiße in mehreren Formationen gemeinsames Musizieren auf hohem Niveau ermöglichen. Das trinationale Jugendsinfonieorchester, zeitweise sogar ergänzt um einen Europera-Chor, gab in den ersten zwei Jahrzehnten über 200 Konzerte, auch in Frankreich, Florenz, Brüssel oder Prag, steckte aber seit 2007 in einem komplizierten EU-Fördertopf und bekam bei der Abrechnung ernste Probleme mit der Sächsischen Aufbaubank. Karl Strauss, kaufmännischer Leiter der Villa, und Kulturmanagerin Katarzyna Kudzewicz retteten das Projekt ab Mai 2012 und fanden mit Manuel Pujol und Frederic Tschumi zwei junge Dirigenten, die sich darauf einließen, den Klangkörper in arg abgespeckter Form weiter zu entwickeln. Also immer dann zu spielen, wenn neue Mittel eingeworben sind. Seit 2013 sind im Schnitt vier Mal jährlich Probenlager und Konzertreise angesetzt. So wie jüngst gemeinsam mit dem Landesjugendorchester. Dafür gab der Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien 35 000 Euro seiner Projektmittel. Das ist viel. In Sachen Klassik bekommt nur die Stadt Bautzen für ihren Lausitzer Musiksommer mit acht Tagen Programm an sechs Orten ein wenig mehr.
Katarzyna Kudzewicz, die nun mit ihrer Mitstreiterin Andrea Fietzke ans Theater wechselt, ist wie ihr Geschäftsführer Hommel zuversichtlich: „Durch die Synergien mit dem Theater ergeben sich neue, zukunftsweisende Perspektiven. Wir können die dort bestehenden um neue, spartenübergreifende Spielformen ergänzen. Und wir werden auf jeden Fall sowohl den kammermusikalischen Bereich als auch große sinfonische Orchesterbesetzungen bedienen.“ Außerdem möchten die beiden Frauen gemeinsam mit dem Theater innovative Projektideen entwickeln und den Schwerpunkt auf grenzübergreifende trinationale Arbeit setzen.
Das dürfte spannend werden, denn die Hauptmann-Bühne pflegt ja schon seit Jahren eine prosperierende Schauspielkooperation mit Liberec und Jelenia Gora, die alljährlich im Theaterfestival „3LänderSpiel“ (wieder am 26. bis 28. Mai) gipfeln. Allerdings konkurrieren Theater und Jugendorchester dann womöglich um Fördermittel aus den selben EU-Programmen. Dazu kommt das Görlitzer Straßentheaterfestival ViaThea: international ausgerichtet, direkt am Theater angesiedelt und stets förderbedürftig.
Kein Wechsel nach Görlitz
Eine Sache schließt Jens Hommel generell aus: eine Verlegung an den Gründungsort Görlitz, wo die Musiksparte und die Neue Lausitzer Philharmonie samt Probensaal sitzt. „Wir wollen die neue Verknüpfung hier im Dreiländereck. Auch die Stadt Zittau steht zu Europera.“ Seit Jahren zahlt sie 10.000 Euro pro Jahr und half in den heißen Phasen zweimal mit zinslosen Darlehen.
Wie gut das Orchester derzeit funktioniert, kann man in der Lausitz nachhören: Es spielt zur Preisverleihung des Neißefilmfestes mit kleinem Ensemble am 14. Mai (17 Uhr) im Dom Kultury in Zgorzelec und zwei Wochen später gemeinsam noch einmal mit dem Landesjugendorchester Sachsen beim deutsch-polnischen Parkfest auf der Schlosswiese vor dem Neuen Schloss des Fürst-Pückler-Parkes Bad Muskau beim „Konzert der Kulturen“ (28. Mai, 18 Uhr).
Danach ist, so der Plan aufgeht, ein großes Sommerprojekt als musikalische Ferienspiele mit drei Wochen und anschließendem Festivalauftritt in Italien geplant. Auch die Euroregion Neiße will das Orchester für ihren 25. Geburtstag am 23. September in Liberec buchen. Auch die Hälfte der Herbstferien haben die Musikschüler schon verplant: Hier soll es eine Kooperation mit einem Chor geben. Die kurzfristige Zukunft heißt für Katarzyna Kudzewicz und Andrea Fietzke: Kisten packen und Umzug ins benachbarte Theater, um ab Juni dort in neuem Umfeld zu arbeiten.