Kommt die Wildschwein-freie Zone von Görlitz bis Zittau?

Die Gerüchteküche brodelt heftig: Der ehemalige Klosterwald bei Dittersbach wird wegen der Schweinepest eingezäunt und alle Wildschweine abgeschossen - hieß es vor Kurzem. Wieso aber nur dieser Wald und was ist mit den Straßen, die dort entlang führen? Und wer soll das eigentlich alles machen? Mit solchen Fragen haben Landwirte und Landbesitzer Bernstadts Bürgermeister Markus Weise (Kemnitzer Liste) bestürmt. Antworten hatte dieser zunächst - trotz umfangreicher Bemühungen - nicht parat. Das erklärte er jüngst im Stadtrat. Inzwischen lichtet sich das Informationschaos. Was also streckt dahinter? Und gibt es solche Fragen nur in Dittersbach oder im ganzen Kreisgebiet? Eine Einordnung und Erklärung:
Noch ein Zaun gegen die Schweinepest?
Anfang 2020 ist der erste Wildschweinzaun direkt entlang der deutsch-polnischen Grenze errichtet worden. Dass er mit Afrikanischer Schweinepest (ASP) infizierte Schweine nicht hundertprozentig abhalten kann, war klar. "Zäune spielen eine wichtige Rolle, aber ein Zaun allein reicht nicht", sagt Udo Mann, Amtstierarzt des Kreises und zuständig für die ASP-Bekämpfung. Deshalb macht der Freistaat nun einen zweiten Schritt: Es wird einen zweiten Zaun geben. "Im Idealfall wird er in zehn Kilometer Entfernung zum ersten Zaun an der Grenze errichtet", sagt Udo Mann und fügt hinzu: "Allerdings wird das, je weiter man nach Süden kommt, allein schon wegen der natürlichen Gegebenheiten nicht möglich sein." Das hieße nämlich zum Beispiel auch, dass der Zaun mitten durch Zittau führen würde - weder machbar noch sinnvoll.
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Wo wird der zweite Zaun verlaufen?
Das erste Stück dieses zweiten Zaunes, der ein festerer Maschendrahtzaun ist, steht bereits: vom Truppenübungsplatz entlang der B115 über Rothenburg bis kurz vor Görlitz. Dort soll es jetzt weitergehen. "Der genaue Verlauf steht noch nicht abschließend fest, aber anvisiert ist, dass der Zaun von Friedersdorf bei Görlitz einen Bogen südlich des Berzdorfer Sees machen und dann östlich des Kleinen Nonnenwaldes weiter in Richtung Zittau laufen wird", sagt Udo Mann. Das fragliche Waldstück westlich von Dittersbach auf dem Eigen wird demnach von diesem Zaun mit umschlossen werden und damit innerhalb des entstehenden Schutzkorridors liegen.
Werden in der Schutzzone alle Wildschweine geschossen?
Pauschal kann man das nicht sagen. "Ziel ist es, eine zuvor festgesetzte Zahl von Schweinen je 100 Hektar zu erreichen, um die Infektionskette zu unterbrechen", umreißt der Amtstierarzt den Plan. In Ungarn sei der Nachweis erbracht worden, dass dies der Fall sei, wenn auf 200 Hektar nur noch ein Wildschwein zu finden sei. Ob dieser Maßstab hier auch angewendet wird, ist noch unklar. Fest steht aber, dass durch verstärkte Jagd der Bestand im Schutzkorridor deutlich abgesenkt werden muss, damit das Virus nicht mehr weitergetragen wird. "Und anschließend muss dieser Status quo für drei bis vielleicht fünf Jahre gehalten werden", erläutert Mann den Plan. Dafür braucht es vor allem die Jäger vor Ort, die mit dem Kreis auch bislang schon die Dezimierung der Schwarzwildbestände massiv vorangetrieben haben.
Wie ist aktuell der Wildschweinbestand?
Das ist schwer zu sagen, weil viele Wildschweine sich momentan nicht unbedingt im Wald, sondern auch in den Raps-, Mais- oder Getreidefeldern aufhalten. "Wir hatten aber zuletzt Schwerpunkte vor allem am Süd- und Westufer des Berzdorfer Sees auf der Kippe und auch am Bärwalder See", steckt der Amtstierarzt die Brennpunkte ab. Im Norden des Kreises - wo es schon einen Doppelzaun gibt - ist die Lage derzeit offenbar entspannt: "Durch die bereits erfolgte intensive Bejagung und die Wirkung des Virus gibt es von Bad Muskau bis Rothenburg und darüber hinaus einen kaum messbaren Schweinebesatz. Und auch aus Polen kommen kaum noch Tiere über die Grenze", bilanziert der Vorsitzende des Jagdverbandes Niederschlesische Oberlausitz Hans-Dietmar Dohrmann. Genaueres werde man aber erst nach der Ernte, im Herbst, sehen.
Müssen die Landbesitzer das dulden?
Ja, denn die Seuchenbekämpfung hat Vorrang, heißt es von Kreisseite. Noch sind nicht alle Landeigentümer oder Landnutzer in die Pläne eingeweiht, Abstimmungen laufen noch. Für die Information der Grundstückseigentümer ist die vom Freistaat beauftragte List GmbH zuständig. Die Stadt Bernstadt, zu der Dittersbach gehört, hat inzwischen schon eine erste Information von der List erhalten und sie auf der Internetseite eingestellt. Der Landkreis will selbst auch über das Vorhaben informieren und so Klarheit schaffen - vor allem bei den Landwirtschaftsbetrieben. Mit dem weiteren Zaunbau ist wohl erst im Herbst zu rechnen.
Wer bezahlt das eigentlich alles?
Den Zaun plant und baut der Freistaat. Er bietet zudem über den Landesjagdverband auch Unterstützung für Jagden an. Dafür müssen die jeweiligen Jagdleiter ihren Bedarf konkret anmelden - je nachdem, ob Technik, Organisatorisches oder personelle Verstärkung gewünscht ist. Kreis-ASP-Experte Udo Mann macht aber deutlich, dass es eine Verstetigung dieser Unterstützung brauche, um dann auch den Schutzkorridor in den nächsten Jahren weitgehend wildschweinfrei zu halten. Vielen Betroffenen - und bei 120 Jagdrevieren, die allein im Landkreis in dieser Schutzzone liegen - brennt aber noch etwas anderes auf den Nägeln: Erhalten sie einen Pachterlass oder Streckenausgleich oder Ausgleich für ihre Jagden, weil sich Wildfleisch ja kaum noch vermarkten lässt, der Aufwand aber höher ist?
Kritik: Kein Verhältnis von Aufwand und Nutzen
So einleuchtend die Idee mit der Pufferzone ist - sie hat Schwachstellen. Das sind vor allem die Stellen, wo der Zaun für Straßen oder Wege unterbrochen werden muss. Hans-Dietmar Dohrmann ist zudem skeptisch, ob denn die Abschirmung gen Osten überhaupt noch sinnvoll ist, wenn infizierte Schweine längst weiter im Landesinneren gefunden wurden und ja auch wieder zurück, nach Osten, wandern können. Den Schweinehaltern im Kreis Görlitz jedenfalls bringen zwei Zäune und ein Schutzkorridor nichts. Sie liegen weiterhin im Seuchengebiet und können ihr Fleisch und ihre Tiere nur sehr eingeschränkt vermarkten.