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Die Angst vor dem Wolf

Dreimal schlug der Wolf in Reichenbach zu. Die Sorge unter den Einwohnern wächst. Und die Forderungen nach Abschüssen werden lauter.

Von Constanze Junghanß
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André Bürger hatte im November die Überreste des Schafes in diesem Zustand vorgefunden.
André Bürger hatte im November die Überreste des Schafes in diesem Zustand vorgefunden. © Constanze Junghanß

Einige Anwohner in Niederreichenbach sind verunsichert. „Ja, ich habe auch etwas Angst“, sagt eine Frau, die aktuell ihre Enkel nach Einbruch der Dämmerung nicht mehr draußen wissen will. Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen. Wie auch andere Befragte nicht: Der Wolf sei ein „heikles Thema“ und man fühle sich „von der Politik im Stich gelassen mit seinen Sorgen“, heißt es. Die Menschen haben Bedenken, auf Unverständnis zu stoßen, wenn sie öffentlich von „Entnahme“ sprechen. Gedanken über einen Abschuss? Das Wort fällt eher hinter vorgehaltener Hand.

Dabei hat ihre Angst einen realen Hintergrund: Isegrim schlug zum dritten Mal zu. Nicht im Wald, nicht abseits von Straßen. Sondern im bewohnten Gebiet. Niederreichbach beginnt gleich hinter den Neubauten. Einfamilienhäuser und Gehöfte prägen das Bild. Und weite Felder und Koppeln oberhalb der Straße mit Schafen, Ziegen, Kühen und Pferden. Ein idyllischer Kleinstadtrand. Das Stadtzentrum befindet sich keinen Kilometer entfernt.

Ende Juni kam das Raubtier wieder

Im November des Vorjahres holte sich ein Wolfsrudel ein Schaf aus Niederreichenbach. Nur Knochen und Hufe blieben übrig. „Da sah ich das noch locker“, sagt der betroffene Landwirt André Bürger heute. Die Wölfe hätten wohl Hunger gehabt. Er hoffte auf einen einmaligen Vorfall.

Ende Juni 2021 kam Lupus jedoch wieder. Offenbar allein. Erneut griff er Tiere der Landwirtschaft von André Bürger und seiner Frau Doreen an. Zwei Ziegen – eine tot, ein Zicklein schwer verletzt. Trotz Elektrozaun. Die darauffolgende Nacht richtete der Wolf ein Blutbad bei Schafen eines Hobbyschafhalters an. Drei tote Schafe, zwei verletzte, ein vermisstes Lamm waren die Folge des Angriffs.

Auch das Zicklein ist mittlerweile gestorben. Die Verletzungen waren zu schwer. Dass der Wolf der Verursacher ist, bestätigte die Fachstelle Wolf des Freistaats. „Anhand der vorgefundenen Spuren und Rissmerkmale wurde der Wolf mit hinreichender Sicherheit als Verursacher festgestellt“, sagt Karin Bernhard, Pressesprecherin des Landesumweltministeriums. Bei den Schafen seien allerdings die Anforderungen an den Mindestschutz nicht erfüllt gewesen. Deshalb gibt es für den Halter keine Entschädigung.

„Wölfe scheinen keine Angst vor Menschen mehr zu haben“

„Es wird zu wenig für die Tierhalter gemacht“, findet eine Anwohnerin. Ihr wäre es lieb, der Wolf würde so vertrieben, dass er nicht in die Wohngebiete reinkommt. „Man soll ja nicht alle Wölfe wegschießen“, sagt sie. Aber die Vergrämung aus Siedlungsgebieten fände sie sinnvoll. „Die Wölfe scheinen keine Angst vor den Menschen mehr zu haben“, schätzt eine Nachbarin ein. Früher habe sie das mit den Wölfen keinesfalls verbissen gesehen. Natur halt. „Nun waren hier dreimal Wölfe. Da bin ich schon dafür, dass geschossen werden darf“, sagt sie und befürchtet, der Graurock komme nun regelmäßig. Ein Mann winkt ab: Die Politik würde sowieso nichts ändern.

Nadine und Tony, ein junges Paar aus den Neubauten, spaziert gern am Feldrand entlang. „Ich habe zwar keine Angst, aber etwas gefährlich finde ich die Situation schon“, sagt die junge Frau. Ihre Meinung sei zweigeteilt: Der Wolf im Wald sei „völlig in Ordnung.“ Im bewohnten Gebiet jedoch sei das eine andere Situation. Auf Facebock schreibt eine Anwohnerin zu einem Beitrag über den dritten Riss: „Jedem dürfte langsam aber sicher die Nutztierhaltung vergehen. Das ist kein Tierschutz mehr. Naturschutz geht hier zulasten kleinbäuerlicher Strukturen und der Kulturlandschaft.“

Vorsitzender der Jagdgenossenschaft Reichenbach ist Reinhard Weigt. Er spricht sich für einen „geregelten Eingriff“ aus. Heißt? „Abschuss. Die Wolfsdichte ist zu hoch hier“, sagt er. Ein Wolf in einem bewohnten Gebiet sei immerhin ein auffälliges Tier. „Ich glaube jedoch nicht, dass der Wolf gezielt Menschen angreift“, sagt der Jagdvorsteher. Allerdings sei es in den vergangenen Jahren immer wieder mal zu Ausbrüchen von Herdentieren aus den Koppeln gekommen. Das sei zum Großteil auf Wölfe zurückzuführen.

Herdentiere durchbrechen panisch Zäune

Und nicht ungefährlich: Wölfe nahe den Koppeln sorgten für Panik bei den Herdentieren, die dann Zäune durchbrechen, auf die Straße rennen und schlimmstenfalls einen schweren Unfall beim Zusammenstoß mit Fahrzeugen verursachen könnten. Auch bei André Bürger brachen einen Tag nach dem letzten Wolfsriss sieben Bullen aus. Der Zaun war eingerissen, die Tiere standen auf einer kleinen Nebenstraße nahe der B6. „Wenn Wölfe die Herde umschleichen, werden die Tiere unruhig“, sagt der Landwirt. Ob der Ausbruch der Bullen tatsächlich auf Isegrim zurückzuführen ist, sei nicht sicher, aber vorstellbar.