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Todesrisiko Schwarzarbeit

Ein palästinensischer Arbeiter wird an der Mauer in Jerusalem erschossen.

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Von Ben Hubbard, Sair

„Er wollte nur Geld verdienen, um seine Familie zu ernähren“, sagt Seinedin Kawasbeh über seinen Bruder. Issedine Kawasbeh war 35 Jahre alt und Vater von fünf Kindern, das sechste ist unterwegs. Am Sonntag wurde der Bauarbeiter aus dem Westjordanland von einem israelischen Polizisten erschossen, als er sich zum Tagewerk nach Jerusalem schleichen wollte. Sein Tod wirft ein Schlaglicht auf das Risiko, das Tausende Palästinenser auf sich nehmen, die verzweifelt Arbeit suchen und keine Einreiseerlaubnis nach Israel erhalten.

Wie Kawasbeh klettern sie im Schutz der Dunkelheit über die meterhohe Mauer, mit der sich Israel seit 2002 gegen mögliche Selbstmordattentäter abschottet. Manche von ihnen schuften ausgerechnet auf Baustellen jüdischer Siedlungen auf ebendem Land, das einmal zu einem palästinensischen Staat gehören soll. Die Arbeiter sagen, sie hätten zu viel damit zu tun, ihre Familien durchzubringen, als dass sie sich über die Gefahren oder die Art ihres Jobs Gedanken machen könnten. Im Westjordanland gibt es kaum Arbeit, und man verdient nur halb so viel wie auf einer israelischen Baustelle. Aus Orten wie Kawasbehs Heimatdorf Sair machen sich jede Woche Hunderte auf den weg zur Arbeit nach Israel.

Um Israel und die Siedlungen zu betreten, brauchen die Einwohner des Westjordanlands eine Genehmigung. Israel argumentiert, die palästinensischen Arbeiter müssten genauestens überprüft werden, um mögliche Terroristen herauszufiltern. Rund 20000 Palästinenser haben eine Arbeitserlaubnis für Israel und ebenfalls 20000 für Siedlungen im Westjordanland. Dazu kommen bis zu 15000 ohne Papiere heimlich über die Grenze.

In Israel verdienten sie umgerechnet rund 30 Euro am Tag, berichten die Arbeiter auf der Beerdigung, etwa doppelt so viel wie im Westjordanland. Um möglichst nicht erwischt zu werden, bleiben die meisten die Woche über da und übernachten auf der Baustelle im Freien. Ältere, verheiratete Männer gelten in Israel weniger als Sicherheitsrisiko und erhalten eher mal eine Arbeitserlaubnis – doch Kawasbeh bekam nie eine. (dapd)