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Tödliche Rolle am Zschirnstein

Das Polizeimuseum Dresden sammelt Beweisstücke sächsischer Krimigeschichte. Ein Klumpen Alu, ein Stück Ölleitung und Schrauben erinnern an einen Flugzeugabsturz in der Sächsischen Schweiz. Ein Fall von Übermut.

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© Ronald Bonß

Von Thomas Schade

Es ist kaum zu erkennen, was dieses Gebilde aus Aluminium einmal war. Auch Wolfgang Schütze weiß nicht, wie er das Gussteil mit den Schrauben, Muttern und abgerissenen Ölleitungen bezeichnen soll. Der Betreuer der polizeihistorischen Sammlung in der Dresdner Polizeidirektion weiß aber, dass es nicht vom Tatort eines Verbrechens stammt. Kollegen haben den Metallklumpen aus der Sächsischen Schweiz. mitgebracht – von einem Trümmerfeld am Großen Zschirnstein bei Kleingießhübel. Dort endete am 14. Februar 2010 der Flug Nummer 039 C in einer Katastrophe – zwei Menschen starben. Wie sich später herausstellen sollte, hatte weder ein Fehler an dem Teil noch ein anderer technischer Defekt zu den tragischen Ereignissen geführt.

Die Pirnaer Ausgabe der Sächsischen Zeitung am Tag nach dem Unglück. Damals war die Ursache für den Absturz noch völlig unklar.Repro: SZ.
Die Pirnaer Ausgabe der Sächsischen Zeitung am Tag nach dem Unglück. Damals war die Ursache für den Absturz noch völlig unklar.Repro: SZ.

Wolfgang Schütze bewahrt das Exponat neben vielen anderen unterm Dach der Polizeidirektion in der Dresdner Schießgasse auf. Dort hütet der Polizeioberkommissar eine zum Teil jahrhundertealte Sammlung von Asservaten aus der sächsischen Polizeigeschichte. Vor 100 Jahren gab es dort ein Kriminalmuseum, das mit 70.000 Exponaten zu den größten polizeihistorischen Sammlungen der Welt zählte. Nach 1945 fiel die Sammlung auseinander. Seit 1990 bemüht sich die Dresdner Polizei, erhaltene Teile der Sammlung und neue Stücke wieder zu präsentieren. Jedes Exponat erzählt sein eigenes Stück Kriminalgeschichte. Im Fall des Flugzeug-Wrackteils vom Zschirnstein ist es eine Geschichte von Tragik und Übermut.

An jenem Sonntagabend im Februar 2010 wird die Bundesstelle für Flugunfallforschung in Braunschweig um 20.38 Uhr darüber informiert, dass über der Sächsischen Schweiz das Kleinflugzeug vom Typ Cessna 550 B Citation mit dem Kennzeichen OK-ACH vom Radar der zuständigen Flugüberwachung verschwunden ist. Ein Hubschrauber der Bundespolizei kreist bereits über der Gegend. Mit einer Wärmebildkamera entdeckt die Besatzung gegen 22.30 Uhr brennende Wrackteile in einem dicht bewaldeten Gebiet, wenige Kilometer entfernt von der tschechischen Grenze.

Schnell sind mehr als 50 Feuerwehrleute aus den umliegenden Orten an der Absturzstelle. Kerosingeruch liegt in der kalten Nachtluft. Der Flugzeugtreibstoff hat sich als schmieriger Film über den Schnee gelegt. Die Rettungskräfte stehen vor einem Trümmerfeld. Die Cessna, ein zweistrahliges, elegantes Geschäftsflugzeug mit langer schmaler Spitze, ist offenbar an dem Hang zerschellt, der hinauf zu dem 561 Meter hohen Ausflugsfelsen führt. Der Aufschlag hat einen 16 mal 16 Meter großen und zwei Meter tiefen Krater hinterlassen. Überlebt, das ist den Rettungskräften schnell klar, hat den Absturz keiner. Dennoch ist zunächst ungewiss, wie viele Menschen in der Unglücksmaschine saßen. In der Nacht macht sich eine Gruppe der Braunschweiger Flugunfalluntersuchung auf nach Sachsen.

Die Absturzstelle ist nur mit Allradfahrzeugen oder Schneeketten erreichbar. Das bekommen vor allem die Einsatzkräfte zu spüren, die am nächsten Tag nach den Insassen suchen und die Trümmer bergen. Viele Wrackteile müssen zu einer Sammelstelle getragen werden. Leichenspürhunde sind vor Ort. Kripo und Kriminaltechniker untersuchen den Unglücksort.

Einer von ihnen, erzählt Sammlungsleiter Wolfgang Schütze, bringt später das Flugzeugteil mit. Nach drei Tagen findet die Polizei den Flugschreiber und den Stimmenrekorder der Maschine. Auch die sterblichen Überreste einer Frau und eines Mannes sowie deren Ausweispapiere werden geborgen. Wie sich später bestätigt, waren nur die Piloten an Bord der Maschine.

Die Ermittlungen ergeben, dass der tschechische Ex-Rennfahrer und Sportmanager Antonin Charouz, damals 55, Eigentümer der Cessna ist. Wenn er die Maschine nicht selbst nutzte, vermietete er sie an eine Lufttaxi-Firma namens „Time Air“.

Auch auf dem Unglücksflug 039 C war die Lufttaxi-Firma „Time Air“ mit der Maschine unterwegs. Die Cessna war am frühen Sonntagabend von Frankreich zurück nach Prag gekommen. Aus dem Fluguntersuchungsbericht geht hervor, dass es der erste Flug der Pilotin Barunka B. an diesem Tag war. Ihr Copilot verließ die Cessna in Prag. Für ihn stieg Hendrich P. ins Cockpit, der an diesem Tag um die Mittagszeit zwei Flüge absolviert hatte. Die 27-jährige Tschechin und ihr 32-jähriger Copilot starteten wenige Minuten nach 20 Uhr von Prag aus zu einem sogenannten Bereitstellungsflug nach Karlstadt in Schweden. Eine Strecke von etwa 1.000 Kilometern. In Schweden sollten sie den tschechischen Rallye-Fahrer Martin Prokop abholen. Der 27-Jährige war im Jahr zuvor Juniorenweltmeister geworden und an diesem Wochenende ein Rennen in Karlstadt gefahren.

Im Unfallbericht der achtköpfigen Kommission aus Braunschweig wird detailliert rekonstruiert, was sich nach dem Start in der Maschine abgespielt hatte, nachdem sie 20.08 Uhr in Prag von Startbahn 31 abgehoben hatte. Copilot Hendrich P., ein 32-jähriger Slowake, steuerte die Cessna. Er hatte die Berufspilotenlizenz, war seit 2005 bei der Firma „Time Air“ beschäftigt und verfügte über 1.600 Stunden Flugerfahrung. In den 90 Tagen vor dem Unglück war er 55 Stunden geflogen, ein Drittel davon in der Cessna, in der er nun auf dem Weg nach Schweden war.

Neben ihm saß Flugzeugführerin Barunka B., die im Jahr zuvor in der Firma angefangen hatte, aber bereits 100 Stunden mehr Flugerfahrung hatte als ihr Copilot. Kollegen bescheinigten ihr gute fliegerische Leistungen, weshalb sie auch schnell zur verantwortlichen Luftfahrzeugführerin aufgestiegen war. Sie galt als etwas vornehm, sportlich und technisch interessiert.

Der Mann am Steuerknüppel wollte, so steht es im Unfallbericht, eigentlich mal Kampfjets beim Militär fliegen, kam aber davon ab und erwarb in den USA die Lizenz zum Fliegen mehrmotoriger Verkehrsmaschinen. Auch er war als guter Pilot bekannt, stets interessiert an neuen Technologien und galt als charismatisch.

Verzichtete er deshalb auf den Autopiloten und flog selbst nach den Angaben seiner Instrumente? Noch im Steigflug zeichnete der Stimmenrekorder ein Gespräch auf, in dem Hendrich P. seiner Kollegin erzählt, dass er nachts mit Maschinen dieses Typs schon eine Rolle geflogen sei – ein Kunstflugmanöver, bei dem die Maschine um die eigene Längsachse rollt. Die Cessna, die sie flogen, war für ein solches Manöver allerdings weder zugelassen noch geeignet.

Zehn Minuten nach dem Start rollt die Maschine den Aufzeichnungen des Flugschreibers zufolge erst nach links, dann nach rechts bis zu einer Schräglage von 30 Grad. Um 20.17 Uhr ist Barunka B. mit den Worten zu hören: „Und los, wir sind schon hoch genug, du ärgerst mich – komm ...“ Eine Anweisung der Flugüberwachung München unterbricht in diesem Augenblick aber das Vorhaben. Die Piloten kommen überein, es später zu versuchen und steigen auf die angewiesene Flughöhe. Zwei Minuten später ist zu hören, wie die 27-Jährige fragt: „Genug, ist es genug?“ Der Mann am Steuer fragte noch zurück: „Für was?“ Die Flugzeugführerin entgegnet: „Für das“ und meint damit ganz offenbar das riskante Flugmanöver, für das keiner der beiden ausgebildet ist. Der 32-Jährige antwortet: „Es ist genug!“

Um 20.19 Uhr registriert der Datenschreiber, dass die Cessna in den Horizontalflug übergegangen ist. Fünf Sekunden später wird die Flugzeugnase nach oben gezogen. Vier Sekunden später beginnt die Cessna, nach rechts um die eigene Längsachse zu rollen. Nach weiteren vier Sekunden fliegt sie in Rückenlage. Wiederum vier Sekunden später rollte die Maschine weiter um 90 Grad und fliegt quasi in Seitenlage. Dabei ändert sie den Kurs nach rechts, geht in einen nahezu senkrechten Sturzflug über und wird immer schneller.

Die Braunschweiger Untersuchungsgruppe kommt zu dem Ergebnis, dass die Maschine das unzulässige Flugmanöver zwar ausgehalten hat und erst am Boden zerschellte. Die Piloten hätten aber „die Orientierung über die Lage im Raum verloren“. Ihnen blieb keine Zeit, die Cessna in der Dunkelheit abzufangen. Den Aufprall konnten sie nicht überleben.

Hendrich P. wollte sich offenbar als Kunstflieger beweisen, obwohl er dafür nicht ausgebildet war. Die Flugzeugführerin, so die Ermittler, hätte das verhindern müssen. In der Maschine habe es „keine eindeutige Cockpit-Hierarchie“ gegeben, viel mehr herrschte „ein vertrautes Verhältnis“ zwischen beiden. Das habe dazu geführt, dass die Piloten jenes professionelle Verhalten ablegten, das im Fliegerenglisch „Airmanship“ genannt wird.

Zwei junge Piloten bezahlten ihren Übermut mit dem Leben. Ein Wrackteil im Dresdner Polizeimuseum erinnert an sie.

Lesen Sie in der nächsten Folge über eine Reißzwecke in einer Römersandale, die zu einem Brandstifter führte.

Die polizeihistorische Sammlung im Polizeipräsidium in der Dresdner Schießgasse ist nur nach Voranmeldung zu besichtigen. Telefon: 0351/4830.