Tour de France vom Schlamm gestoppt

Als auch noch eine riesige Schlammlawine den Col de l’Iseran hinunterrollte, war das Chaos bei der Tour de France perfekt. Nach Schnee, Regen- und Hagelschauern standen Emanuel Buchmann und Co. in Regenjacken hilflos am Straßenrand. Zuvor waren sie auf der rasenden Abfahrt gerade noch rechtzeitig gestoppt worden. Tourchef Christian Prudhomme hob verzweifelt die Arme, während ein großes Räumfahrzeug mit den Schlamm- und Wassermassen kämpfte. Das Alpen-Spektakel wurde am Freitag mit dem Abbruch der 19. Etappe auf die Spitze getrieben.
Doch ungeachtet der Wetterkapriolen ging es auch sportlich drunter und drüber – mit entscheidenden Änderungen für das Gesamtklassement. Denn die Jury entschied, die Zeitabstände auf dem Iseran zu nehmen. Dabei darf Buchmann nun sogar vom Podium auf den Champs Élysees träumen, vor dem Showdown am Samstag hat er sich auf den fünften Platz katapultiert. Neuer Träger des Gelben Trikots ist nun der Kolumbianer Egan Bernal, der alle Favoriten abgehängt hatte und vor dem Abbruch einem Solosieg entgegen fuhr.
Für die Grande Nation wurde es ein ganz bitterer Tag: Erst musste Frankreichs Mitfavorit Thibaut Pinot unter vielen Tränen das Rennen aufgeben, ehe am vorletzten Anstieg dessen Landsmann und Gelbträger Julian Alaphilippe einen kleinen Einbruch erlitt und nun in der Gesamtwertung 45 Sekunden hinter Bernal liegt. Der Franzose setzte auf der Abfahrt gerade zur Aufholjagd an, ehe die Ampeln plötzlich auf Rot standen.
„Es ist die absolut richtige Entscheidung. Die Jury hat eine ganz gute Lösung gefunden, in dem sie die Zeit auf dem Iseran genommen hat“, sagte Buchmanns Teamchef Ralph Denk. Letztmals war am 8. Juli 1996 eine Tour-Etappe verkürzt worden, als Schneefall am Galibier ein Überqueren unmöglich machte.
Showdown am Samstag
Doch dies war kein Vergleich zur wetterbedingten Chaos-Etappe am Freitag. Dabei hatte die Etappe sportlich schon viel zu bieten. Auch Deutschlands Rundfahrt-Hoffnung hatte den Franzosen Alaphilippe bereits abgehängt. „Emanuel hat wieder eine tolle Leistung gezeigt. Auch Gregor Mühlberger. Er ist fast den ganzen Iseran bei Emanuel geblieben“, sagte Denk.
Zwei Tage vor dem großen Finale auf den Champs Élysees scheint für den 26-jährigen Buchmann vieles möglich. Der große Favorit auf den Triumph in Paris ist aber nun Bernal, der damit auch den Machtwechsel im Ineos-Team vollzogen hat. Mit im Rennen sind auch noch der britische Titelverteidiger Geraint Thomas und der viertplatzierte Niederländer Steven Kruijswijk aus dem Tony-Martin-Team Jumbo Visma.
Jetzt schaut alles auf den Schlussakt am Samstag, wenn die letzte Bergankunft in Val Thorens ansteht. „Der Berg ist extrem schwer. Das sind 1 900 Höhenmeter. Da wird jeder fahren, was geht. Ich denke, das ist der Showdown“, sagte Buchmann mit Blick auf die Kletterpartie am Samstag. Denk ergänzte: „Jeder wird noch mal alles, was er hat, in die Waagschale werfen. Sicher auch Emanuel, denn das Podium ist nicht weit weg.“
In Gelb fährt aber das Riesentalent Bernal. Alaphilippe hat ob der Stärke des Kletterkünstlers fast schon kapituliert: „Ich glaube nicht, dass das Gelbe Trikot noch möglich ist. Ich bin von einem Stärkeren geschlagen worden. Das ist halt so.“
Das französische Drama nahm bereits früh seinen Lauf. Gut 85 Kilometer vor dem Ziel stieg Pinot unter Tränen vom Rad. Ein Muskelfaserriss im linken Oberschenkel beendete alle Träume des 29-Jährigen, der seit Jahren der große Pechvogel ist. Der Tour-Dritte von 2014, der noch nie in seiner Karriere das Gelbe Trikot getragen hatte, musste bei seiner siebten Teilnahme bereits zum vierten Mal die Rundfahrt vorzeitig aufgeben. 2016 stoppte ihn eine Bronchitis. Besonders bitter war sein Aus beim Giro d’Italia 2018, als er zwei Etappen vor Schluss Gesamtdritter war, ehe ihn eine Lungenentzündung stoppte.
In diesem Jahr schien seine Stunde zu schlagen. Der Fahrer des Teams Groupama-FDJ hatte am vergangenen Wochenende bei der Bergankunft zum Tourmalet hinauf triumphiert und galt danach bei vielen Experten als großer Favorit auf den Toursieg – am Freitag war alles vorbei. (dpa)