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Traumfabrik an der Neiße

Eine kleine Firma aus Lodenau stattet prunkvolle Kinosäle in vielen Städten aus. Nur eines fehlt zum großen Glück.

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© Hollywood Megaplex PlusCity

Von Frank Seibel

Man kann es so sehen: Das Ende der Welt, nichts außer einer Ansammlung von in die Jahre gekommenen Einfamilienhäusern, das nächste Städtchen mit Fleischer, Bäcker, Supermarkt ist ein paar Kilometer weg und zählt auch nur 5 000 Einwohner. Oder man sieht es so: herrliche Stille und Natur, liebenswerte und bodenständige Menschen – und eine zentrale Lage im Herzen Europas.

Auf einem riesigen Tisch wird der Stoff für die Kinopaläste zurechtgeschnitten. Cornelia Kloß (Mitte) leitet den Raumausstatterbetrieb, den ihr Vater Waldemar (rechts) vor 53 Jahren gegründet hat. Katrin Polawski (links) bügelt Gardinenstoff.
Auf einem riesigen Tisch wird der Stoff für die Kinopaläste zurechtgeschnitten. Cornelia Kloß (Mitte) leitet den Raumausstatterbetrieb, den ihr Vater Waldemar (rechts) vor 53 Jahren gegründet hat. Katrin Polawski (links) bügelt Gardinenstoff. © Wolfgang Wittchen

Für die gute Version können sich auch weniger begabte Werbeleute schnell ein paar Euro verdienen; dann steht das so auf Prospekten oder Internetseiten. Und zumindest den Spruch „im Herzen Europas“ nimmt keiner für voll.

Cornelia Kloß ist keine Werbefrau und bekommt auch kein Geld dafür, wenn sie so über Lodenau spricht. Es ist nur einfach so, dass das ihre Heimat ist und dass sie hier die Firma, die ihr Vater 1964 gründete, zu einer erstaunlichen Blüte geführt hat. Im einstigen Dorfgasthof „Niederschänke“ hat sich eine kleine Traumfabrik etabliert, geschickt getarnt mit einer denkbar unverträumten Bezeichnung: Raumausstatter.

Allein der Laden mit den großen, herbstlich dekorierten Schaufenstern ist eine Überraschung an diesem Ort kurz vor der Grenze zu Polen, in dem es außer einem Zellstoffwerk und zwei, drei Handwerksbetrieben wirklich nichts weiter gibt. Wer durch die Tür des Geschäftes geht, steht in einer Welt voller Stoffe und Farben, die so sehr nach gediegenem Wohlstand aussieht, dass allein dies im Kontrast steht zum landläufigen Bild der Region als einem Armenhaus, aus der die meisten Menschen schon weggelaufen sind. Aber nein: Der schöne Laden könnte so auch mitten in einem wohlhabenden Ballungsgebiet stehen. Doch das, was die kleine Firma ausmacht, die Cornelia Kloß vor 14 Jahren von ihrem Vater Waldemar Lehmann übernommen hat, würde wiederum gar nicht in eine Stadt oder eine dicht bewohnte Gegend passen, wo jeder Quadratmeter Grund und Boden Gold wert ist.

Im ehemaligen Tanzsaal der Niederschänke werden auf einem knapp acht Meter langen und zwei Meter breiten Tisch riesige Stoffbahnen ausgelegt, zurechtgeschnitten und daneben an zwei gewöhnlichen Nähmaschinen abgesteppt. In einer ehemaligen Scheune nebenan lagern 20 000 Meter Holzlatten und stapelweise schwer entzündliche Spanplatten. Dazu gibt’s noch eine Halle voll mit Gerüsten. „Wir können ganze Säle einrüsten“, sagt Cornelia Kloß. Und das tut sie auch mit ihrem Mann Ronald und acht fest angestellten Mitarbeitern. Im gesamten deutschsprachigen Raum verwandeln sie kahle Kästen in plüschige Landschaften, mal romantisch, mal mondän, mal futuristisch – moderne Kinosäle in großen Häusern, die „Cinemaxx“, „Megaplex“ in Linz oder in Dresden „Schauburg“ heißen. Auch das ist Raumausstattung, gemacht in Lodenau. Im Büro von Cornelia Kloß hängt eine Deutschlandkarte mit einem Dutzend markierter Punkte. Die Karte zeigt die Welt der Kinoausstatter in Deutschland. Die einen sind auf Leinwände spezialisiert, andere auf Projektoren, wieder andere auf Tonanlagen. Und die Raumausstatter von der Neiße sorgen für die Atmosphäre rund um die Leinwände.

Nur zwei bis drei Mitbewerber in der höchsten Kino-Liga haben die Lodenauer im deutschsprachigen Raum, sagt Cornelia Kloß. In der deutschen Kino-Welt ist die kleine Firma eine große Nummer. Die Nähe zum Kino entstand bereits wenige Jahre nach der Gründung des Betriebs. Die zuständige Bezirksdirektion hatte den jungen Tapezierermeister 1968 beauftragt, zunächst nur den Bodenbelag im Kino von Finowfurt im Nordosten Brandenburgs zu übernehmen. 1970 kam das erste ganze Kino dran, in Sebnitz. Dann hinterließ Waldemar Lehmann seine Spuren überall in der Oberlausitz: Zittau, Bautzen, Niesky, Görlitz. 40 Kinos hat der kleine Betrieb allein zu DDR-Zeiten ausgestattet.

Aber den Durchbruch kurz nach der Wende hätte der Handwerksmeister beinahe verpasst. Die zentrale Vergabe von Aufträgen durch eine staatliche Behörde war Vergangenheit, und das Internet gab‘s noch nicht. So war Lodenau für eine Weile wirklich ganz schön weit ab vom Schuss. Zum Glück hatte Lehmann im Jahr 1990 in Görlitz zu tun, und er begegnete der damaligen Kino-Chefin, für die er schon vor 1989 gearbeitet hatte. Die große Modernisierung des „Filmpalasts“ am Bahnhof stand an. „Und warum habt Ihr Euch nicht beworben?“, fragte die Kinoleiterin. „Ich hab das gar nicht mitbekommen“, entgegnete Waldemar Lehmann. Zum Glück war noch Zeit, und so bekam der Tapezierermeister, der nun bundesdeutsch „Raumausstatter“ hieß, den ersten Auftrag für ein modernes „Multiplex-Kino“.

Das war ein Wendepunkt, da sind sich Cornelia Kloß und ihr Vater einig. Denn mit einem Mal war der Familienbetrieb aus Lodenau in einer neuen Welt angekommen – der bundesdeutschen Kinolandschaft, die von einer Handvoll Unternehmen geprägt wird, die zum Teil eine jahrzehntelange Tradition haben. Einige Oberlausitzer Häuser, auch das Görlitzer, wurden nach 1990 vom Familienunternehmen Kieft und Kieft übernommen. Firmenchefin Marlis Kieft kam im Herbst 2014 persönlich nach Lodenau, um den 50. Firmengeburtstag mitzufeiern. An Tagen wie diesen kann Cornelia Kloß noch weniger als sonst verstehen, warum man ihre Heimat abgelegen oder, wie es jetzt so oft heißt, „abgehängt“ nennt. „Man muss nicht immer in der City sein, wenn man etwas Tolles machen will“, sagt sie beinahe trotzig.

Und für ihren Markt liegt Lodenau gar nicht am Rand, sondern ziemlich zentral. Zwischen Koblenz und Wien zum Beispiel. Vor einigen Monaten haben die Lodenauer in der österreichischen Hauptstadt den ersten „4DX“-Saal in einem ehemaligen Gasometer ausgestattet. 488 Kilometer sind es bis dorthin –  und 625 Kilometer nach Koblenz, wo Ronald Kloß derzeit mit allen sechs Männern im Betrieb ein großes Kino ausstattet. Eines von mittlerweile 520. Rund 90 Prozent des Firmenumsatzes erwirtschaftet dieser Geschäftszweig. Jetzt ist bereits die Modernisierung von Kinos an der Reihe, die sie vor 20 oder 25 Jahren neu ausgestattet haben. Rückkehr an vertraute Orte. Mit neuen Herausforderungen.

Die Firma floriert. Schon überlegt sie mit ihrem Mann, ob sie für ein Paket von Großaufträgen in Belgien ein Angebot abgeben sollen. Belgien ist wirklich weit weg. Bislang ist es eine goldene Regel im Familienbetrieb, dass die Monteure immer am Wochenende zu Hause bei ihren Familien sein können. Und die Handwerker müssen mit dem eigenen Transporter oder Lkw fahren, weil sie viel Material selbst von Lodenau zur jeweiligen Baustelle bringen.

Vor allem aber sorgen sich Cornelia und Ronald Kloß um beruflichen Nachwuchs. Ein erfahrener Mitarbeiter geht im November in Rente. Dafür gibt’s vielleicht noch einen Ersatz aus dem Familienkreis. Aber weil die Firma so erfolgreich ist, braucht sie personelle Verstärkung. Raumausstatter, Trockenbauer, Bodenleger dringend gesucht. Aber noch immer nicht gefunden. „Es ist ein interessanter Beruf“, betont die Geschäftsführerin. Und Lodenau? „Wir sind immer froh, wenn wir hierher zurückkehren. Es ist unsere Heimat.“