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Tschechien-Wahl: Militärspion oder Stasi-Zuträger?

In Tschechien hat die Stichwahl ums Präsidentenamt begonnen. Doch wann bekommt das Land einen „unbescholtenen“ Präsidenten?

Von Hans-Jörg Schmidt
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Blaue Stunde in Prag mit Blick auf den Hradschin. Wer wird am Wochenende Tschechiens Präsident?
Blaue Stunde in Prag mit Blick auf den Hradschin. Wer wird am Wochenende Tschechiens Präsident? © imago stock&people

Man stelle sich in Deutschland die Wahl eines politischen Spitzenamts vor, um das ein steinreich gewordener früherer Stasi-Mann und ein ehemaliger hoher NVA-Offizier mit Militärspionage-Ausbildung streiten. Undenkbar? In Tschechien ist es gerade Realität. Am Freitag und Sonnabend wählen unsere EU-Nachbarn und Nato-Verbündeten ihren Präsidenten und haben genau diese Auswahl.

Will man die Hintergründe verstehen, muss man zurückgehen zum ersten Nachwende-Präsidenten Václav Havel. Er saß fünf Jahre wegen Widerstands gegen das Regime im Gefängnis, wo man ihm die Gesundheit ruinierte. Aber er prägte den Satz: „Wir sind nicht so wie sie.“ Im Klartext: „Anders als die Kommunisten grenzen wir niemanden aus, geben jedem eine zweite Chance.“ War Havel zu naiv? Oder zwangen ihn die Gegebenheiten zu solch einer Aussage?

Reich geworden in der Privatwirtschaft

Wer nach 1989 in Tschechien in den öffentlichen Dienst wollte, musste sich durchleuchten lassen. Die, denen etwas nachzuweisen war, wurden entlassen. Viele klagten vor Gericht ihre Unbescholtenheit ein während andere ihr Herrschaftswissen aus der alten Zeit nutzten, um in der Privatwirtschaft reich zu werden.

Havel umgab sich auf der Prager Burg anfangs mit einen großen Stab von Beratern, intellektuellen Mitstreitern aus der überschaubaren Szene der Dissidenten und Leute, die aus dem Exil nach Prag geeilt waren, um ihm unter die Arme zu greifen. Experten waren die Ausnahme, etwa der nichtkommunistische Finanzfachmann Václav Klaus.

Unter Havel wurde mit Marian Čalfa notgedrungen ein früherer Kommunist zum Regierungschef ernannt, weil der Präsident von dessen Fähigkeiten überzeugt war. Einen gestandenen „Wessi“, wie es etwa Kurt Biedenkopf für die Sachsen war, hatte Havel nicht zur Hand. Man war jenseits des Erzgebirges allein auf sich angewiesen. Das eröffnete vielen personellen Altlasten eine neue Karriere.

Petr Pavel, einer der beiden Präsidentschaftskandidaten für die Stichwahl, hat diese Chance genutzt. Er stammt aus einer Offiziersfamilie und diente selbst in der Armee, war Mitglied der Staatspartei KSČ und begrüßte nachträglich mit vielen Jahren Abstand den Einmarsch des Warschauer Pakts 1968 in die ČSSR. Er belegte einen dreijährigen Kurs beim Militärnachrichtendienst, wovon nur das erste Jahr in die „alte Zeit“ fiel. Der militärische Nachrichtendienst war allerdings kein repressiver Arm des kommunistischen Regimes.

Pavel, der Militärexperte

Nach der Wende, die Pavel als Befreiung beschreibt, lernte er Sprachen und studierte an Militärhochschulen in Großbritannien. Während eines Auslandseinsatzes rettete er mit einer von ihm geführten Fallschirmjägertruppe 50 französische Soldaten aus einer ausweglosen Lage im Kampfgebiet zwischen Kroaten und Serben, was ihm den höchsten französischen Orden eintrug. In Tschechien arbeitete er sich zum Chef des Generalstabs hoch und wurde 2015 als erster Vertreter des alten Ostblocks zum Vorsitzenden des Nato-Militärausschusses gewählt. Mehr ging nicht. Seine Jugendsünden halten viele davon ab, ihn zu wählen.

Diese Wähler tendieren mehr zu den am Ende der ersten Runde unterlegenen Kandidaten. Etwa zur einzigen Frau, der früheren Universitätsrektorin Danuše Nerudová. Geboren 1979, konnte sie unbelastet ins Rennen gehen. Für die Stichwahl haben diese Kandidaten Pavel ihre Unterstützung zugesichert. Weil sein Gegenkandidat, Ex-Premier Andrej Babiš, aus ihrer Sicht das größere Übel ist.

Babiš schoss sich gleich nach dem Ende der ersten Wahlrunde massiv auf Pavel ein, Er nennt ihn einen Karrieristen, der mit der Waffe in der Hand jedem Regime dienen würde. Als Nachrichtendienstmann sei er im Grunde nicht besser gewesen als der KGB-Mann Wladimir Putin in Dresden.

Besonders perfide ist die landesweit plakatierte Behauptung, dass Pavel die Tschechen in den Ukraine-Krieg reinziehen wolle, während er, Babiš, als Präsident seine Kontakte für eine Ukraine-Friedenskonferenz in Prag spielen lassen werde. Das Pavel-Lager spricht denn auch nur von einem hohlen Trick des Ex-Premiers, um die Prager Burg zu erklimmen.

Babiš ist Milliardär und Freund der Rentner

Babiš war vor der Wende im Außenhandel tätig, eine privilegierte Stellung im Sozialismus. Auf seinen dabei gewonnenen Kenntnissen baute er nach 1989 den heute größten tschechischen Konzern Agrofert auf, in dem unter anderem Düngemittel und Lebensmittel hergestellt werden und zu dem auch einflussreiche Medien gehören. Die wurden ihm von deutschen Zeitungseigentümern verkauft, denen Babišs politische Ambitionen absolut gleichgültig waren. Agrofert beschäftigt in Tschechien und unter anderem in Deutschland mehr als 40.000 Menschen. Babiš ist Dollar-Multimilliardär und gilt als fünftreichster Tscheche. Auch wenn sein Konzern derzeit unter Treuhandverwaltung steht, gibt es einen Interessenkonflikt zwischen dem Unternehmer und dem Politiker Babiš.

Auch Babiš hat seine Jugendsünde. Der gebürtige Slowake war in Bratislava unter dem Decknamen „Bureš“ als Zuträger des kommunistischen Staatssicherheitsdienstes ŠtB registriert, wovon zehn verschiedene Dokumente zeugen. Basiš leugnet die Spitzelarbeit vehement, hat wiederholt in der Slowakei vor Gericht geklagt, jedoch bislang angesichts der Beweislage erfolglos.

Die Anhänger von Babiš sind vor allem ältere Tschechen, viele davon mit dem kommunistischen Regime verbunden. 1989 hatte die Kommunistische Partei 1,7 Millionen Mitglieder. Babiš, der selbst seit 1980 Mitglied der Staatspartei war, gibt seinen Anhängern das offenkundig wärmende Gefühl, dass da jemand ist, der ihnen nicht komplett ihre Lebensleistung abspricht. Schließlich sei er einer von ihnen gewesen. Erst jüngst wurde Babiš von einem Gericht in Prag vom Vorwurf der Beihilfe zum Betrug mit EU-Subventionen freigesprochen, obwohl EU-Behörden den Fall völlig anders sahen. Für seine Fans ist Babiš ein politisch Verfolgter.

Als Unternehmer mag Babiš zwar reichlich Gewinn machen, räumen sie achtungsvoll ein. Aber er denke auch an die Bedürftigen, sagen vor allem die Rentner, eine seiner wichtigsten Wählergruppen, weil er als Premier die Altersrenten um ein Viertel angehoben hatte. Dass Babiš damit auch zu einer exorbitanten Verschuldung des Staates beigetragen habe, stört die Rentner nicht. Das Wahl-Credo des Ex-Premiers lautet: „Ich helfe den Menschen. Pavel hat für die Tschechen seit seinem Ausscheiden aus der Armee keinen Handschlag getan.“

Was ist also wahlentscheidend in Tschechien? Und welche Rolle spielt dabei die Vergangenheit? Auf einen gänzlich unbescholtenen Präsidenten müssen die Tschechen wohl fünf weitere Jahre warten.