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Das große Aufräumen in Tschechien

Nachdem ein tödlicher Tornado eine Region im Südosten Tschechiens getroffen hat, haben dort die Aufräumarbeiten begonnen. Sechs Menschen starben.

Von Hans-Jörg Schmidt
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Blick auf das schwer vom Tornado getroffene Dorf Mikulcice.
Blick auf das schwer vom Tornado getroffene Dorf Mikulcice. © Helmut Fohringer/APA/dpa

Als sich am Donnerstag Abend der Tornado mit unglaublicher Kraft ihrem Dorf Hrušky näherte und als erstes ein Trampolin sowie Teile einer hölzernen Voliere aus einem der Nachbargärten wie Spielzeug krachend gegen ihr Haus schleuderte, gab es für Gabriela Novotná kein Halten mehr. Sie schnappte ihre zwei Kinder und eine Freundin der Minderjährigen und verschanzte sich mit ihnen in der Duschkabine im ersten Stock ihres Hauses.

„Wir drückten uns aneinander, beteten und weinten“, erinnert sie sich an den Augenblick, „als sich die Hölle über uns öffnete“. Auf den Boden der Duschkabine tropfte Blut aus einer Wunde, die zerberstendes Fensterglas in einen ihrer Arme geschlagen hatte.

Kurz zuvor war die gewaltige Windhose mit etwa 350 Kilometern pro Stunde auch über Moravská Nová Ves und andere Ortschaften gefegt und verwandelte sie binnen weniger Minuten in perfekte Kulissen für einen stilechten Kriegsfilm. Das Einzige, was stehen blieb, waren die Zeiger der Uhr an einem Kirchturm: sie zeigen noch immer auf halb Acht abends, als der Tornado unbarmherzig zuschlug. Auf 26 Kilometern Länge und 500 Metern Breite.

Die schwerste Windhose, die Mitteleuropa in den vergangenen 20 Jahren heimgesucht hat, nahm Hunderten Menschen das Dach über dem Kopf, das vor Jahren unter Mühen aufgebaute Heim, die Grundlage ihres Lebens. Sechs Menschen zudem das Leben selbst. An die 200 mussten mit teils schweren Verletzungen in den umliegenden Krankenhäusern versorgt werden.

Rettungskräfte haben nach dem Tornado ein mobiles Krankenhaus im Dorf Moravská Nová Ves aufgebaut.
Rettungskräfte haben nach dem Tornado ein mobiles Krankenhaus im Dorf Moravská Nová Ves aufgebaut. © Vladimír Mièek/TASR/dpa

Das ganze Wochenende über räumten die Menschen in der gepeinigten Region auf, türmten ganze Halden aus Schutt auf. Unterstützt von einem nach wie vor massiven Aufgebot der Feuerwehr, von Militäreinheiten und zahllosen Freiwilligen, die aus dem ganzen Land nach Südmähren geeilt sind. Für sie hatte man extra Parkflächen für ihre Autos geschaffen.

Unterbrochen wurden die Arbeiten nur von Messen unter freiem Himmel. Auch der Papst bete für sie, hörten die traditionell hier katholischen Gläubigen. Dennoch fluchten bei der Arbeit danach einige so sehr, dass man an ihrer Gottesfürchtigkeit Zweifel hegen durfte. Vieles war nicht zitierfähig. Verständlich schon.

Noch leben viele der vom Tornado schwer Getroffenen zwischen Hoffen und Bangen, ob die Reste ihrer Häuser standhaft genug sind, um den Wiederaufbau planen zu können. Die Statiker sind derzeit die wichtigsten Experten, die nach eingehenden Prüfungen die Daumen heben oder senken. Klar ist schon jetzt, dass viele ganz von vorn anfangen müssen. Augenzeugen vergleichen manche Ortsteile mit von Kleinkindern errichteten Spielzeugbauten, die nach ihrer Fertigstellung gern mit einem Schlag wieder kaputt gemacht werden.

Die Menschen in diesem Landstrich sind Kummer gewöhnt und standhaft. Nach einem verheerenden Hochwasser vor Jahren hatten Außenstehende geglaubt, dass die Betroffenen massenhaft wegziehen würden. Doch namentlich die Tschechen im landschaftlich wunderschönen Südmähren sind sehr mit ihrer Heimat verbunden, würden nur unter großen Schmerzen weggehen. Die Frage ist, ob die finanziellen Mittel und die Kraft reichen, noch einmal bei Null anzufangen.

Der Staat will großzügig helfen, verspricht die Regierung mit Premier Andrej Babiš an der Spitze. Politikexperten sagen, dass ihm persönlich das schreckliche Unglück in Mähren die Wahlen in wenigen Monaten retten könnte, sollte er sich in der Krise bewähren. Das klingt zynisch, ist aber derzeit in Tschechien mehr als nur ein Nebeneffekt. Geld sei genügend da, sagt der Ministerpräsident. Und er hat auch in Brüssel schon Hilfsgelder der EU für solche Katastrophenfälle beantragt.

Präsident Miloš Zeman hat in einer Fernsehansprache bereits seine eigene Marschrichtungszahl ausgegeben: Er lobte die Regierung für ihren Einsatz und kündigte an, nicht nur selbst Babiš wählen, sondern den auch mit der Bildung der künftigen Regierung betrauen zu wollen - egal, wie besagte Wahlen ausgehen werden.

Nicht besonders überraschend kommt die überbordende Solidarität der Tschechen aus allen Landesteilen. Die gab es schon in riesigem Ausmaß bei den Hochwasserkatastrophen der vergangenen zwanzig Jahre. Die Einsatzkräfte vor Ort haben am Sonntag sogar schon darum gebeten, vorerst keine Lebensmittel mehr in die Region zu schicken. Man könne das, was bisher eingetroffen sei, überhaupt nicht verbrauchen. Lieber solle man leicht verderbliche Waren erst wieder in ein paar Tagen schicken. Auch die Summe der privaten Spenden ist unglaublich hoch.

Da steht ein Land einmal mehr in einer Weise zusammen, wie es für die Betroffenen, aber auch für Aussenstehende, schöner nicht sein kann.