Leben und Stil
Merken

Auf der Suche nach Troja

An der Westküste der Türkei kommen nicht nur Hobbyarchäologen auf ihre Kosten. Ein Erlebnis zwischen Mythen und Tempeln, beeindruckenden Panoramen und ganz besonderem Käse.

Von Henry Berndt
 7 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Das Trojanische Pferd kennt jeder. Diese Version steht seit den 70er-Jahren nahe der Ausgrabungsstätte in Troja.
Das Trojanische Pferd kennt jeder. Diese Version steht seit den 70er-Jahren nahe der Ausgrabungsstätte in Troja. © Henry Berndt

Dem Schatz so nah und doch so fern. Kein Arm vermag es, beim Griff in das schwarze Loch in der Wand das goldene Amulett zu ergreifen. Die symbolträchtige Kunstinstallation ist Teil des Troya Müzesi, eines einzigartigen Museums an der Westküste der Türkei. Zwischen Olivenbäumen und weiten Feldern ragt es als rostroter Würfel rund 50 Meter in die Höhe. Wie gern würde man hier auch den echten Schatz zeigen, den einst der deutsche Archäologe Heinrich Schliemann im Jahr 1873 nur wenige Hundert Meter vom Museum entfernt auf dem Hisarlik-Siedlungshügel zutage beförderte.

Zu den ungefähr 8.000 Einzelteilen gehören ein Schild, Dolche, Vasen und jede Menge Goldschmuck. Nachdem Schliemann den Schatz zunächst heimlich außer Landes gebracht und später dem deutschen Volk geschenkt hatte, kam er nach dem Zweiten Weltkrieg als Beutekunst nach Russland. Und dort wird er wohl vorerst auch bleiben.

Die Ausgrabungsstätte in Troja bietet Zeugnisse menschlichen Lebens aus sechs Jahrtausenden. Die Archäologen haben die Funde in zehn Schichten untergliedert.
Die Ausgrabungsstätte in Troja bietet Zeugnisse menschlichen Lebens aus sechs Jahrtausenden. Die Archäologen haben die Funde in zehn Schichten untergliedert. © Henry Berndt

Zu sehen und zu erleben gibt es im 2018 eröffneten Troya Müzesi auf etwa 3.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche dennoch genug. Jedes Jahr nimmt das Museum rund eine halbe Million Besucher mit auf eine Spurensuche nach all jenem, was wir heute mit dem antiken Troja verbinden. Der Eintritt kostet 100 Lira, was umgerechnet rund fünf Euro entspricht.

Troja, da kommt einem Homers „Ilias“ in den Sinn, der Trojanische Krieg und natürlich das legendäre hölzerne Pferd, mit dem laut Mythologie die griechischen Soldaten das Heer der Trojaner übertölpelt haben sollen. Ein solches Pferd, praktischerweise mit Fenstern und Treppe zum bequemen Aufstieg, steht heute neben der Ausgrabungsstätte in Troja. Es wurde in den 1970er-Jahren errichtet und soll dem Mythos ein Gesicht geben.
Ob hier wirklich mal ein gewaltiger Krieg tobte, ist unter Forschern heftig umstritten. Viele Archäologen sind sich heute sicher, dass dies der sagenumwobene Ort gewesen sein muss. Andere bezweifeln wiederum, dass die Schilderungen Homers überhaupt einen realen Hintergrund haben. Wer hierher kommt, kann sich also selbst entscheiden, ob er lieber glauben oder zweifeln möchte.

Eine Reise wert ist dieses Troja in jedem Fall, denn hier wurden und werden 6.000 Jahre Menschheitsgeschichte ausgegraben.

Das Museum Troya Müzesi wurde 2018 eröffnet und bietet rund 3.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche.
Das Museum Troya Müzesi wurde 2018 eröffnet und bietet rund 3.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. © Henry Berndt

Der Hügel, der heute Unesco-Weltkulturerbe ist, wurde schon im vierten Jahrtausend vor Christus besiedelt. Die Archäologen untergliedern die Fundstelle in übereinanderliegende Ebenen. Bis vor Kurzem war von neun Schichten die Rede, gerade stießen die Forscher auf eine noch ältere zehnte. Die Zeit, in der der Trojanische Krieg getobt haben könnte, wird dabei der Schicht „Troja 6“ zugeordnet, die etwa der Zeit von 1800 bis 1250 vor Christus entspricht. Nicht nur für Hobbyarchäologen ist ein Besuch dieser immer noch aktiven Grabungsstätte spannend. „Als Teil einer Türkeireise bietet ein Abstecher an die Westküste das perfekte Kontrastprogramm zum Städtetrip in die pulsierende Metropole Istanbul“, sagt Alicia Kern von Gebeco-Reisen. Nahe der Dardanellen, der im Altertum als Hellespont bekannten Meeresenge, gibt es viel zu entdecken. Es muss nicht immer nur Badeurlaub in Antalya sein.

Von Istanbul aus sind es mit dem Auto etwa vier Stunden bis Çanakkale, der mit 180.000 Einwohnern größten Stadt der gleichnamigen Provinz. Hier ist ein guter Startpunkt für eine Reise durch zahlreiche antike Grabungsorte. Prominent am Ufer platziert wurde in Çanakkale eine Version des Trojanischen Pferdes, die 2004 als Requisite für den Film „Troja“ mit Brad Pitt diente. Schliemanns Troja, am Rand des heutigen Dorfes Tevfikiye gelegen, ist nur 30 Kilometer entfernt.

Der Archäologe Fecri Polat zeigt die Stelle, an der Heinrich Schliemann seinen "Schatz des Priamos" fand.
Der Archäologe Fecri Polat zeigt die Stelle, an der Heinrich Schliemann seinen "Schatz des Priamos" fand. © Henry Berndt

Ob man sich als Troja-Besucher auf den Spuren Heinrich Schliemanns wähnen möchte, ist eine andere Frage. Womit wir wieder beim „Schatz des Priamos“ wären. Den griffigen Namen wählte Schliemann in der Annahme, dass die Kostbarkeiten König Priamos gehört haben müssen, jenem Herrscher während der Zeit des Trojanischen Krieges. Dumm nur, dass der Schatz deutlich älter ist, wie sich relativ schnell herausstellte. Um die tausend Jahre älter.

Dass Schliemann in der Türkei heute nicht gerade als Held verehrt wird, hat allerdings weniger mit diesem Fauxpas und mehr mit Schliemanns Arbeitsweise zu tun. Statt sich der kulturhistorisch wertvollen Stätte mit der gebotenen Sorgfalt zu nähern, schlug er im 19. Jahrhundert im wahrsten Sinn des Wortes eine Schneise der Verwüstung in den Hügel und grub sich innerhalb kürzester Zeit bis nach ganz unten durch, wo er die Reste von Troja vermutete. Der sogenannte Schliemann-Graben ist vor Ort heute noch deutlich auszumachen. In späteren Jahren gestand er immerhin Fehler ein und holte sich Hilfe von studierten Archäologen hinzu.

Besonders geschätzt wird heute in der Türkei ein anderer deutscher Wissenschaftler, der Schliemanns Thesen anfangs noch kritisch gegenüberstand, nach einigen Jahren jedoch selbst den Standpunkt vertrat, dass es sich hier um das antike Troja handeln müsse. Manfred Korfmann leitete ab 1988 die Grabungen und versuchte bis zu seinem Tod 2005, Beweise zu sammeln. Korfmann war es auch, der die Idee zum Museum hatte, wenngleich er den Bau nicht mehr miterlebte. Es ist durchaus sinnvoll, den Besuch des Museums vor die Besichtigung der Grabungsstätte zu legen, um sich mit reichlich Hintergrundwissen zu den vielen Steinmauern auszustatten.

Tagestrip in Richtung Süden

Im Sommer graben hier um die 50 Menschen. Mindestens fünf Archäologen sind das ganze Jahr über vor Ort. Einer von ihnen ist Fecri Polat. Der 38-Jährige hat bereits fünf Bücher über die Geschichte Trojas geschrieben. Wenig überraschend hat er selbst keinerlei Zweifel daran, dass es den Trojanischen Krieg gab und dass er sich genau hier abgespielt haben muss. „Wir haben Waffen und Schutzmauern gefunden, die sonst keinen Sinn ergeben würden“, sagt Polat. Sogar das Schlachtfeld unterhalb des Hügels kann er zeigen. Neueste Erkenntnisse untermauerten die These, dass Troja sich einst weit über den Hügel hinaus ausgedehnt haben müsse.

Einmal vom Ausgrabungsfieber gepackt, liegen weitere spannende Orte auf einer möglichen Route für einen entspannten Tagestrip in Richtung Süden. „Zum Teil sind diese Stätten sogar optisch reizvoller, da Tempel, Brunnen und andere historische Zeugnisse an einigen Stellen wieder zusammengesetzt wurden“, sagt der in Deutschland geborene Reiseführer Bülent Bilgic, der seit Jahrzehnten in Istanbul lebt und vor allem deutsche Touristen durch das Land begleitet. Einige dieser Stätten besitzen noch keinen Museumsstatus und können daher kostenlos besichtigt werden – so wie Alexandria Troas. Die Stadt wurde 311 vor Christus unter dem Namen Antigoneia gegründet und später in Erinnerung an Alexander den Großen umbenannt. Durch ihre Lage als Knotenpunkt zwischen Europa und Asien kam sie zwischenzeitlich sogar mal als Hauptstadt des Römischen Reiches in Betracht. Bislang ist hier erst ein Bruchteil ausgegraben. Die Arbeiten werden noch Jahrzehnte andauern.

Die antike Stadt Assos an der Küste nahe der Insel Lesbos sollte auf keinem Tourplan fehlen.
Die antike Stadt Assos an der Küste nahe der Insel Lesbos sollte auf keinem Tourplan fehlen. © Henry Berndt

Unterwegs lohnt ein Abstecher ins Örtchen Ezine, das zur Abwechslung nicht für seine antiken Stätten, sondern für einen tollen Käse bekannt ist. Die Milch stammt von Schafen, Ziegen und Kühen, die ein glückliches Leben auf den Kaz-Bergen verbringen und die besten Kräuter verputzen. Unter anderem wachsen hier mehrere Dutzend Sorten Oregano.

Die optisch vielleicht eindrucksvollste Erkundungstour bietet an der südlichen Küste der Provinz, unweit der griechischen Insel Lesbos, der Ort Assos. Die Besichtigung seiner Überreste am Hang wird durch einen fantastischen Panoramablick über die Ägäis und das Ida-Gebirge begleitet. Dafür nimmt man auch gern einen etwas anspruchsvollen Aufstieg in Kauf. Im Licht der tief stehenden Sonne erstrahlen ein gewaltiges Theater, der Athena-Tempel und die Stadtmauer aus dem dritten Jahrhundert vor Christus.
Nach dieser Tour versteht man, warum sich die Türkei gern als das größte Museum der Welt bezeichnet. Wer noch mehr Zeit und Lust mitbringt, dem bieten sich im Umkreis eine Menge weiterer Ziele, von den weißen Sinterterrassen in Pamukkale bis zur antiken Metropole Pergamon, deren Panorama ein hierzulande äußerst bekannter Künstler zu einer Ausstellung in Berlin machte: Yadegar Asisi.

Gut zu wissen

  • Distanz: Von Istanbul sind es vier Stunden Autofahrt bis nach Çanakkale an die Küste. Von Antalya aus dauert die Anreise rund neun Stunden.
  • Geld: Durch die hohe Inflation in der Türkei gibt es für einen Euro inzwischen mehr als 18 türkische Lira.
  • Sicherheit: Mitte November gab es einen tödlichen Anschlag in Istanbul. Das Auswärtige Amt rät von Reisen ins Grenzgebiet zu Syrien und Irak ab.
  • Rundreisen: Die Türkei haben viele Veranstalter im Programm. Bei Gebeco kostet zum Beispiel die zwölftägige Studienreise „Westtürkei & Meer“ ab 1.695 Euro (inklusive Flug/HP).
  • goturkiye.com

    Die Recherche wurde unterstützt von Gebeco Reisen.