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Über Hindernisse zur eigenen Kita

Das Ehepaar Wähnert musste viele eigene familiäre Probleme meistern. Als Tageseltern profitieren sie heute davon.

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© André Wirsig

Von Isabel Henrich

Es ist ein bisschen wie in einer Großfamilie. Manuela Wähnert sitzt auf der Schaukel im Garten und beobachtet ihre Schützlinge beim Toben. Die Kleinen rauschen mit Bobby-Cars den Hang herunter. Drei Jungs klettern eifrig die Holzeisenbahn hinauf, neben der Gartenhütte trocknet ein Mädchen die bunten Blätter und klebt sie auf Papier. Uwe Wähnert schiebt das jüngste Familienmitglied im Kinderwagen durch den Garten. Was wie eine Großfamilie wirkt, sind Tagesmutter Manuela Wähnert und Tagesvater Uwe Wähnert. Sie betreuen täglich Kinder im Alter bis zu drei Jahren in ihrer eigenen Kita. Morgens um neun herrscht auf dem Grundstück im Lockwitzgrund schon richtig Trubel.

Erster Tagesvater in Dresden

Die Entscheidung im eigenen Zuhause Kleinkinder zu betreuen entstand aus ungewöhnlichen Familienverhältnissen. Das Ehepaar hat selbst zwei eigene Kinder, die mittlerweile erwachsen sind. „Wir wollten unbedingt ein drittes Kind – damit wäre unsere Familienvorstellung perfekt gewesen“, sagt die Tagesmutter. Doch dieser Wunsch konnte ihr aus gesundheitlichen Gründen nicht erfüllt werden. Deshalb nahm die Familie 1998 den Pflegejungen Steve auf. Darüber hatten sie sich lange Gedanken gemacht, denn Steve leidet an einer Mehrfachbehinderung. „Er kann nicht richtig sehen und hören und brauchte ständig Aufmerksamkeit. Er hat uns ganz schön auf Trab gehalten“, sagt Manuela Wähnert.

Immer wieder gab es Situationen, in denen das Ehepaar mit seiner Kraft am Ende war. Die Erziehung der eigenen Kinder und die intensive Betreuung von Steve waren eine enorme Belastung. „Ein zusätzliches Pflegekind hat der ganzen Familie viel Toleranz abverlangt“, so die Mutter. Doch für sie ist dadurch eines klar geworden: „Ich habe so viel gelernt bei der Erziehung meiner eigenen Kinder und bei Steve, – das wollte ich an andere Kinder weitergeben“. Deshalb entschied sie sich 2004, ihren alten Job an den Nagel zu hängen und eine eigene Kinderbetreuung zu eröffnen. Schon länger wusste Manuela Wähnert, dass das ihr Traumberuf ist.

Die Familie verbrachte immer viel Zeit in der Natur, besonders Steve tat das sehr gut. „Er hatte Wahrnehmungsprobleme, aber in der Natur war das wie weggeblasen. Dort konnte er alles selbst ertasten und erfühlen“, erklärt Manuela Wähnert. Die Tagesmutter besuchte eine Kita in der Dresdner Heide. Nach einer Reportage im Fernsehen über Waldkinder war klar: „Das Konzept, Kinder größtenteils in der Natur zu erziehen, hat mich total überzeugt. Wir haben ja selbst bei Steve erlebt, wie positiv sich das auswirkt“.

Letztendlich entschied sich die Familie, den Pflegejungen 2009 wieder abzugeben. Die intensive Betreuung neben der eigenen Kita wurde den Wähnerts einfach zu viel. Steves leibliche Mutter äußerte sogar den Wunsch, das Sorgerecht wieder zu übernehmen. „Doch sie ließ ihn im Stich, wie schon nach der Geburt“, sagt Manuela Wähnert. Heute lebt er in Chemnitz mit einem staatlichen Betreuer. Den Schulabschluss hat er nicht geschafft. Ab und zu telefoniert das Ehepaar mit dem Jungen.

Die Tagesmutter arbeitete bereits fünf Jahre in der eigenen Kindertagesstelle, als sich ihr Ehemann anschloss. Uwe Wähnert war schon lange unzufrieden mit seinem Job. Er wollte sich neu orientieren. Zwei Jahre lang unterstütze er seine Frau regelmäßig und absolvierte eine berufsbegleitende Ausbildung zum Tagesvater. Als Steve die Familie verließ, kündigte auch Uwe Wähnert seinen Job und stieg in das Familienunternehmen ein. Für Dresden war das eine absolute Besonderheit: 2010 war er der einzige Tagesvater, der bei der Stadt eingetragen war. Fünf Jahre später haben es ihm männliche Kollegen nachgetan. Heute sind mittlerweile 28 Männer als Tagesväter registriert.

Das Ehepaar führt seit fast zwölf Jahren ihre eigene Kita. Dafür hat sich die Tagesmutter die Blockhütte im Garten hergerichtet. Das Häuschen ist mit einer Bodenheizung ausgestattet, sodass die Kleinen dort mittags in Schlafsäcken auf Matratzen eine Pause machen können. Manuela Wähnert betreut fünf Kinder. In der Gruppe ihres Mannes sind es noch einmal so viele. Er hat sich dafür das Erdgeschoss des Wohnhauses ausgestattet. Die Kinder verbringen die meiste Zeit aber draußen im Garten.

Gemüse aus dem eigenen Garten

Eingehüllt in dicke Schneeanzüge und Gummistiefel erkunden die Kinder alles, was auf dem Grundstück zu finden ist. Sie krabbeln, kriechen, rutschen über das feuchte Gras – da bleibt nichts sauber. Im großen Beet ernten sie Kohlrabi, Kartoffeln oder Bohnen und verputzen das Gemüse beim Mittagessen. Beim Klettern bleibt ein Mädchen mit dem Fuß hängen und blickt hilfesuchend zu Manuela Wähnert. Sie springt allerdings nicht gleich auf, um zu helfen. „Das wäre ein völlig falsches Signal“, sagt die Tagesmutter. „Die Kinder müssen selbst lernen, solche Situationen zu meistern“.

Bereut hat das Ehepaar den Schritt in die Selbstständigkeit noch nie. Wähnerts versuchen nun, all ihre Erfahrung in ihrer kleinen Kita erfolgreich umzusetzen. Ganz sorgenfrei ist der Blick in die Zukunft allerdings nicht. Denn viele Eltern glauben, die Betreuung bei Tageseltern sei teuer. Dabei kostet sie genauso viel, wie der Platz in einer städtischen Einrichtung. Bislang sind die beiden Gruppen aber fast immer voll besetzt. Auch, weil Lockwitzer Eltern das Ehepaar weiterempfehlen.