Dresden
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Überfall mit Kugelbombe und Buttersäure

War der Angriff auf das Übigauer Wohnprojekt Mangelwirtschaft brutaler geplant als bisher angenommen? Diesen Eindruck erweckt nun einer der Täter. 

Von Alexander Schneider
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© Benno Löffler

Für die Bewohner der Mangelwirtschaft ist der Überfall auf ihr alternatives Wohnprojekt in der Overbeckstraße in Übigau längst nicht vollständig aufgeklärt. Und das, obwohl schon zahlreiche Neonazis – darunter die rechtsterroristische Gruppe Freital und Mitglieder der „Freien Kameradschaft Dresden“ (FKD) – dafür verurteilt wurden, dass sie sich am 18. Oktober 2015 an dem Angriff beteiligt hatten.

Aktuell laufen vor Staatsschutzkammern des Landgerichts Dresden drei Hauptverhandlungen gegen zehn Angeklagte, die als Mitglieder oder Unterstützer der FKD an dem Anschlag mitgewirkt haben sollen. Im Prozess gegen André M., einen 31-jährigen Dresdner, gab es nun eine Gelegenheit, Genaueres zu Motiv und Hintergrund des Anschlags zu erfahren. Erstmals nach seiner rechtskräftigen Verurteilung wurde nun Timo S. (30) als Zeuge vernommen, ein Anführer der Gruppe Freital und Drahtzieher des Überfalls.

Während etwa 15 FKD-ler das Haus von vorne mit Böllern angriffen, schlichen sich S. mit drei Freitalern, M. und einem weiteren Dresdner an der Rückseite an – sie wollten gebastelte Sprengsätze aus Kugelbomben und Buttersäure ins Haus werfen.

Die Zeugenaussage von S. wurde ein interessantes Schauspiel. Er verweigerte eine Antwort auf die Frage, was genau eigentlich geplant gewesen sei. Begründung: Er würde sich sonst selbst belasten. Schon in seinem Prozess am Oberlandesgericht Dresden – S. wurde im März 2018 zu zehn Jahren Haft verurteilt – habe die Nebenklage versucht, der Gruppe Freital auch für den Überfall in Übigau einen Mordversuch anzuhängen. Doch S. durfte seine Aussage nicht verweigern, da er für die Tat bereits rechtskräftig verurteilt ist. Er muss daher auch keine neue Strafe fürchten. Dennoch kam es nun zu einem Hin und Her.

Nach einer überraschend langen Beratung habe das Gericht dann die Frage als „unzulässig“ zurückgewiesen, berichten Nebenklage-Anwälte. Nun habe sich S. mit seinem Anwalt beraten und dann genau das ausgesagt, was ohnehin aus den anderen Verfahren längst bekannt ist: Man habe das Haus „unbewohnbar“ machen wollen.

Für Anwältin Rita Belter und ihre beiden Kollegen, die Opfer aus der Mangelwirtschaft in dem Prozess vertreten, war das ein grober Fehler des Gerichts. „Die Kammer hat kein Interesse an der Wahrheitsfindung“, so Belter. Die Frage nach dem Tatplan an den Rädelsführer sei zwingend zuzulassen. Das Gericht habe die „wohl einmalige Chance“ verstreichen lassen, den Überfall weiter zu erhellen.

Bekannt ist, dass die Freitaler Neonazis schon länger geplant hatten, das verhasste Wohnprojekt anzugreifen. Das setzten sie in die Tat um, nachdem in der Nacht zuvor die Mahnwache besorgter Anwohner vor der geplanten Asylunterkunft in der Thäterstraße angegriffen wurde. Der Angriff, bei dem ein Übigauer verletzt wurde, ist bis heute nicht geklärt.

Am Freitag wurde in dem Prozess gegen André M. plädiert. Er kann auf zwei Jahre auf Bewährung hoffen, so das Ergebnis einer Verfahrensverständigung zum Prozessauftakt vor einem Dreivierteljahr. Das Gericht will sein Urteil am Dienstag, 17. September um 9.30 Uhr verkünden.