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Überraschender Coup im Morgengrauen

In der East Side Gallery klafft seit gestern ein weiteres Loch. Den Versprechen des Investors glaubt inzwischen niemand mehr.

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Von Jutta Schütz, Berlin

Selbst der kleine Trupp der Mahnwache an der weltbekannten Berliner East Side Gallery war überrumpelt und kam zu spät. Mit schwerem Gerät wurden am eisigen Mittwochmorgen erneut Teile aus der bemalten Mauer-Galerie herausgetrennt, gesichert von rund 250 Polizisten. Der Investor eines umstrittenen Wohnprojekts auf dem früheren Todesstreifen landete einen Überraschungscoup.

Trotz wochenlanger Proteste mit Tausenden Demonstranten und zahlloser Gespräche klafft eine neue, nun sechs Meter breite Lücke in dem längsten noch erhaltenen Mauerstück. „Das ist doch Wahnsinn, wie hier einfach Fakten geschaffen werden“, sagt Arno Paulus von der Bürgerinitiative „Spreeufer für alle“. Investor Maik Uwe Hinkel erklärte er sich gestern überraschend bereit, den Kompromissvorschlag des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) zu prüfen. Es habe sich herauskristallisiert, dass ein Umbau des geplanten Hochhauses möglicherweise infrage komme, sagte ein Sprecher.

Es geht um ein Wohnhochhaus, das auf dem früheren Todesstreifen zwischen ehemaliger Hinterlandmauer und Spree geplant ist. Es soll mit einem Durchbruch in der Mauer erschlossen werden. Illegal hat Investor Hinkel die Abrissarbeiten nicht begonnen, er hat Baurecht, auch für einen über 20 Meter breiten Eingang.

In seltener Einigkeit werfen nun sowohl der Sprecher des rot-schwarzen Senats, Richard Meng, als auch der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz (Grüne), dem Investor einen Affront vor. Man habe sich darauf verlassen, dass die Gespräche noch liefen.

Die Gemengelage ist mehr als unübersichtlich. Dazu gehört, dass der Bezirk den Bau erlaubt hatte, sich aber jetzt wieder per Beschluss gegen jegliche Bebauung auf dem Areal wandte. Das Spreeufer gehört zu den umkämpften Arealen der Hauptstadt. Eigentumswohnungen und Hotels entstehen, alternative Kulturprojekte wollen nicht weichen. Der DDR-Opfer-Hilfe-Verein moniert Geschichtsvergessenheit. An der heutigen East Side Gallery seien Menschen bei Fluchtversuchen ums Leben gekommen. Es sei bedauerlich, das der Senat das Problem nicht im Sinne der einst Verfolgten löse und Bauten dort verbiete.

In einer Forsa-Umfrage lehnen 75 Prozent der Berliner einen Bau auf dem früheren Grenzstreifen ab. An der Mauer-Baustelle sagen Demonstranten, Bürgermeister Klaus Wowereit sei schuld an der verfahrenen Situation. (dpa)