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Altkanzler und Putinfreund: Der Absturz von Gerhard Schröder

Gerhard Schröder, geachtet und respektiert – das war einmal. Über einen Altkanzler, der sich partout nicht von Wladimir Putin lossagen will.

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Gerhard Schröder umarmt Wladimir Putin 2018 nach dem WM-Eröffnungsspiel Russland gegen Saudi-Arabien.
Gerhard Schröder umarmt Wladimir Putin 2018 nach dem WM-Eröffnungsspiel Russland gegen Saudi-Arabien. © Alexei Druzhinin/TASS/dpa (Archiv)

Von Stephan-Andreas Casdorff

Diese Achterbahnfahrt. Hoch hinaus und furchtbare Abstürze. Enorme Niederlagen und grandiose Siege. Maß und Mitte? Da kann er nur lachen, laut, rau. Wie er halt so ist. Sein Maß ist seine Mitte. Wer das nicht versteht, hat ihn nicht verstanden, Gerhard Schröder, Sohn eines Tagelöhners, aufgewachsen in Armut, aufgestiegen zum Bundeskanzler, zum Weltstaatsmann.

Und jetzt?

Droht der nächste Absturz. Ein großer, endgültiger. Die Welt schaut auf Wladimir Putin und seinen Krieg – und in Deutschland schauen sie auf ihn. Auf seine Verbindung zu Putin, auf das viele Geld, das er über ihn bekommt, darauf, dass Freund Gerd sich nicht von Freund Wladimir distanzieren will.

Schröder im Ruch des Obszönen. Ehrenmitgliedschaften werden ihm genommen, Hotelbetreiber wollen ihn nicht mehr sehen. Noch ist er Ehrenbürger von Hannover. Noch. Der Oberbürgermeister wünschte sich, dass er es nicht mehr wäre. Die SPD Heidelberg verlangt seinen Parteiausschluss. Früher hätte er gelacht. Dass die das wagen! Wer sind die denn! Heute schweigt er. Zieht sich zurück. In sein Haus. In sich. Und versteht die Welt nicht mehr. Warum versteht ihn nur keiner?

Putin hat ihn besser verstanden als viele andere

Er hat sich doch nicht verändert. Denkt er. Die Welt verändert sich, die Maßstäbe verändern sich mit ihr – er nicht. Wollen die da draußen denn nicht sehen, dass er es gut meint, eine Brücke nach Russland erhalten will, an der er schon immer gebaut hat?

Nur ist nicht zu übersehen, dass er es auch mit sich gut meint. Er ist so einer. Putin hat das immer verstanden, hat ihn besser verstanden als viele andere. Schröder ist von ganz unten gekommen, aus den Baracken am Fußballplatz, sein Vater im Krieg geblieben, in den Karpaten gefallen, die Mutter Putzfrau: "Wir waren die Asozialen." Das hat er nie vergessen. Da darf er doch stolz sein, es nach ganz oben geschafft zu haben. Sein persönliches Wirtschaftswunder. Hat er immer gedacht.

Stolz auf das, was sie geschafft haben, auf ihr Wirtschaftswunder, das waren die Deutschen nach dem Krieg im Westen auch. Aber es ist halt eines anderes, und das, wie Schröder es lebt, passt gerade nicht mehr in die Zeit. Wo er überall Geld verdient, und womit: der Edel-Lobbyist der Republik. Wo andere ewig auf Termine warten müssen, bekommt er in Tagen einen. Bekam. In der Regierung wollte man ihm lange nichts versagen.

Ex-Kanzler Schröder sieht sich derzeit heftiger Kritik ausgesetzt.
Ex-Kanzler Schröder sieht sich derzeit heftiger Kritik ausgesetzt. ©  dpa/Kay Nietfeld

Der Bundeskanzler als Boss. Genosse der Bosse. Boss der Genossen. Und er hat diese Attitüde, unverändert, wo auch immer er hinkommt. Hier komme ich! So sehr, dass der neue Bundeskanzler, Olaf Scholz, dessen Boss Schröder ja auch mal war, gerade klargemacht hat, wer der Chef ist. Öffentlich, vor aller Welt. Der Chef, schon das Wort ist feiner; Boss, das klingt nicht nur brutaler. Scholz’ Chef-Worte waren von eigener Brutalität. Vielleicht dachte er, dass Schröder nur die versteht.

So ist er – und noch mehr. Eine Achterbahnfahrt auch im Persönlichen ist dieser Schröder. Energiegeladen und voller Mut, voll feuriger Momente, und plötzlich still. Sentimental. Er kann Tränen lachen und Tränen weinen. Schlagfertig, dass mancher Comedian sich vorsehen müsste. Begabt zum wuchtigen Einzeiler. Ironisch. Nahbar. Ein Mensch. Eine Attraktion. Mensch, der Gerd.

Dann ist es außerdem so, dass sein Erfolg immer darin lag, schneller als andere zu handeln, und sei es manchmal auch ein wenig unüberlegt. Augenmaß – da fehlt ihm was. Das sagt er selbst: Dass er zuweilen etwas übers Ziel hinausgeschossen sei. Heute klingt dieses Bild seltsam aktuell.

Er ist wie so viele, und darin doch auch wieder anders. Komplizierte Zusammenhänge will er komprimiert haben, damit er sie – genau – auf eine, auf seine Zeile bringen kann. Er will etwas, überhaupt alles, schnell erfassen und am besten sofort aktiv werden.

Im Grunde scheut Gerhard Schröder keine Auseinandersetzung

Ruhe ist für ihn ein Fremdwort. Vielmehr ist er ständig in Aktion und immer mit einem Projekt beschäftigt, das er voranbringen will. Während andere noch grübeln, ist er schon dabei, die Idee umzusetzen. Schon allein deswegen bemüht er sich um Erfolg. Dank seiner Schnelligkeit und seiner Zuversicht stellt sich der auch oft genug ein. Er will ihn herbeizwingen. Nur beugt sich der Erfolg nicht immer seinen Vorstellungen.

So war es, so ist er: Die Akten auf dem Schreibtisch, und von denen hatte er als Kanzler immer viele – na gut, lesen. Machen. Aber schnell. Die Agenda 2010? Machen. Aber schnell. Dass er dabei übers Ziel hinaus … Er weiß es doch selbst, unterbricht. "Ich bin halt anders als andere", hat er dann in solchen Momenten gerne gesagt. Damals, vor dem Schweigen heute. Das Schweigen spricht für sich.

Dabei scheut Gerhard Schröder im Grunde keine Auseinandersetzung. Ob als Mittelstürmer – was sonst – oder als Ex-Kanzler: "Acker" ackert. Er kämpft, misst seine Kräfte. Jetzt, in dem Alter, mit 77, hat er es meistens mit klaren Worten getan. So lautet auch ein Buchtitel. Er ist kein Diplomat, er sucht das offene und ehrliche Wort. Und hält sich mit seiner Meinung selten lange zurück.

Putin hat ihm vieles gegeben

Manche Menschen schätzen ihn deswegen besonders. Bei ihm weiß man, woran man ist. Andere gehen lieber in Deckung, zumal wenn er Kommentare abgibt, die ins Schwarze treffen, aber verletzend sind. Seine abschätzigen Worte über Parteifunktionäre sind Legende, seine Drohungen auch.

Schröder als Politiker: Einer, der ganz dicht ranrückt ans Geschehen, der Einfluss nimmt, der die Gefahr sieht und trotzdem ins Risiko geht. Das Nein zum Irakkrieg gegen die USA, die Neuwahlen 2005 – Umwege zum Ziel sind seine Sache nicht. Sein Handeln ist eine Mischung aus Angriff und Impuls.

Schröder als Gerd: Da ist auch menschliche Wärme. Er will zum Beispiel ein guter Freund sein. Das Raubeinige verdeckt das Sentiment, die Schale den Kern. Und der findet sich wohl in der Frage, ob der andere ihm auch ein guter Freund sein wird. Wenn er es doch selbst ist.

In Wladimir Putin glaubt er einen gefunden zu haben; einen, der versteht, woher er kommt, wie er ist. Der ihm vieles gegeben hat. Sogar die Chance auf zwei Adoptivkinder.

Und jetzt?

Jetzt reden alle die auf ihn ein, die vielleicht nicht Freunde, aber immerhin Parteifreunde sind. Alle wollen sie, dass er sich endlich von Wladimir Putin distanziert, alle Posten aufgibt. Stephan Weil, der niedersächsische Ministerpräsident, der Schröder selbst ja auch für acht Jahre war; Manuela Schwesig, die mecklenburgische Ministerpräsidentin, die mit ihm lange, sehr lange für die Ölpipeline war; Lars Klingbeil, der sozialdemokratische Parteivorsitzende, der sogar mal sein Mitarbeiter im niedersächsischen Wahlkreisbüro war.

Warum? Weil die SPD Heidelberg bei Weitem nicht mehr die einzige ist, die seinen Parteiausschluss fordert. Und nicht allein die Opposition im Bundestag ihm wegen seiner Verbindung zu Putin und dem vielen Geld das Altkanzlerbüro samt Mitarbeitern nehmen will.

Olaf Scholz muss ihn doch verstehen

Schröder im Ruch des Tragischen: Die ersten Mitarbeiter haben ihn schon verlassen. Klingbeil sagt in der Bundestagsfraktion, die "Uhr tickt" und will damit sagen, dass für Schröder, den Kanzler, den Sozialdemokraten, den Gerd, die Zeit knapp wird.

Seine Frau hat unlängst in den sozialen Netzwerken über ihren Mann als möglichen Vermittler in Putins Krieg geschrieben. Sie hat gemeint, das sei nur möglich, wenn die Bundesregierung das wirklich wolle. Der Post wurde gelöscht.

Aber die Idee nicht. Wenn es ihm gelänge, mit Putin zu reden, ihn zu überzeugen, vom Krieg abzubringen – dann hätte er nicht nur den Absturz abgewendet. Dann hätte er den Erfolg herbeigezwungen. Schröder schweigt. Ob er wartet?

Olaf Scholz muss ihn doch verstehen. Er hat in der Vergangenheit immer eine Brücke bauen wollen. Das muss die Regierung jetzt wollen. Seinen Freund Wladimir aufgeben, obwohl der Blut an den Händen hat? Nicht er, Gerhard Fritz Kurt Schröder, der Mann, der mal ein Kanzler war.