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Der Krieg in der Ukraine ist auch ein Krieg der Bilder

Vor einem Jahr begann Russlands Angriff auf die Ukraine. Die Fotos vom Krieg prägen die "Zeitenwende". Was macht das mit uns? Eine Betrachtung mit Bildern.

Von Christina Wittig-Tausch
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© AP

Was fällt einem sofort ein, wenn man über den Krieg in der Ukraine nachdenkt? Viele quälende Debatten, über die Vorgeschichte und über deutsche Waffenlieferungen. Ukrainische Orte, die man flüchtig aus Büchern über den Zweiten Weltkrieg kannte, die aber jetzt so geläufig sind wie die Namen sächsischer Kleinstädte. Und im Kopf eingebrannt sind die Bilder des vergangenen Jahres, die Medien und soziale Netzwerke überschwemmten.

Aufgerissene Betonhäuser mit Blick auf Wohnzimmer oder Küchen. Menschen beim Bombenangriff in der U-Bahn-Station, die am Computer arbeiten oder ein Baby stillen. Autoschlangen in Richtung Westen. Wie der Arm eines toten Menschen in Butscha aus dem Boden ragt. Blubberblasen in der Ostsee nach der ungeklärten Zerstörung der Nordstream-Pipeline. Das zerschossene Stahlwerk von Mariupol, das wirkt wie die Kulisse eines Endzeitfilms.

Bilder sind Zeitdokumente, die aufrütteln und anklagen. Sie können zu Ikonen werden, zu Mahnmalen. So wie jenes berühmte Foto eines vietnamesischen Mädchens von 1972, das nach einem Napalm-Angriff schreiend über eine Straße läuft. Aber Bilder sind auch Macht. Sie können bewusst eingesetzt werden, um zu überzeugen, Stimmungen zu beeinflussen, das eigene Tun zu rechtfertigen. Als es noch keine Fotoapparate gab und Papier zum Zeichnen Luxus war, ließen Herrscher Maler gewaltige Schlachtengemälde anfertigen. Der Krieg war eine unverhohlene Inszenierung auf diesen Darstellungen, selten ein unmittelbarer Aufschrei derer, die den Krieg zu erdulden hatten.

Fotos als Inszenierungen

Kaum war die Fotografie erfunden, kam die neue Technik im Krieg zum Einsatz. Während des Krimkrieges Mitte des 19. Jahrhunderts schickte das britische Königshaus einen Fotografen an die Front, angeblich mit der Maßgabe, alles zu fotografieren, nur keine toten Körper. Er lichtete mit seiner Plattenkamera einen Offizier ab, der gerade bedient wurde, als mache er eine gemütliche Pause im Grünen. Das Foto sollte die Öffentlichkeit beruhigen und davon ablenken, dass Zehntausende Menschen starben in diesem Konflikt.

Immer wieder kam es zu solchen Inszenierungen, schreibt der Flensburger Historiker und Kriegsbilder-Forscher Gerhard Paul. Durch Fotografien genauso wie später durch die bewegten Bilder. So seien im Ersten Weltkrieg Fotos von Übungen als authentische Kriegsbilder verkauft worden. Auch die deutschen Wochenschauen zeigten nachgestellte Bilder. Das symbolträchtige Foto der sowjetischen Soldaten auf dem Berliner Reichstag entstand nicht am 30. April 1945, sondern zwei Tage später. Bei der Eroberung war kein Fotograf dabei gewesen.

Inflation von Panzerfotos

Derzeit erleben wir eine Inflation von Panzerfotos mit gigantisch aufragenden Schussrohren, entschlossenen Kämpfergesichtern und kleinen Fahnen. Täglich entstehen Massen an Bildern, die in kurzer Zeit bearbeitet und um den Erdball gejagt werden können. Die digitale Technik ist eine zwiespältige Sache. Sie erleichtert viele Formen der Meinungsbeeinflussung. Zugleich ermöglicht sie es, menschliche Abgründe und Unrecht zeitnah zu veröffentlichen und so vielleicht schneller zu beenden.

Die Bilder von massenhaften Grabkreuzen, trauernden Menschen, schweren Verwundungen und Zerstörungen werfen immer auch die uralten Fragen auf, von denen man als Mensch des 21. Jahrhunderts gehofft hatte, sie könnten der Vergangenheit angehören. Gehört der Krieg zwangsläufig zum menschlichen Dasein? Gibt es denn nichts, was ihn verhindern kann? Ist der Pazifismus nur ein Märchen? Müssen immer wieder Kriege ausgehalten werden, bis die Vernunft erneut eine Chance bekommt?

Und wann und wie wird dieser Krieg zu einem Ende kommen können? Es wäre schön, wir könnten bald Bilder von feiernden, erleichterten Menschen sehen, in Kiew und anderswo.

© Imago-Images/Zuma/Kreml

24. Februar 2022: Russlands Präsident Wladimir Putin erklärt per TV-Ansprache den Krieg. Das Wort nimmt er dabei aber nicht in den Mund, sondern spricht von einer „militärischen Spezialoperation“. Anders als sein ukrainischer Kontrahent Selenskyj zeigt er sich auch bei späteren Fernsehauftritten nicht in militärischer Pose, sondern stets betont zivil, mit Anzug und Krawatte.

© dpa PA/AP/Emilio Morenatti

25. Februar 2022: Nur einen Tag nach dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine geht dieses Bild um die Welt. Eine verzweifelte Frau im Pelzmantel steht vor dem zertrümmerten Häuserblock in Kiew, in dem sie gewohnt hat – die Brutalität des Krieges ist in der modernen Metropole schlagartig Realität geworden. Der russische Vormarsch auf Kiew scheitert zwar bald, doch auch in den folgenden Monaten wird die Hauptstadt immer wieder Ziel von Raketenangriffen.

© dpa/Danish Defence Command

September 2022: Die Blasen in der Ostsee in der Nähe der dänischen Insel Bornholm stammen von einem Leck in der Gaspipeline Nordstream 2. Tage später wird mitgeteilt, jemand habe die Leitungen sabotiert. Wer dafür verantwortlich ist, ist nicht erwiesen und bleibt umstritten.

© dpa

Februar 2023: Die Bundesregierung beschließt, Panzer in die Ukraine zu liefern. Nach dem Rücktritt von Verteidigungsministerin Lambrecht übernimmt Boris Pistorius (beide SPD) das Amt. Hier inspiziert er einen Leopard 2 in Augustdorf in Nordrhein-Westfalen.

© dpa/Zuma

April 2022: Nach dem Massaker von Butscha gelangen Aufnahmen von Leichenbergen an die Öffentlichkeit. Internationale Ermittler gehen nach dem Abzug der russischen Truppen Hinweisen auf Kriegsverbrechen nach, wie hier bei einem Massengrab hinter der Kirche St. Andreas.

© dpa

April 2022: Ukrainische Kämpfer und Zivilisten verschanzen sich im Stahlwerk Asow-Stahl in der Hafenstadt Mariupol – ein Symbol des Durchhaltewillens. Es kommt bis in den Mai zu heftigen Kämpfen. Die Zivilisten werden evakuiert. Einige Kämpfer geraten in Gefangenschaft und werden später ausgetauscht.

© dpa

März 2022: In Dresden kommen vor der Frauenkirche Hunderte Menschen zu einer Solidaritätskundgebung für die Ukraine zusammen. Über den Köpfen der Flüchtlinge weht die blau-gelbe ukrainische Nationalflagge, die bald überall in deutschen Städten zu sehen ist.

© dpa

März 2022: In den ersten Wochen des Krieges gehen viele Bilder von ukrainischen Flüchtlingen – zumeist Frauen und Kinder – durch die Medien. Dieses Mädchen kam per Zug aus Kiew mit 2.000 anderen Passagieren in der polnischen Kleinstadt Przemysl an.

© dpa/PA

März 2022: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bittet per Videoansprache Großbritannien um Unterstützung. Seine Videobotschaften im Armeehemd sind inzwischen legendär. In der Rede ans Unterhaus zitiert er Winston Churchill: „Wir werden uns nicht ergeben und wir werden nicht verlieren. Wir werden bis zum Ende kämpfen, zur See und in der Luft. Wir werden weiter um unser Land kämpfen, koste es, was es wolle.“

© dpa/PA/Anadolu

August 2022: Die Bilder ukrainischer Soldaten und Soldatinnen zeigen meist entschlossene Gesichter, so wie auf diesem Foto die 28-jährige Soldatin namens Swetlana, die an der Front im Donbass kämpft. Junge ukrainische Frauen in Uniform sind kein seltenes Bild.

© dpa

März 2022: Bis vor Wochen stand hier in der ukrainischen Hauptstadt Kiew noch ein Einkaufszentrum. Nach russischen Luftangriffen liegt die Straße in Trümmern. Laut Berichten lokaler Medien kamen bei dem Angriff vier Menschen ums Leben. Immer wieder wird den russischen Streitkräften die Zerstörung ziviler Infrastruktur vorgeworfen.

© dpa/PA/Reuters

Oktober 2022: Dutzende Menschen suchen in einer U-Bahn-Station in Kiew Schutz vor einem russischen Raketenangriff. Das Bild der Wartenden mit Smartphones in der Hand und Laptops auf dem Schoß vermittelt einen Eindruck, wie alltäglich der Krieg in der ukrainischen Hauptstadt geworden ist.

© dpa

Februar 2022: Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko (r.) und sein Bruder Wladimir verfolgen per Smartphone die Situation in der ukrainischen Hauptstadt. Die beiden ehemaligen Profi-Boxer sind auch in Deutschland bekannt und populär und nicht zuletzt deshalb beliebte Kameramotive.