Was die Ukraine mit Dresdner Handwerkern zu tun hat

Ruhe. Viel Ruhe sogar strahlt das dreistöckige, weiß getünchte Mehrfamilienhaus aus. Es liegt in einer Nebenstraße im Dresdner Stadtteil Löbtau. Saniert, kaum Verkehr, kein Lärm, ein kleiner Garten mit Sitzecke. Ein Ingenieur wohnt hier, ein Softwareentwickler für Öko-Onlineshops, eine Bildungsreferentin und noch ein paar andere. Auf einem gepflasterten Weg geht es zur Eingangstür an der Rückseite. Dann links, elf Steinstufen hinab, am Ende der Treppe wieder links, an den Gewölbebögen bücken, rechts am Stromkasten vorbei bis zum Ende des Ganges. Schließlich links in den Heizungsraum.
Dort bauen Gas- und Wasserinstallateur Marcel Thorke sowie Heizungsbaumeister Phillip Schreiber eine neue Anlage auf. Ein rund 9.000 Euro teurer Gasbrennwertkessel der Vaillant-Produktreihe "EcoVit exclusiv" und ein Wasserspeicher gehören dazu. "Da muss jetzt vieles raus", sagt Schreiber. "Rein kommt die neueste Brennwerttechnologie. Die kann helfen, die Heizkosten bis zu 25 Prozent zu senken."
Mit viel Glück zum Heizungskessel
Was wie ein ganz normaler Handwerksauftrag klingt, war bis zuletzt eine Zitterpartie. Die Bestellung an den Großhändler war am 4. März herausgegangen. Bereits in der Lieferbestätigung fand sich der Hinweis: "Vorgang nicht komplett lieferbar". Die Bestellung kam zur Mittagszeit am 22. April, ein Freitag. "Es war alles dabei", erinnert sich der 35 Jahre alte Meister. "Nur der Kessel nicht". Am Montag darauf habe man loslegen wollen, vier Tage später wollten sie fertig sein.
Aber wie, ohne Kessel? Also machte sich Schreiber auf die Suche nach anderen Lieferanten. Drei dieser Kessel habe es noch in Leipzig gegeben, aber die wollte der Händler dort nicht rausrücken - mit der Begründung, die seien exklusiv für seine Firmenkunden. "Schließlich sind wir bei einem Händler in Döbeln fündig geworden. Das war wohl der einzige, der auf dem freien Markt in Sachsen noch zu haben war", mutmaßt Schreiber, der natürlich zugriff. Sein Arbeitgeber, die Dresdner HTS Haustechnik & Service GmbH, hatte Glück gehabt.
Schreibers Chef fährt nur noch selten raus zu den Baustellen der Firma. "Da komme ich nicht mehr zu", sagt Thomas Vogel. "Ich muss organisieren: Personalplanung, Strategie und neuerdings auch bei der Materialbestellung." Der 54-Jährige hatte die Firma Mitte der 1990er Jahre gegründet, bis heute ist er ihr größter Gesellschafter. Vogel sitzt in einem streng funktional eingerichteten Büro, fährt sich durch das immer noch lange, aber grau gewordene Haar. "In den ersten Firmenjahren bin ich jedem Auftrag hinterhergerannt. Nun haben wir viel mehr Anfragen und Aufträge, als wir schaffen können", sagt er.

Seine Branche erfahre einen Schub nach dem anderen. "Erst war es die Diskussion um den Klimawandel, dann wurden wir in der Corona-Zeit systemrelevant und jetzt befeuert der Ukraine-Krieg die Energiewende." Zudem sei in Sachsen gut 30 Jahre nach der Wende ein hoher Sanierungsbedarf bei Heizung und Sanitär entstanden. Und zumindest in der Region Dresden halte der Neubauboom noch an. "All das führt zu einer Nachfrage, wie ich sie noch nie erlebt habe."
Die Entwicklung bringt Vogel eher ins Nachdenken als in Partylaune. Die Explosion der Energiepreise pusche den Wunsch vieler Immobilieneigentümer, ihre Anlagen bereits vor Ablauf der üblichen Lebensdauer umbauen zu lassen, erklärt er. Das verstärke den Trend hin zu komplexen Anlagen, wie etwa Wärmepumpen kombiniert mit Fotovoltaik. "Die sind aber bei der Installation deutlich arbeitsintensiver." Kurzum: Es fehle an Montagekapazitäten. "Wie sollen wir das alles schaffen? Wer soll das denn alles einbauen?"
Wo Instagram für den Chef kein Fremdwort ist
Schon seit 2008 ist die Personalgewinnung bei Vogel Chefsache. Er saß 2011 als einziger Handwerker in einem Pilotprojekt zur Zusammenarbeit von Schule, Berufsschule und Wirtschaft. Für gute und sehr gute Leistungen gibt es bei ihm schon in der Lehrzeit Prämien. Wer sich den Führerschein nicht leisten kann, bekommt ihn bezahlt und danach einen der älteren Dienstwagen. Instagram ist für ihn kein Fremdwort, und auf den Firmenautos sind QR-Codes für den Facebook-Auftritt lackiert. In Vogels Büro hängen Urkunden: Deutschlands ausgezeichneter Arbeitgeber, vorbildlicher Ausbildungsbetrieb, Zukunftspreis Sachsen.
Das lockt Leute. Die HTS hat inzwischen 67 Angestellte, davon drei Fliesenleger. "Das ist in meinem Gewerk ein Traum", sagt der Boss. Zwölf Azubis hat er gerade, im September will er wieder fünf nehmen. Im vorigen Jahr hätten sich 35 Leute auf einen Ausbildungsplatz beworben. Zum Vergleich: 2021 blieben mangels Bewerber fast 40 Prozent der Ausbildungsstellen im deutschen Klempner-Handwerk unbesetzt.

Auch im Heizungskeller in Löbtau, wo Thorke und Schreiber Hand in Hand arbeiten, ist ein Azubi im dritten Lehrjahr dabei. Mitunter werfen sie einen Blick in die 45 Seiten dicke Installations- und Wartungsanleitung mit Erklärungen wie: "Wenn Kunststoffrohre in der Heizungsanlage verwendet werden, die nicht diffusionsdicht sind, dann müssen Sie einen Plattenwärmetauscher zur Systemtrennung nachschalten, um Korrosion im Produkt zu vermeiden." Überhaupt klingt das Zubehör der Heizungsbranche für Laien seltsam exotisch: Doppelnippel (schwarz), Übergangsstück (Stahl unlegiert), Gaskugeldurchgangshahn (Rotguss).
Der Mann, der diese und viele andere Werkstücke organisieren muss, sitzt nur ein paar Büros neben Vogel. Siegmar Hensel heißt er. "Mein Einkäufer" nennt ihn der Firmenchef. Er kämpft täglich um jede Muffe, um jeden Flansch. "Dass auf einmal Produkte nicht mehr zur Verfügung stehen, die bislang immer da waren, das habe ich seit der Firmengründung noch nicht erlebt."
Gefühlt, sagt Vogel, hätten die Probleme bei der Materialbeschaffung angefangen, "als sich dieses riesige Schiff da in dem Kanal querstellte". Seitdem sei es immer schlimmer geworden. "Es ist auch kein Ende absehbar." Zumindest nicht so lange China eine Null-Covid-Politik betreibe. "Und seit dem Krieg ist alles noch heftiger." Materialbeschaffung und Preisgestaltung sind für ihn derzeit größere Herausforderungen als die Anwerbung von Fachkräften.

Am Bau ist das keine Einzelmeinung. Auch Patrick Herold, Chef der Mobau Müller Baustoffkontor GmbH in Bannewitz, sieht in der Schiffshavarie eine Zäsur: "Das können viele kaum glauben, aber dieses Unglück hatte Auswirkungen bis zu uns." Wenn neben den Energie- auch noch die Transportkosten explodierten, könne keiner mehr Preise garantieren. Beim Onlinehändler Fliesenexpress heißt es: "Aufgrund der aktuellen Marktsituation und den steigenden Preisen für Mineralöl, Container, Seefrachten und vielem mehr, sind auch wir ab dem 01.04.2022 gezwungen, unsere Preise zu erhöhen." Die Preise sind dort – je nach Produkt – um bis zu 20 Prozent pro Quadratmeter geklettert.
In der Oberlausitz kämpft der Oderwitzer Dachdeckermeister Holger Scheibe mit einem Bestellstopp für Dachziegel sowie Bitumen- und Kunststoffbahnen. Und Marco Franke, der im Landkreis Görlitz eine Baufirma mit 90 Leuten führt, hat eine Mail von seinem Asphaltlieferanten bekommen. Darin werden ihm wegen der "nicht berechenbaren Entwicklung im gegenwärtigen Konfrontationszustand" alle Verträge gekündigt. Neue Vereinbarungen seien möglich, aber nur für mehr Geld. "Wir können gar nicht so schnell bauen, wie die Preise steigen", sagt der Bauunternehmer.
Im Handwerk steigt die "Hamsterquote"
Immer schneller dreht sich die Nachfrage-Preis-Spirale. Viele Handwerksbetriebe verstärken sie noch, im Interesse ihrer Kunden. Die HTS etwa hat ihren Lagerbestand binnen Jahresfrist um 140 Prozent gesteigert. "Wie die Aufträge hereinkommen, wird bestellt", sagt der Chef. Ansonsten könnte ein Konkurrent das benötigte Material beim Produzenten "klauen". Schon im vorigen Jahr habe seine Firma 68 Gaskessel- sowie 20 andere Anlagen montiert. In diesem Jahr wolle allein die Wohnungsgesellschaft Radebeul von Juni bis September 19 Kesselanlagen austauschen. "Den Auftrag haben wir, das Material dafür muss ich jetzt besorgen."
Die auf Sanitär- und Heizungsfirmen spezialisierte Unternehmensberatung Querschiesser veröffentlicht monatlich inzwischen eine "Hamsterquote". Demnach haben im März 48 Prozent der Betriebe einen Lagerbestand von fast sieben Wochen aufgebaut. Gleichzeitig nutzten 37 Prozent der Handwerker das Lager des Großhandels und ließen dort Material mit Vorlauf von fast neun Wochen reservieren.

In der Deutschen Handwerkszeitung ist von teils "exorbitanten Preise" die Rede, etwa für Stahl, Aluminium, Kunststoff oder Silikon. Bei Fliesen und Wärmepumpen gebe es zudem sehr lange Lieferzeiten. Viele Betriebe könnten deshalb kaum mehr Angebote kalkulieren. HTS-Chef Vogel stimmt zu. Für größere Baustellen habe man die Angebote bereits Ende vorigen Jahres gemacht. "Da war von Inflationsraten um die sieben Prozent und von einem Krieg in Europa keine Rede."
Seine Kostenvoranschläge seien jetzt nur noch vier Wochen gültig. Für die rund 1.000 Bestandskunden sei das nach wie vor gratis, "die stehen in der Priorität ganz oben". Bei Neukunden funktioniere das aber nicht mehr. Die schrieben derzeit täglich bis zu fünf Mails mit Kostenanfragen wegen eines geplanten Anlagenumbaus. "Das zu beantworten ist zeitlich nicht mehr drin." Man habe deshalb auf der Internetseite der Firma einen Konfigurator zu einer ersten Kostengrobabschätzung entwickelt. "Falls dann noch Interesse besteht, kommt ein Meister vorbei und kalkuliert. Das lassen wir uns allerdings bezahlen." Unmittelbar vor Beginn der Heizsaison habe ein Neukunde nicht mal eine Chance, "irgendetwas repariert zu bekommen". Im Prinzip sei das wie bei einer Arztpraxis, die nicht mehr in der Lage sei, neue Patienten anzunehmen.
"Vollauslastung auf hohem Niveau"
Dennoch ist Vogel überzeugt: Die Energiewende muss kommen. "Sie wird nur länger dauern, als man jetzt denkt." Die Wärmepumpe sei auch nicht das alleinige Allheilmittel. "Bei älteren Gebäuden auf dem Land, zum Beispiel Dreiseitenhöfen, habe ich keine zehn Zentimeter Dämmung an der Fassade, da funktioniert das nicht. Dort sind eher Pellets die Alternative." In der Stadt würden sich Nahwärme-Konzepte empfehlen mit einer zentralen Anlage, von der aus die Wärme auf mehrere Abnehmer verteilt werde. Im Allgemeinen gehe der Trend aber ganz klar zur Hybrid-Anlage, "und hier vor allem zur stromgetriebenen Wärmepumpe in Kombination mit einer Fotovoltaik-Anlage und einem Batteriespeicher".
Am Nachmittag gegen halb fünf packen Thorke, Schreiber und der Lehrling ihre Sachen zusammen. Sie sind gut vorangekommen in dem Heizungskeller
in Dresden-Löbtau, die Baustelle wird vielleicht sogar einen Tag eher fertig als
geplant. Der Meister versucht bereits über eine Handy-App, den nächsten Kessel
zu organisieren. Und eine Wärmepumpe. "Vaillant hat für die Angabe der Lieferzeiten
in der Bestellsoftware nun extra einen neuen Button installiert", sagt er. Zwei,
drei Monate müsse man inzwischen auf diese Pumpen warten. "Vollauslastung auf
hohem Niveau", sagt er noch und schlägt die Fahrertür des Firmenwagens zu. (mit ju/gk)