SZ + Löbau
Merken

Nach der Flucht: Ukrainerin arbeitet in Löbauer Schule

Nataliia Hrytskevych ist Deutsch-Lehrerin und hat gleich einen Job bekommen. Warum sie nach Löbau wollte und wie viel Glück sie in den letzten Wochen hatte.

Von Anja Beutler
 5 Min.
Teilen
Folgen
Nataliia Hrytskevych bringt dem achtjährigen Makar Deutsch bei. Die geflüchtete Ukrainerin ist Deutsch-Lehrerin und arbeitet jetzt an der Grundschule in Löbau-Ost.
Nataliia Hrytskevych bringt dem achtjährigen Makar Deutsch bei. Die geflüchtete Ukrainerin ist Deutsch-Lehrerin und arbeitet jetzt an der Grundschule in Löbau-Ost. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Wenn man im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg von "Glück" sprechen kann, dann hat Nataliia Hrytskevych in den vergangenen Wochen eine ganze Menge davon abbekommen. Die 48-Jährige ist mit ihrer 30-jährigen Tochter und der anderthalbjährigen Enkelin nach dreitägiger Flucht Anfang März über Ungarn inzwischen in Löbau angekommen. Sie hatte das Glück, eine Wohnung von der Sparkasse auf dem Altmarkt beziehen zu können, die für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt wird. Und einen Job hat die Lehrerin für Deutsch, Ethik und Ukrainisch seit knapp einem Monat auch: Sie ist über einen befristeten Vertrag des Freistaates angestellt und der Grundschule "Am Löbauer Berg" zugeordnet.

Hier betreut sie bislang einen ukrainischen Schüler. Makar ist acht Jahre alt und mag vor allem Mathe. "Er rechnet sehr gut im Kopf", sagt seine Lehrerin mit einem Lächeln und nickt dem blonden Jungen aufmunternd zu. Aber manchmal sei ihm so ganz allein doch langweilig. Eigentlich würde er jetzt in einer dritten Klasse sitzen - in Löbau aber hat er Solounterricht. Noch. Zuerst muss er genug Deutsch gelernt haben. Schulleiterin Ortrun Kurth ist da bei Makar optimistisch. Außerdem ist sie froh, dass die neue Kollegin so offen und engagiert ist. "Sie muss sich schon ein bisschen umstellen, denn in der Ukraine hat sie auch ältere Schüler unterrichtet", schätzt die Schulleiterin ein. Aber sie frage die Kollegen immer um Rat und lasse sich viel einfallen. Ein Glück für beide Seiten.

"In der Ukraine lernen die Schüler bis zur zehnten Klasse gemeinsam", schildert Nataliia Hrytskevych das, was sie aus ihrer Heimat gewöhnt ist. Vor dem Krieg und vor Corona arbeitete sie in einer Schule in der Region Schytomyr, etwa 150 Kilometer westlich von Kiew. "Bei den Schülern bis zur vierten Klasse habe ich Deutsch und Ethik unterrichtet, in den höheren Klassen Ukrainisch", erzählt sie.

Online-Unterrichtshilfe viel genutzt

Elektronische Tafeln, Laptop, Lernsoftware - das alles kennt die Ukrainerin aus der Heimat. Vor allem das Online-Lernen habe seit Corona enorm an Bedeutung gewonnen, fügt sie hinzu. Immer wieder hantieren sie und Makar mit dem Handy des Jungen, auf dem Lernvideos laufen und Aufgaben gespeichert sind. "Ich mache hier das, was ich am liebsten mache - unterrichten. Dafür bin ich sehr dankbar", betont Hrytskevych.

"Ihre" neue Schule - die Grundschule in Löbau-Ost - kannte die ukrainische Lehrerin übrigens bereits, bevor sie hier mit Unterrichten begann: "Meine Schwester lebt seit 20 Jahren in Löbau und in diese Schule ist meine Nichte gegangen", erzählt sie. Vor etwa drei Jahren - also vor Corona - hatte sie ihre Familienangehörigen hier das letzte Mal besucht. Schon lange hatte ihre Schwester sie gebeten, doch zu ihr zu kommen, aber Nataliia Hrytskevych hat immer abgelehnt: "Ich habe nicht geglaubt, dass Krieg ausbrechen würde", betont sie. Als es doch dazu kam, wollte sie ihren Mann nicht verlassen. Er ist nach Kiew gegangen und hat sich freiwillig gemeldet, dient jetzt in der Nationalgarde.

Immer wieder kommt sie ins Stocken, wenn sie erzählt. Trennungsschmerz, Angst, Erinnerungen an Luftangriffe, Einschusslöcher am Auto, die Flucht und die Zerstörung in ihrem Heimatort fluten ihre Augen mit Tränen. "Die Stadt ist nicht so groß, ein bisschen wie Löbau. Viele Privathäuser und eine Schule sind durch Bomben zerstört, ein Krankenhaus ist beschädigt", erzählt sie und zeigt Fotos auf dem Handy. Doch so schwer das alles auch ist - im Alltag schiebt Nataliia Hrytskevych die Sorgen beiseite. Auch mit Makar, der mit seinen Eltern und drei Geschwistern geflohen ist und nun in Löbau lebt, ist das Thema tabu. Die Wunden sind zu frisch.

Gar nicht so einfach, die deutsche Sprache: Nataliia Hrytskevych bringt dem achtjährigen Makar die Sprache in Löbau bei.
Gar nicht so einfach, die deutsche Sprache: Nataliia Hrytskevych bringt dem achtjährigen Makar die Sprache in Löbau bei. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Nataliia Hrytskevych wünscht sich, in ihre Heimat zurückkehren zu können. Zur Flucht habe sie sich nur wegen ihrer kleinen Enkelin entschieden, sie wollte sie in Sicherheit wissen. Löbau war als Wohnort ihrer Schwester ein gutes Ziel. Sie habe mit Tochter und Enkelin auch erst bei ihrer Schwester gewohnt, allerdings reichte der Platz für alle nicht aus. Dass die Sparkasse ihnen die Wohnung zur Verfügung stellt und eine Mitarbeiterin ihre Bewerbung für den Schuldienst ins Rollen brachte, ist für Nataliia Hrytskevych eine wunderbare Fügung. Und für die Schulleiterin auch: Die Sparkassenmitarbeiterin ist Elternratsmitglied an der Grundschule.

15 ukrainische Lehrer in Oberlausitz eingestellt

So wie Nataliia Hrytskevych sind im Bereich Bautzen des Landesamtes für Schule und Bildung (Lasub) "auf der Grundlage eines Einstellungserlasses" inzwischen 20 Lehrer für Ukrainisch-Vorbereitungsklassen eingestellt worden. "Davon sind 15 Lehrkräfte aus der Ukraine", teilt Landesamtssprecherin Petra Nikolov auf SZ-Anfrage mit. Der Freistaat suche nach wie vor Unterstützung. Die Stellen sind zunächst bis Ende Juli befristet. Die Sprecherin betont, dass es "keine Umlenkung von ,regulären' Lehrkräften für den Unterricht der ukrainischen Kinder" gebe. Entweder werden die ukrainischen Kinder von vorhandenen Lehrkräften an den Schulen betreut oder separat in Ukraine-Vorbereitungsklassen unterrichtet. Dann jedoch "niemals von regulären Bestandslehrkräften".

Nataliia Hrytskevych ist vor allem eines: dankbar. Das motiviert sie erst recht, zu helfen. "Ich will mich nützlich machen, ich habe den Vorteil, dass ich mich verständigen kann", erklärt sie. Neben ihrem Schuljob bringt sie deshalb auch geflüchteten Landsleuten Deutsch bei, damit sie selbstständiger leben können. Wie wichtig das ist, weiß sie nur zu gut.