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Pendeln zwischen Greifendorf und Kiew

Eine ukrainische Ärztin hilft mit Unterstützung aus Hainichen und Mittelsachsen Kindern und verwundeten Soldaten. In ihrer Heimat bietet sich ihr ein dramatisches Bild.

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Alvina Andriiasova hat von Spenden ein Haut-Transplantations-Gerät gekauft und damit schon ersten Verletzten in der Ukraine geholfen.
Alvina Andriiasova hat von Spenden ein Haut-Transplantations-Gerät gekauft und damit schon ersten Verletzten in der Ukraine geholfen. © Alvina Andriiasova

Mittelsachsen. Das Hainichener Ehepaar Raminta und Thomas Kretschmann hat gemeinsam mit rund zwei Dutzend Helfern des Vereins Communitas bislang acht Lastzüge mit Hilfsgütern in die Ukraine geschickt. Sie sind erschüttert von den Informationen, die sie von dort erhalten. Thomas Kretschmann berichtet:

Es ist Dienstagnachmittag. In wenigen Stunden wollen wir in den Urlaub aufbrechen. Doch es gibt noch so viel zu erledigen, zu packen, zu organisieren. In all diesem Chaos haben wir ein Treffen mit Alvina Andriiasova, einer jungen Ärztin aus der Ukraine.

Mit ihrer Familie war die 24-Jährige kurz nach Kriegsbeginn nach Greifendorf geflüchtet. Ende Juni reiste sie als Freiwillige für drei Wochen nach Kiew, um verwundete Soldaten chirurgisch zu versorgen.

Eltern von einem Soldaten wohnen mit in Klinik

Doch was sie nun von ihrem Einsatz berichtet, lässt uns das Chaos um uns herum vergessen. Sie zeigt uns Fotos von Verwundeten, die operiert wurden. Ich kann mir die Bilder nicht anschauen. Meine Frau ist stärker und sieht Menschen, denen ganze Körperpartien fehlen, die entsetzlich zugerichtet sind. Nahe der Front, so berichtet Alvina, werden die Verwundeten notdürftig versorgt und dann nach Kiew gebracht. Manche kämen mehr tot als lebendig an.

Alvina hatte nach ihrem Studium nur wenige Monate in der Ukraine als Chirurgin arbeiten können. Dann kam der Krieg. Die 24-Jährige war im Juli von Greifendorf aus in die ukrainische Hauptstadt gereist, in der Annahme, dass sie Chirurgen mit langjähriger Erfahrung assistieren würde. Doch von Beginn an ist sie nahezu auf sich allein gestellt.

„Niemand hat uns im Studium auf solche Verletzungen vorbereitet. Viele der Ärzte, die schon länger vor Ort arbeiten, sind körperlich und psychisch am Ende ihrer Kräfte oder schlichtweg überfordert“, erzählt Alvina.

Ein junger Soldat ist ihr besonders ans Herz gewachsen. Er wurde mit massiven Verletzungen im Bauchbereich und einer Schädigung der Wirbelsäule eingeliefert. In den Tagen, seit er unter Beschuss kam und verwundet wurde, hatte er dramatisch an Gewicht verloren.

Damit er irgendwann vielleicht wieder laufen kann, wäre eine komplizierte Operation nötig. Da diese in Kiew nicht möglich ist, hofft Alvina, den Verletzten nach Deutschland bringen zu können. Da das Haus seiner Eltern vollkommen zerstört ist ermöglicht das Kiewer Krankenhaus ihnen, in einem Nebenzimmer zu leben und ihren einzigen Sohn mit zu versorgen.

Alvina (rechts) bei einer Operation in Kiew.
Alvina (rechts) bei einer Operation in Kiew. © Alvina Andriiasova
Alvina mit einem im Krieg schwer verletzten Patienten. Seine Eltern haben ihr Haus verloren und dürfen mit im Krankenhaus wohnen.
Alvina mit einem im Krieg schwer verletzten Patienten. Seine Eltern haben ihr Haus verloren und dürfen mit im Krankenhaus wohnen. © Alvina Andriiasova
Alvina reiste mehr als 400 Kilometer richtung Front, um Kindern mit Diabetes zu helfen.
Alvina reiste mehr als 400 Kilometer richtung Front, um Kindern mit Diabetes zu helfen. © Alvina Andriiasova

Die Chirurgin berichtet auch von einem amerikanischen Soldaten mit massiven Verletzungen. Eine Explosion hat unter anderem seinen Unterkiefer so geschädigt, dass er nur flüssig ernährt werden kann. Er konnte nur anhand seiner Erkennungsmarke identifiziert werden. Der Amerikaner selbst hat einen Gedächtnisverlust. Für einen Transport in seine Heimat ist sein Zustand zu instabil.

In all der Not gibt es aber auch positive Momente. So erzählt uns Alvina, wie gut die über 6.000 Euro Spendengelder, die wir ihr mitgegeben hatten, angelegt sind. Es gelang der Chirurgin, mit dem Geld in der Ukraine ein Haut-Transplantations-Gerät zu kaufen. Viele Verletzte mit Brandwunden konnten bereits versorgt werden.

Freiberger Schulklasse hilft Kindern

Weiteres Geld, darunter auch fast 915 Euro einer Freiberger Schulklasse, verwendete die Ärztin, um Insulin und Diabetes-Messgeräte für Kinder zu kaufen. Mit ihrem Auto war Alvina ins mehr als 400 Kilometer von Kiew entfernte kurz vor der Front liegende Krivoy Rog gefahren, um die an Diabetes Erkrankten zu versorgen.

In einem Dankesbrief an die Freiberger Gymnasiasten schreiben die Kinder: „... Wir sind Kinder mit Typ-1-Diabetes. In dieser schwierigen Zeit, in der viele Straßen unpassierbar sind, die medizinische Versorgung immer weiter zurückgeht und unsere Eltern nicht normal arbeiten und Geld (für unsere Medizin) verdienen können, war eure Hilfe für uns von unschätzbarem Wert. ...Wir wünschen den Kindern in Sachsen einen friedlichen Himmel und eine glückliche Kindheit.“

Wir ringen mit den Tränen, während Alvina uns all dies berichtet und den Brief zeigt. Die Urlaubsvorbereitungen rücken in den Hintergrund. Es ist richtig, dass wir, die im Frieden leben, unsere Freiheiten nutzen und eine Zeit lang auch einmal Abstand nehmen von dem, was in der Ukraine Schreckliches passiert.

Doch vergessen dürfen wir das Leid nicht. Für uns Helfer, die Informationen aus erster Hand bekommen, ist es schmerzlich, zu sehen, wie einigen unserer Mitbürger der Krieg egal ist, sie vielleicht sogar auf der Seite Putins sind oder das alles als Propaganda abtun.

Nächste Reise Anfang August

Alvina reist Anfang August wieder in die Ukraine. Erneut werden wir sie mit Spendengeld ausstatten, auch für die an Diabetes erkrankten Kinder. Und vielleicht gelingt es uns, zeitnah einen Hilfstransport in eine Region in der Ukraine zu schicken, in der laut Alvinas Kenntnissen bislang noch gar keine Hilfslieferungen angekommen sind.

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Einen Menschen wie sie vor Ort in der Ukraine zu haben, dem wir vertrauen und der die Courage hat, zu tun, was zu tun ist, erleichtert die Organisation der Hilfstransporte. Nun ist es an uns, die wir Dank des unermüdlichen Widerstandes der Ukrainer in Frieden leben, zu helfen und weiterhin Hilfstransporte zu entsenden, anstatt zu vergessen.

Hier können Sie spenden

  • Die komplette Liste der benötigten Hilfsgüter sowie weitere Informationen gibt es im Internet unter https://naturbrennstoffe.com/blog/hilfstransport-ukraine-das-passiert-gerade
  • Spendenannahme: Spenden werden wochentags von 9 bis 17 Uhr und samstags 9bis 11 Uhr im Spendenlager bei der Firma Naturbrennstoffe Kretschmann, Friedrich-Gottlob-Keller-Siedlung 27a, angenommen.
  • Geldspenden können im Lager gegen Quittung abgegeben oder auf das Spendenkonto des Vereins Communitas bei der Sparkasse Mittelsachsen, IBAN DE54 8705 2000 3330 0100 01, überwiesen werden. Wer speziell für Kinder spenden möchte kann den Betreff „Hilfe für Kinder“ angeben.