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Politik in Sachsen – Die Morgenlage

Milbradt im Podcast + Kretschmer für neue Energie-Deals + Arena für Ukraine-Flüchtlinge + Streit um Semperopernball-Chef + Polizei mit neuer Spezialeinheit

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Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Georg Milbradt rechnet mit naiven "Putin-Verstehern" ab. Er hat die ukrainische Regierung seit 2014 beraten.
Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Georg Milbradt rechnet mit naiven "Putin-Verstehern" ab. Er hat die ukrainische Regierung seit 2014 beraten. © ronaldbonss.com

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Guten Morgen,

er kommt in Jeans, einer schwarzen Fleece-Jacke, mit weißem Hemd und einer blauen Wollweste darüber. In der Hand eine einfache, schwarze Laptop-Tasche. Der große Auftritt, möglichst viel Rummel um seine Person – das ist dem ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt bis heute fremd geblieben. "Wie lange wollen wir eigentlich sprechen?", fragt er interessiert nach, kurz vor der Podcast-Aufnahme unseres Gesprächs im Dachcafé der Sächsischen Zeitung.

Seit 2014 berät der mittlerweile 77-jährige Wirtschafts- und Finanzexperte die Ukraine beim Aufbau ihrer kommunalen Selbstverwaltung – zunächst im Auftrag der G7-Staaten, dann als Sondergesandter der Bundesregierung. Doch seit dem 24. Februar, dem Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine, ist seine Aufbau-Arbeit beendet. Nur vorläufig, hofft Milbradt, der in diesen Tagen wieder zum gefragten Gesprächspartner in Sachsen geworden ist. Plötzlich steht er wieder im Rampenlicht, das er im Mai 2008 verlassen hatte.

Im Gegensatz zu vielen anderen Spitzenpolitikern in Sachsen, die auch bei den größten Fehlern an ihren Stühlen kleben, zog Milbradt damals nach der Pleite der Landesbank Sachsen die Konsequenzen und trat zurück. Dann wurde es ruhig um den CDU-Mann.

Doch er wurde nicht ruhiger, sondern hat – fast unbemerkt von der Öffentlichkeit – sein "zweites Leben", das nach der Politik, begonnen. Das begann damals zunächst nur mit einem Sprachkurs in Polen. Der Aufenthalt in dem Land, der Perspektivwechsel, habe ihm sein "Damaskus-Erlebnis" beschert, sagt Milbradt heute. Er meint die Sicht auf die Weltmacht Russland und ihren Aggressor Wladimir Putin. "Wir hatten viel zu lange ein naives Russland-Bild, weil wir Erfahrungen aus der Vergangenheit in die Zukunft oder Gegenwart projiziert haben und nicht sehen wollten, dass die Welt sich massiv verändert hat", kritisiert Milbradt die vielen "Putin-Versteher". Er wolle kein "Oberlehrer im Nachhinein" sein, fügt er noch hinzu. "Es war ein kollektiver Irrtum", sagt er versöhnlich.

Mein Gespräch mit Georg Milbradt hat fast eine Stunde gedauert. Und ich hätte nicht gedacht, dass ich es noch erleben würde, dass ausgerechnet er einmal Lenin zitieren würde. Tut er aber – einfach mal reinhören!

Ich wünsche Ihnen ein erholsames, sonniges Wochenende,

herzlichst,

Ihre Annette Binninger, Leiterin Politikredaktion sächsische.de

Das Wichtigste am Morgen:

+++ Energiekrise: Kretschmer will neue Vereinbarungen mit Russland +++

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat davor gewarnt, die Wirtschaft und auch die Verbraucher mit Blick auf den Ukraine-Krieg zu verunsichern. Die aktuellen Preisexplosionen etwa auf dem Energiemarkt seien ein Resultat von Spekulationen und Verunsicherungen, sagte Kretschmer am Donnerstag. Diese Preissprünge seien substanziell gar nicht zu begründen, da Erdgas nach wie vor in Deutschland ankomme. "Es geht um die Sorge, dass etwas passieren könnte (...) Wir müssen jetzt aufhören mit den Verunsicherungen." Man brauche mit Russland eine Vereinbarung, dass die Energieversorgung für die kommenden Jahre sicher sei, sagte er. Alle aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg gibt es in unserem Newsblog.

Am offensichtlichsten sind die Preissprünge derzeit an den Tankstellen, wo es auch am Donnerstag weiter nach oben ging. Wie sich der Spritpreis zusammensetzt, erklärt sächsische.de hier. Geringere Mehrwert- oder Energiesteuer - diese Vorschläge zur Senkung der Kraftstoffpreise liegen auf dem Tisch.

Die Linksfraktion im sächsischen Landtag hat am Donnerstag einen eigenen Forderungskatalog vorgelegt. Sie macht sich laut Mitteilung unter anderem für einen temporär kostenlosen ÖPNV stark. Die Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern im Freistaat wandten sich Donnerstag mit einem Schreiben an die sächsischen Bundestagsabgeordneten und forderten eine Kostensenkung bei Benzin, Diesel, Strom und Wärme.

+++ Leipzig macht Arena zur Flüchtlingsunterkunft +++

Die Zahl von geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern in sächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen hat sich innerhalb weniger Tage fast verdoppelt. Bis zum Mittwoch seien 2.742 Menschen aus der Ukraine in den Einrichtungen des Landes aufgenommen worden, teilte die Landesdirektion Sachsen am Donnerstag mit. Am Montag waren es noch 1.422 Geflüchtete, die der Freistaat aufgenommen hatte.

Die Stadt Leipzig richtet derweil wegen der großen Zahl von Ukraine-Flüchtlingen einen Krisenstab ein. Er solle helfen, die sich täglich verändernde Lage zu bewältigen, sagte Stadtsprecher Matthias Hasberg am Donnerstag. Man erlebe "eine noch nie dagewesene Situation". Leipzig rechne mit 10.000 bis 12.000 Menschen aus der Ukraine, die in den nächsten Wochen eintreffen werden. Die Stadt sei dabei, in der Veranstaltungshalle Arena Leipzig eine Notunterkunft einzurichten. Es werde auch versucht, Zimmer in Hostels und Hotels anzumieten. Als letzte Option blieben dann nur noch Turnhallen und Zelte. Am Leipziger Hauptbahnhof richte die Feuerwehr einen "Hilfepunkt" ein, wo sich die Menschen aufhalten können und auch etwas zu essen oder zu trinken bekommen. Auch die Leipziger Volkszeitung berichtet. In Bautzen ist derweil eine Notunterkunft in einer Sporthalle bereits in Betrieb gegangen. In Dresden gibt es seit Donnerstag eine erste solche Notunterkunft.

Sachsens Sozialministerium hat am Donnerstag eine Internetseite freigeschaltet, auf der alle Informationen für die Flüchtlinge gebündelt zu finden sind. Sie soll bald auch auf Ukrainisch verfügbar sein, hieß es.

+++ Zerbricht der Semperopernball an der Putin-Frage? +++

Die guten Beziehungen von Kulturmanager Hans-Joachim Frey nach Russland bringen den Semperopernball in die Bredouille. Zwar hat man Russlands Präsidenten Wladimir Putin den 2009 verliehenen Sankt-Georg-Orden wieder aberkannt, doch der Vereinschef selbst will nicht gehen. Um "zu gegebener Zeit" die richtigen Konsequenzen zu ziehen, nehme sich der Ballverein eine Auszeit und lasse seine Arbeit für vier bis acht Wochen ruhen, heißt es. Bei einem Treffen der 14 Vereinsmitglieder in dieser Woche sollen nach Informationen von saechsische.de teils heftige Differenzen zutage getreten sein. Ein Vereinsmitglied wirft Frey vor, "durch sein berufliches Engagement in Russland möglicherweise persönlich zu befangen" zu sein. Eine Recherche von saechsische.de zeigt, dass Freys Netzwerk bis in den Kreml reicht.

+++ Neue Spezialeinheit bei Sachsens Polizei +++

Innerhalb der sächsischen Polizei hat eine neue Spezialeinheit ihre Arbeit aufgenommen. Die sogenannten "Super-Recognizer" waren zuvor innerhalb der Polizei ausgewählt worden. Dabei handelt es sich um Menschen mit besonderen Fähigkeiten. Sie können sich Gesichter extrem gut einprägen und wiedererkennen. Gerade für die Polizei ist diese Gabe von großer Bedeutung. Denn im Gegensatz zu digitalen Gesichtserkennungssystemen braucht es dabei keine hochaufgelösten Fotos vom Tatort. Die 18 Beamten sind nun bei der Polizeidirektion Chemnitz angesiedelt. Einsatzmöglichkeiten der "Super-Erkenner" werden zunächst bis Ende 2022 geprüft. Dann soll entschieden werden, ob es solche Spezialeinheiten landesweit braucht.


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