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Selenskyj-Berater: "Wenn Russland gewinnt, dann stoppen sie nicht"

Der Berater des ukrainischen Präsidenten Mychailo Podoljak im Interview über Putins Versuch, ein "neues Groß-Russland zu schaffen", Gerhard Schröder und AKW-Laufzeitverlängerungen.

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Mychailo Podoljak ist Berater von Ukraines Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
Mychailo Podoljak ist Berater von Ukraines Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. © Ukrainisches Präsidialamt

Kiew. Es gibt nur eine vage Zusage. Mittwoch, 12 Uhr soll man am Checkpoint sein, die Koordinaten für das Interview mit dem engsten Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kommen per Messengerdienst. Knapp zwölf Stunden Zugfahrt von Berlin nach Przemyśl, im äußersten Südosten Polens.

Der Zug ist rappelvoll, hunderte Frauen und ihre Kinder reisen zurück nach Kiew. Die meisten nicht dauerhaft, sondern um kurz ihre Männer wiederzusehen, Urlaub im Kriegsgebiet. Von Przemyśl geht es über Nacht nochmal zwölf Stunden weiter. In Kiew gibt es beim ersten Termin Luftalarm.

Das Interview wird bestätigt. Die Gegend um den Sitz des Präsidenten ist weiträumig abgesperrt, gespenstische Stille. Betonblöcke und gepanzerte Fahrzeuge an jeder Ecke, schwer bewaffnete Soldaten kontrollieren die Ausweise des Interviewers, des Übersetzers und der Fotografin.

Nach zwei Checkpoints öffnet sich das Tor. Nach dem Gang durch den Hof noch ein Checkpoint am Palasteingang. Es ist düster, die Soldaten kommunizieren über alte Telefone. Die Fenster des Palasts sind allesamt mit Sandsäcken verbarrikadiert, in der Mitte ist immer ein kleines Viereck frei, als Schießscharte.

Es geht in den dritten Stock. Eine Tür öffnet sich, ein ernster Mychailo Podoljak grüßt per Handschlag, er ist sehr blass. Gerade erst ist einer der führenden Getreidehändler des Landes mit einem gezielten russischen Angriff getötet worden. Der runde Besprechungstisch ist gewachsenes Chaos, Bücher, Papiere. Auf dem Schreibtisch lugt ein kleiner fröhlich dreinblickender Teddy heraus.

"Wir wollen die Ukraine in den Grenzen von 1991 zurückbekommen"

Herr Podoljak, Sie sind der engste Berater von Präsident Selenskyj. Auf Ihrem Schreibtisch liegt eine Pistole, da hinten liegen zwei Helme und schusssichere Westen. Sind Sie bereit hier zu sterben?

Ich werde hier so lange bleiben, wie es nötig ist. Wir sind vorbereitet, unsere Bedingungen hier sind absolut normal, wenn wir es mit den Bedingungen unseres Militärs vergleichen. Das sind unsere Helden. Wir arbeiten hier Tag und Nacht, aber um es klar zu sagen: Hier ist eine weitere Frontlinie.

Dort neben dem Schreibtisch zählen wir sieben Paar Schuhe, inklusive Pantoffeln. Es sieht so aus, als wohnen Sie in diesem zum Bunker umgebauten Präsidentenpalast.

Ja, seit dem 24. Februar 2022, 6 Uhr morgens. Als der russische Angriff begonnen hat.

Eine ganz simple Frage. Wenn man das hier sieht, das Schwanken der Menschen in Kiew zwischen Scheinnormalität und weiter fast täglichem Luftalarm: Wie geht es Ihnen?

Wir leben in einem Krieg, der jetzt schon fünfeinhalb Monate dauert. Aber wir sehen keine Demoralisierung der Bevölkerung und es gibt eine große Übereinkunft, dass dieser Krieg nicht zu den Bedingungen Russlands, nicht zu Bedingungen, die die Bevölkerung nicht akzeptiert, beendet werden darf. Der Krieg kann nur durch einen Sieg der Ukraine beendet werden.

Was ist ein Sieg der Ukraine?

Wir sind vorbereitet auf einen langen Krieg. Die Wirtschaft ist auf eine Art Kriegswirtschaft umgestellt worden, wir sind bereit, dass es so lange dauert, bis wir gewonnen haben. Russland will ein expansionistisches Imperium sein; in diesem Verständnis ist es das oberste Ziel, weiteres Land zu gewinnen.

Sie investieren nicht in den Wohlstand ihrer eigenen Bevölkerung, sie investieren nicht in den eigenen Fortschritt und neue Technologien, sie versuchen das woanders her zu bekommen, durch Einverleibungen. Sie müssen dafür aber ihrer eigenen Bevölkerung zeigen:

Wir sind ein Imperium, das in der Welt gefürchtet wird. Deswegen ist es entscheidend für die Ukraine, keine von Russland dominierten, kriminellen Enklaven auf seinem Territorium zuzulassen. Das wäre nur der Schauplatz neuer Provokationen, Eskalationen und Attacken. Jedes neue Minsk Abkommen, ob 3, 4 oder 5, wird nur den Krieg verlängern. Und es würde vor allem den Russen Zeit geben, sich neu zu sortieren, eine neue Strategie zu entwickeln, um härter zuzuschlagen. Sie würden nicht stoppen, bis die Ukraine zerstört ist.

Nochmal, was heißt ein Sieg der Ukraine?

Bevor wir die Gräueltaten in Butscha gesehen haben, gab es vielleicht einen Weg, mit Russland zu besprechen, wie man zurück kommen könnte zum Status Quo ante des 23. Februar dieses Jahres. Nach diesen Taten, nach der Zunahme von Kriegsverbrechen, nach dieser Art der Kriegsführung und ihren Statements, hat sich das geändert. Wir wollen die Ukraine in den Grenzen von 1991 zurückbekommen, als die Ukraine unabhängig von der Sowjetunion geworden ist.

Also nicht nur den Donbass zurückerobern, sondern auch die Krim?

Ja. Natürlich, einschließlich der Krim. Nur die vollständige Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine wird ein wirkliches Ende des Krieges ermöglichen.