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Ukrainischer Botschafter Makejew besucht Dresden: "Wir kämpfen bis zuletzt"

Der ukrainische Botschafter Oleksij Makejew wirbt auch in Sachsen um Unterstützung. Dabei gibt er sich gemäßigter als sein Vorgänger Andrij Melnyk.

Von Annette Binninger & Franziska Klemenz
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Der ukrainische Botschafter Oleksij Makejew auf der Dachterrasse vom Haus der Presse in Dresden.
Der ukrainische Botschafter Oleksij Makejew auf der Dachterrasse vom Haus der Presse in Dresden. © SZ/Veit Hengst

Dresden. Ein leichter Gang war es sicher nicht - erst nach Thüringen, danach am Donnerstag zum Antrittsbesuch nach Sachsen. Denn in Ostdeutschland herrscht eine anders Stimmung, viele Menschen dort sind skeptisch gegenüber Waffen-Lieferungen an die Ukraine. Der neue ukrainische Botschafter Oleksij Makejew warb bei seinem ersten Besuch in Sachsen nicht nur um Hilfe und Solidarität für sein Heimatland. Er traf auch auf Skeptiker wie Ministerpräsident Michael Kretschmer, der für mehr diplomatische Initiativen eintritt und sich immer wieder gegen die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine ausspricht.

Herr Makejew, in einigen Tagen jährt sich der Angriff Russlands auf die Ukraine. Sehen Sie eine Chance, dass dieser Krieg in diesem Jahr endet?

Wir tun alles, damit der Krieg nicht endet, denn Kriege enden nicht einfach so von selbst. Sie werden gewonnen oder verloren. Und wir tun alles, um diesen Krieg zu gewinnen, um unser Land gegen den russischen Angriff zu verteidigen.

Wird dieser Krieg erst enden, wenn die Ukraine alle von der russischen Armee besetzen Gebiete zurückerhalten hat?

Dieser Krieg kann nur gewonnen werden von der ganzen Welt. Alle sind daran interessiert, dass so etwas nie wieder passiert. Er ist dann gewonnen, wenn sich russische Truppen zurückziehen, russische Kriegsverbrecher und die Staatsspitze für Akte der Aggression zur Rechenschaft gezogen werden und wenn alle Häftlinge; Kriegsgefangenen und Menschen, die nach Russland verschleppt worden sind nach Hause zurückgekommen sind. Außerdem muss Russland dafür zahlen, was es unseren Menschen, unserer Wirtschaft und Industrie angetan hat.

Aber viele sagen in Deutschland: „Das ist nicht mein Krieg“.

Ich habe die Schriftzüge mit der Aufschrift „Das ist nicht unser Krieg“ in Berlin gesehen. Das ist durchgestrichen. Das ist doch unser Krieg. Ich freue mich, dass so viele Deutsche verstanden haben, was Solidarität und Unterstützung bedeutet. Ich möchte, dass die Deutschen den Krieg quasi zu einer Familien-Angelegenheit machen. Jeden Tag sehe ich, dass wir da vorankommen.

Wenn die Einstellung ist: Wir müssen der Ukraine helfen, nicht nur zu überleben, sondern zu gewinnen – deswegen geben wir so viel Unterstützung, Schutz, deswegen fordern wir von der Regierung, mehr zu machen. Deswegen teilen wir die Meinung, dass die Ukraine nur mit Waffen und nicht mit bloßen Händen den Krieg gewinnen kann. Deswegen die Panzer und Flugabwehrsysteme. Wir alle machen diesen Job und verteidigen heute Freiheit und Frieden. Ich versuche, den Deutschen klarzumachen, worum es geht, damit sie den Krieg aus ukrainischen Augen betrachten, damit sie spüren und verstehen, wie es ist, mit Krieg zu leben. Ich versuche, die Solidarität aufrechtzuerhalten und so viel wie möglich Unterstützung zu bekommen.

Gibt es aus Ihrer Sicht genügend diplomatische Initiativen, um den Krieg schneller zu beenden?

Wenn man hier in Deutschland mehr Diplomatie fordert, vergisst man, dass es doch alles mit Diplomatie angefangen hat. 2008, als Russland Georgien überfallen hat, da waren Diplomaten damit beschäftigt. Mag kritisch klingen, aber: Diplomaten haben es versaut. Keiner – weder Staatschefs noch Unterhändler - haben erfolgreich mit Russland verhandelt. Kurz vor Beginn des Angriffs auf die Ukraine waren doch auch alle da und haben sich bemüht – auch der Bundeskanzler. Hat Diplomatie funktioniert? Kann Diplomatie funktionieren bei einem Regime, wenn 80 Prozent der Russen diesen genozidalen Krieg unterstützen? Diplomatie wird dann wieder gefragt sein, wenn Russland dazu gezwungen wird, sich aus der Ukraine zurückzuziehen.

Der ukrainische Botschafter Oleksij Makejew im Gespräch mit Politik-Chefin Annette Binninger.
Der ukrainische Botschafter Oleksij Makejew im Gespräch mit Politik-Chefin Annette Binninger. © SZ/Veit Hengst

Sie sind in einem Teil Deutschlands, in dem viele Menschen anders denken – bis in die Spitze der Landesregierung hinein. In Sachsen sind einer Umfrage zufolge 70 Prozent gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Haben Sie Verständnis dafür, dass die Skepsis gerade in Ostdeutschland groß ist?

Nein, das kann ich nicht verstehen. Wenn jemand sagt: Wir sind gegen Waffenlieferungen, heißt es dann nicht, dass man im Umkehrschluss dafür ist, dass Ukrainer getötet werden? Wenn wir gegen Flugabwehrsysteme sind, bedeutet es, dass die Raketen der Russen einschlagen werden. Wir haben gesehen, wie viele russische Raketen Häuser zerstört und Zivilisten getötet haben. Ich habe selbst gespürt, was es heißt, in Kiew nur zwei Stunden am Tag Strom und Wasser zu haben – mitten im Winter. Sind die Menschen dafür, dass es all die Gräueltaten gibt wie in Bucha? Wären die Leute auch dafür, dass sie auf der Straße angegriffen werden? Würden sie nicht die Polizei rufen? Würden Sie nicht ihre Familienangehörigen schützen vor einem Angreifer? Wir kämpfen ums Überleben und sind für jede Hilfe dankbar. Für humanitäre Hilfe, Generatoren, Arzneimittel – das ist sehr wichtig. Wir müssen uns aber auch verteidigen. Ohne Waffen geht es nicht. Das ist eine Überlebensfrage.

Wie kann ich mir den Besuch bei Ministerpräsident Michael Kretschmer vorstellen, der sich ja immer wieder gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ausspricht. Haben Sie versucht, auch diesen Sachsen zu überzeugen?

Es war ein sehr gutes, ehrliches Gespräch mit Michael Kretschmer. Das ist keine Selbstverständlichkeit in der Diplomatie, aber es ist mein Anliegen, vertrauensvoll, aber auch sehr ehrlich mit den Bürgern zu sprechen. Wenn ich viele Deutsche mit meinen Argumenten erreiche, dann kommt auch die Regierung mit, dann werden auch die richtigen Entscheidungen getroffen, zum Beispiel über Leopard-, Marder-Panzer und weitere Flugabwehrsysteme. Das Beste, was ich auf Twitter als Kommentar gelesen habe, als das Flugabwehrsystem kam, war: „Dafür zahle ich gerne meine Steuern.“

Aber haben Sie denn versucht, mit Michael Kretschmer zu diskutieren?

Unser Gespräch war so pro-ukrainisch, das kann man sich gar nicht vorstellen.

...dann kann es aber nicht um Waffen gegangen sein.

Das Bundesland Sachsen liefert ja auch keine. Ich habe die gleichen Fragen gestellt wie allen anderen auch, meine Argumente sind die gleichen. Ob ich den Ministerpräsidenten überzeugt habe, müssen Sie ihn fragen. Mein Appell geht an alle Deutschen: Versuchen Sie bitte, die Ukraine mit meinen Augen zu sehen.

Ihr Amtsvorgänger, Botschafter Andrij Melnyk, hatte Kretschmer quasi zur unerwünschten Person in der Ukraine erklärt und ihn von einem Besuch ausgeladen. Laden Sie ihn ein?

Wir sind noch nicht dazu gekommen, dass er eine Reise plant. Aber was wir für die nächsten Wochen und Monate für die Ukraine geplant haben, ist sehr vielversprechend.

Was zum Beispiel?

Wir haben über humanitäre Hilfe gesprochen und Pläne für eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit geschmiedet. Ich möchte, dass mehr ukrainische Waren auf den deutschen Markt kommen, dass ukrainische und deutsche Unternehmen miteinander handeln. Spenden sind wichtig, aber das ist eine ganz andere Stufe – Arbeitsplätze schaffen, neue Fabriken und Werke bauen.

Michael Kretschmer sagte kürzlich, er könnte sich vorstellen, wieder Nordstream I zu nutzen. Er ärgert sich darüber, dass Deutschland derzeit auf russisches Gas „verzichten“ muss – und hofft, dass es nach dem Krieg schnellstmöglich wieder fließt.

Ich habe kein einziges Mal gespürt, dass das, was Herrn Kretschmer jetzt interessiert, russisches Gas ist.

Das wird er Ihnen gegenüber auch nicht so aussprechen, schätze ich.

Vielleicht. Ob es aber wirklich etwas ganz Wichtiges für Sachsen ist, Gas zu beziehen von einem Land, das immer noch meine Landsleute tötet. Ich glaube nicht, dass „Business as usual“ bald wieder möglich ist.

Sind sie noch mit Russen befreundet? Suchen Sie noch das Gespräch mit irgendeinem Menschen aus Russland?

Nein. Es ist unter diesen Umständen kaum vorstellbar und leider in diesen vielen, vielen Jahren des Krieges und insbesondere nach diesem Angriffskrieg mit Start 2022 hat bei mir noch kein Russe vorbeigeschaut und gesagt: Ich schäme mich, ein Russe zu sein. Bitte entschuldige, was wir Russen euch Ukrainern angetan haben.

Können Sie verstehen, dass hierzulande noch der Wunsch besteht, nicht alles zu kappen, was es an kleinen deutsch-russischen Verbindungen mal gab?

Ich verstehe schon, dass man hier andere Erfahrungen mit Russland hatte. Aber ob es wirklich möglich ist, die Augen zuzumachen und zu sagen: Das russische Ballett hat damit überhaupt nichts zu tun, wenn auch die Tänzer sagen: „Ukrainer sind Nazis, die müssen alle getötet werden. Lasst uns doch tanzen.“ Meine Empfehlung wäre: Wenn Kontakte zu Russland so wichtig sind, fragen Sie bitte diese Russen, die Sie so hochschätzen: Unterstützt du das Töten, das Foltern? Gefällt es euch? Unterstützt man das in Russland? Ich weiß nicht, was für eine Antwort Sie bekommen.

Die Frühjahrsoffensive steht bevor. Ist die Ukraine darauf vorbereitet?

Natürlich ist unser Generalstab für alles bereit, mit dem Gerät was wir haben und was wir hoffentlich noch geliefert bekommen. Manchmal ist es für mich sehr enttäuschend, zu sehen, wie lange die Debatten dauern, besonders in Deutschland.

Viele Deutsche haben dennoch Zweifel, befürchten eine Eskalation des Krieges?

Ja, es gibt Ängste, die man ansprechen muss. Aber wissen Sie, wenn man die Ukrainer fragt: Haben ihr Angst vor der Eskalation, dann sagen Sie: Welche Eskalation? Wir leben seit 24. Februar unter ständigem Beschuss. Manchmal dreimal am Tag geht meine Warn-App mit Sirene an. Die Menschen in Kiew laufen runter in die U-Bahn-Station. Meine Eltern bleiben einfach in der Wohnung, weil sie schon keine Kraft mehr haben, immer wieder nach unten zu laufen. Wir kennen die Eskalation.

Schauen Sie auf die Umfrage in der Ukraine. Die Leute sagen: Was auch immer passiert, wir kämpfen bis zuletzt. Man kann sich verstecken, aber auch die Ukrainer hier im Ausland schauen jeden Tag in die Messenger-Dienste auf ihrem Handy: Ist alles ok mit meinem Mann? Mit meinen Eltern? War der Aufschlag zu nah oder sind sie noch am Leben? Warum antworten sie nicht? Gibt es keinen Strom? So funktioniert es zwischen Familien hier und in der Ukraine. Jede Familie ist betroffen, jede hat Verluste erlitten, in jeder gibt es Angehörige, die im Ausland nach Schutz suchen.

Wir versuchen, es zu erklären und zu zeigen: Warum sind Panzer wichtig, Flugabwehrsysteme nötig, wie werden wir damit umgehen. Die Militärs verstehen das alles. Wir brauchen den politischen Willen. Und, dass die Bevölkerung mitgenommen wird.

Was ist Ihr größter Wunsch jetzt für Ihr Land?

Dass unsere Menschen frei sind, auch in den besetzten Gebieten. Mein größter Wunsch ist, dass wir alle nach Hause kommen und ich in einem blauen Himmel über Kiew oder Charkiw nochmal Zivilflugzeuge fliegen sehe und nicht Marschflugkörper.