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Angst vorm Krieg: Was hilft, wenn die Sorge überhandnimmt

Der Krieg in der Ukraine macht auch vielen Sachsen Angst. Das ist erstmal normal. Doch nicht jeder kann damit gleich gut umgehen. Was hilft, wenn die Angst überhandnimmt, erklärt eine Psychologin.

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Seit Tagen Nachrichten vom Krieg, der plötzlich ganz nah erscheint.
Seit Tagen Nachrichten vom Krieg, der plötzlich ganz nah erscheint. © dpa/Lino Mirgeler

Der Krieg in der Ukraine war nur wenige Tage alt, da hat Psychologin Susanna Hartmann-Strauss schon mit Patienten darüber gesprochen. Inzwischen sei er häufig Thema in ihrer Praxis. „Zum einen bei Menschen, die durch die Berichte und Bilder an eigene Kriegserlebnisse erinnert werden“, sie.

Sie würden mit vielen Auslösern konfrontiert, die traumatische Erfahrungen ins Bewusstsein bringen und starke Ängste auslösen oder reaktivieren können. Aber auch junge Menschen, die Kriege nicht einmal aus Erzählungen der Großeltern kennen, sorgen sich. Für sie sei Krieg oft etwas Abstraktes.

„Durch die geografische Nähe der Ukraine ist er aber zu etwas Konkretem geworden, das in das eigene Leben hineinreicht.“ Ein alter Mechanismus, um Angst zu bewältigen, sei der Gedanke: Das hat nichts mit mir zu tun, das kann mir hier nicht passieren. Doch das funktioniere plötzlich nicht mehr.

Dabei ist Angst erstmal etwas Gutes, wie Psychologie-Professor Jürgen Margraf von der Universität Bochum sagt. Sie warne vor Gefahr – und zwar so schnell, dass man es gar nicht bewusst mitbekommt. Der Herzschlag fährt hoch, man kann zum Beispiel besser laufen. Verdauung und Sexualtrieb hingegen werden runtergefahren. Es gehe um schnelles Handeln, um auf eine gefährliche Situation zu reagieren. Und es gehe um die Frage: Kampf oder Flucht?

Angst durch den Ukraine Krieg: Völlig normal!

„Angst entsteht aber auch, wenn abstrakte Werte wie Sicherheit oder Frieden bedroht sind“, sagt Hoyer. Die führende Rolle hier spiele das Stresshormon Kortisol.

Dass Menschen jetzt auch in Deutschland Angst verspüren, halten die Fachleute für völlig normal. „Wir sind soziale Wesen, viel sozialer, als uns klar ist“, sagt Margraf. Die westliche Welt sei zwar betont individuell. Bei Konflikten komme das Gruppendenken aber wieder hervor. „Genetisch sind wir immer noch Urmenschen.“

Sich bewusst Zeit für den Nachrichten-Konsum nehmen

Ein wichtiger Faktor ist dabei das Unvorhersehbare: „Wir fürchten übertrieben alles, was unbekannt ist“, sagt Margraf. Auf der anderen Seite neigten Menschen dazu, bekannte Risiken dramatisch zu unterschätzen – etwa beim Handy am Ohr während der Autofahrt. „Der Krieg ist eine diffuse Bedrohungslage, Körper und Geist schalten in einen latenten Alarmzustand“, sagt Hoyer. „Da ist keine Entlastung in Sicht.“ Und die meisten hätten keine Vorerfahrungen mit der Thematik. Die Angst an sich ist nicht körperlich gefährlich. Aber psychisch belastend und leidvoll wird es dann, wenn sie überhandnimmt, unangemessen stark ist oder lange anhält. Wann es soweit ist, testen Experten anhand standardisierter Fragebögen. Hinweise sind laut Margraf, wenn die Angst das Leben einschränkt, alltägliches Handeln vermieden wird oder sie Leiden verursacht.

Als Gegenmaßnahmen raten die Experten, sich Zeitfenster zu nehmen, in denen man sich über den Krieg informiert und grübelt. „Das sollte aber produktiv sein“, sagt Margraf. Niemand brauche zwei Stunden Sondersendungen-Dauerschleife.

Ablenken ist okay

Wichtig sei, eine möglichst sinnvolle Ablenkung zu finden, die die volle Aufmerksamkeit beansprucht. Das könne individuell unterschiedlich sein, sagt Hoyer – vom Spiel mit Kindern bis zur Steuererklärung, die Möglichkeiten seien unbegrenzt. „Jedes sinnvolle Handeln zugunsten persönlich wichtiger Dinge drängt Angst in den Hintergrund. Wenn dies gelingt, ohne Angst zu verleugnen oder zu bagatellisieren, ist das der psychisch gesunde Weg.“

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Margraf sagt: „Das Beste ist, wenn Sie etwas kontrollieren können.“ Vorhersagbarkeit sei das Zweitbeste. Und man solle positive Dinge suchen, mit Freunden spazieren gehen zum Beispiel und die Gedanken teilen. Es sei auch falsch, auf schöne Dinge zu verzichten. „Man darf lachen und Freude haben, obwohl da Krieg ist.“

Psychologin Hartmann-Strauss gibt den Tipp, gerade bei Kindern Routinen einzuhalten. „Nichts gibt mehr Sicherheit, als wenn die Zähne abends eben doch geputzt werden müssen.“ Und man könne schauen, wie man selbst konstruktiv handeln kann: „Was kann ich heute und hier tatsächlich tun, um zu helfen?“

Wichtig sei es, erst einmal anzuerkennen, dass man Angst hat. „Dann die Ängste klar aussprechen“, rät Hartmann-Strauss. Von anderen Menschen zu hören, dass sie die Ängste teilen, tue gut. „Angst, die nicht artikuliert wird, nimmt oft irrationale Züge an und führt dazu, dass ich mich zunehmend hilfloser und ohnmächtiger fühle.“ (dpa)

  • Kostenlose Telefon-Hotline der Barmer zu Kriegsängsten 0800 84 84 111.