Politik
Merken

Bolivien droht im Chaos zu versinken

Nach dem Rücktritt von Präsident Morales spricht er von "Putsch", seine Gegner feiern das "Ende der Tyrannei". Wer im Land nun das Sagen hat, ist unklar.

 4 Min.
Teilen
Folgen
Boliviens Präsident Evo Morales hatte sich nach der Wahl am 20. Oktober zum Sieger in der ersten Runde erklärt, obwohl die Opposition Zweifel anmeldete. Seitdem lieferten sich seine Anhänger und Gegner fast täglich heftige Auseinandersetzungen.
Boliviens Präsident Evo Morales hatte sich nach der Wahl am 20. Oktober zum Sieger in der ersten Runde erklärt, obwohl die Opposition Zweifel anmeldete. Seitdem lieferten sich seine Anhänger und Gegner fast täglich heftige Auseinandersetzungen. © Juan Karita/AP/dpa

La Paz. Nach dem Rücktritt von Boliviens Präsident Evo Morales steht das südamerikanische Land ohne Regierung da. Neben dem Staatschef reichten auch der Vizepräsident, die Präsidentin des Senats und der Präsident der Abgeordnetenkammer ihre Rücktritte ein, die nach der Verfassung eigentlich die Amtsgeschäfte übernehmen müssten. Lediglich die zweite Vizepräsidentin des Senats, Jeanine Áñez, erklärte sich im Fernsehsender Unitel bereit, die Präsidentschaft vorübergehend zu übernehmen und Neuwahlen anzuberaumen.

In mehreren Städten des Landes kam es Medienberichten zufolge in der Nacht zum Montag (Ortszeit) zu Ausschreitungen. Am stärksten betroffen waren der Regierungssitz La Paz sowie das benachbarte El Alto. Die Seilbahn zwischen den Schwesterstädten stellte den Betrieb ein. Zahlreiche Busse und Geschäfte wurden in Brand gesteckt. In einigen Vierteln organisierten sich die Bewohner und errichteten Barrikaden, um sich vor Plünderern zu schützen, wie die Zeitung "La Razón" berichtete.

Morales war am Sonntag nur drei Wochen nach seiner umstrittenen Wiederwahl zurückgetreten. Der Sozialist hatte sich nach der Abstimmung am 20. Oktober zum Sieger in der ersten Runde erklärt, obwohl die Opposition und internationale Beobachter erhebliche Zweifel anmeldeten. Seine Gegner warfen ihm Wahlbetrug vor. Seitdem kommt es bei Straßenprotesten fast täglich zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern. Mindestens drei Menschen kamen bisher ums Leben. 

Dabei hatte der erste indigene Präsident dem Armenhaus Südamerikas eine lange Zeit der politischen Stabilität und der wirtschaftlichen Entwicklung beschert. Er sorgte dafür, dass die satten Gewinne aus der Gas- und Lithium-Förderung größtenteils im Land blieben und auch der indigenen Bevölkerungsmehrheit zugute kamen. Um sich seinen Traum zu erfüllen und bis zur 200-Jahr-Feier der Unabhängigkeit 2025 im Amt zu bleiben, überspannte er den Bogen allerdings.

Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hatte in einem vorläufigen Bericht Manipulationen bei der Präsidentenwahl festgestellt und eine Annullierung empfohlen. Daraufhin hatte Morales zunächst eine Neuwahl angekündigt, am Ende aber dem wachsenden Druck von Militär und Polizei nachgegeben. Sein stärkster Gegenkandidat bei der Wahl, der Ex-Präsident Carlos Mesa, twitterte, der Rücktritt des Präsidenten bedeute ein "Ende der Tyrannei". Oppositionsführer Luis Fernando Camacho aus der wirtschaftsstarken Region Santa Cruz im Osten des Landes rief seine Anhänger dazu auf, den Druck auf der Straße aufrecht zu erhalten. 

Gegner von Boliviens Präsident Evo Morales feiern auf dem Plaza Murillo.
Gegner von Boliviens Präsident Evo Morales feiern auf dem Plaza Murillo. © Gaston Brito/-/dpa

Morales und seine Verbündeten in der Region sprachen von einem Putsch. "Mesa und Camacho, Unterdrücker und Verschwörer, werden als Rassisten und Putschisten in die Geschichte eingehen. Sie sollten ihre Verantwortung wahrnehmen und das Land befrieden sowie die politische Stabilität und das friedliche Zusammenleben unseres Volkes garantieren", schrieb Morales am Montag auf Twitter. "Die Welt und die patriotischen Bolivianer verurteilen den Putsch."

Die Europäische Union rief die politischen Lager in Bolivien zur Mäßigung auf und forderte Neuwahlen. "Wir hoffen, dass die Parteien Zurückhaltung und Verantwortung walten lassen und das Land zu glaubwürdigen Wahlen führen, damit das bolivianische Volk seinen Willen äußern kann", sagte EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Montag.

Morales regierte Bolivien seit 2006. Der 60-Jährige frühere Koka-Bauer war der erste indigene Staatschef des Andenlandes und der dienstälteste Präsident Südamerikas. Er hatte sich zum dritten Mal zur Wiederwahl gestellt, obwohl die Verfassung höchstens eine Wiederwahl vorsieht. Morales überwand diese Hürde mit Hilfe der Justiz, die die Begrenzung der Amtszeiten als Verletzung seiner Menschenrechte bezeichnete.

Der südamerikanische Kontinent kommt nicht zur Ruhe. Seit Anfang des Jahres kämpfen in Venezuela Staatschef Maduro und der selbst ernannte Interimspräsident Juan Guaidó um die Macht. Wegen der katastrophalen humanitären Lage in dem einst reichen Land mit den größten Erdölreserven der Welt haben bereits 4,5 der gut 30 Millionen Venezolaner das Land verlassen. In Chile sind bei wochenlangen Krawallen gegen soziale Ungerechtigkeit und Einkommensunterschiede schon rund 20 Menschen getötet worden. Auch in Ecuador kamen jüngst bei Protesten der indigenen Bevölkerung gegen die Streichung von Benzinsubventionen mehrere Menschen ums Leben. (dpa)