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Umweltschutz rechnet sich

Nachhaltige Unternehmensführung muss zur DNA einer jeden Firma gehören, fordert die Dresdner Umweltökonomin Edeltraud Günther. Warum, erklärt sie im Gespräch.

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© Wolfgang Wittchen

Wie nachhaltig wirtschaften die Unternehmen in Sachsen?

Edeltraud Günther ist seit 1996 Professorin für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebliche Umweltökonomie an der Technischen Universität Dresden. Unter ihrer Leitung führte die TU ein Umweltmanagement nach EG-Öko-Audit-Verordnung ein, welches sei
Edeltraud Günther ist seit 1996 Professorin für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebliche Umweltökonomie an der Technischen Universität Dresden. Unter ihrer Leitung führte die TU ein Umweltmanagement nach EG-Öko-Audit-Verordnung ein, welches sei © Wolfgang Wittchen

Einzelne mittelständische Unternehmen und auch Standorte großer Unternehmen sind im Bereich Nachhaltigkeit sehr engagiert. Der Freistaat Sachsen stärkt durch die Umweltallianz und ihr Auszeichnungsverfahren diese Aktivitäten. Allerdings wird das deutschlandweit oft nicht sichtbar. Und das liegt an der Struktur der sächsischen Unternehmen, die mittelständisch geprägt ist. Kein DAX-Konzern hat seinen Sitz in Sachsen.

Welche Definition von Nachhaltigkeit legen Sie dieser Einschätzung zugrunde?

Nachhaltig Wirtschaften bedeutet, eine ökonomisch erfolgreiche sowie ökologisch und sozial verträgliche langfristige Entwicklung unter Berücksichtigung räumlicher und zeitlicher Gegebenheiten anzustreben. Meist wird unter Nachhaltigkeit der Dreiklang von Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft verstanden. Wir betonen an unserem Zentrum für Nachhaltigkeitsbewertung und -politik, Prisma, an der TU Dresden zusätzlich die Bedeutung einer Anpassung an den Raum, in dem man wirtschaftet. So hat zum Beispiel der Verbrauch von Wasser im trockenen Namibia eine andere Bedeutung als im regenreichen Erzgebirge. Das fünfte Kriterium ist die zeitliche Dimension, also die Notwendigkeit, die Wirkungen unseres Wirtschaftens über unsere heutige Generation hinauszudenken.

Welche Art Nachhaltigkeit strebt der Freistaat an?

Die Nachhaltigkeitsstrategie wird gerade fortgeschrieben. Die Strategie von 2013 ist eher vorsichtig und evolutorisch angelegt, weniger radikal. Vor allem ist sie aber in Sachsen viel zu wenig bekannt und viel zu wenig in die Entscheidungen von Politik und Wirtschaft integriert. Wenn etwa Lehrer und Lehrerinnen fehlen, läuft auch das Ziel, Bildung nachhaltig zu gestalten, ins Leere.

Warum sollte nachhaltiges Wirtschaften im Interesse aller Unternehmen und Arbeitnehmer sein?

Der sogenannte „weltbeste Unternehmenschef“, ausgezeichnet 2015 von der renommierten Harvard Business Review, Lars Sørensen vom Pharmazieunternehmen Novo Nordisk, sagte: „Langfristig sind soziale und ökologische Themen finanzielle Themen.“ Und „nachhaltiges Wirtschaften ist nichts anderes, als langfristig den Unternehmenswert zu maximieren.“ Megatrends, denen sich Sachsen stellen muss und die auch schon von vielen erkannt werden, sind demographischer Wandel, Individualisierung, aber auch Polarisierung, Ressourcenknappheit und Klimawandel sowie Digitalisierung. Der Klimawandel stellt vor allem die Branchen Energieversorgung, Wasserwirtschaft, Bauwirtschaft, aber auch den Tourismus und die Lebensmittelbranche vor Herausforderungen. So nehmen einerseits Extremwetterereignisse wie Starkniederschläge zu. Aber auch Klimaveränderungen, wie zunehmende Sonnenstrahlung, der Materialien oder Mitarbeiter ausgesetzt sind, fordern von den Unternehmen ein Umdenken.

Deutschland muss aus der Braunkohle langfristig aussteigen, um die Klimaschutzverpflichtung einzuhalten, was Tausende von Jobs in der Lausitz gefährdet. Die Landespolitik steckt in einem Dilemma – die Umwelt retten oder Jobs für Sachsen. Wie lässt sich dieses Dilemma lösen?

Mit einer Strategie „Umwelt und Jobs für Sachsen retten“. Gerade der bereits angesprochene Trend zur Polarisierung ist hier gefährlich, wenn Umweltschutz und Arbeitsplätze gegeneinander ausgespielt werden. Die von Prisma vorgeschlagenen Strategien enthalten viele Ideen für eine aktive Restrukturierung der Lausitz. Das bedeutet aber eben auch, dass sowohl neue Produkte als auch Berufsbilder entstehen müssen.

Wie lässt sich ein Strukturwandel in der Lausitz mit dem Ziel einer nachhaltigen Wirtschaft in die Wege leiten?

Die Lausitz bietet eine herrliche Landschaft, in der man gerne ein Leben lang oder vorübergehend als Tourist lebt. Eine wichtige Voraussetzung ist damit gegeben. Drei Hausaufgaben sehe ich: eine Transformation tatsächlich wollen und nicht an der Vergangenheit festhalten. Zweitens Unternehmen informieren und aktiv ansiedeln sowie drittens Digitalisierung, Verkehrsanbindung, Bildungsangebot und Gesundheitswesen stärken. Konkret kann das bedeuten, kleine und mittelständische Firmen statt Leuchttürme zu fördern. Digitalisierung ermöglicht eine neue Art des Wirtschaftens, bei der man in der Lausitz wohnt und arbeitet, aber die Wertschöpfung global auf der Welt erbringt. Doch dafür bedarf es natürlich einer guten Internetversorgung.

Sie zeichnen vier mögliche Szenarien für die Zukunft der sächsischen Industrie – Leuchtturmprojekte, Digital Engineering, Wertschöpfungstiefe durch unternehmensnahe Dienstleistungen und „aus der Region für die Region“. Was ist darunter zu verstehen?

Die sächsische Wirtschaft kann sich eher global oder eher regional ausrichten. „Leuchtturmprojekte“ beschreiben Unternehmen, die Produkte für den globalen Markt anbieten. Hier kann die Elektromobilität ein Standbein werden oder ressourceneffiziente Produktionsverfahren. Die Strategie des „Digital Engineering“ zielt darauf ab, Produkte und Dienstleistungen kombiniert international anzubieten rund um Themen wie das autonome Fahren, die Sharing Economy oder Industrie 4.0.

Durch digitale Reparaturen können sächsische Ingenieure weltweit Umsätze generieren und doch in Sachsen leben. „Aus der Region für die Region“ bedeutet, sich auf regionale Ressourcen wie Lebensmittel oder den Tourismus zu konzentrieren und Produkte für den regionalen Markt zu entwickeln. Schließlich ist bei einer Transformation der Energiewirtschaft zu analysieren, wie vorhandenes Wissen anders genutzt und weiterentwickelt werden kann. Die Strategie „Wertschöpfungstiefe durch regionale Dienstleistungen“ stellt Produkt-Dienstleistungs-Kombinationen für den regionalen Markt in den Mittelpunkt. Durch das neue ökologische und soziale Nutzungsverhalten entstehen auch hier neue Geschäftsideen wie zum Beispiel Teilauto, sz.bike oder Timmi zeigen.

Um das Potenzial der Nachhaltigkeit für die sächsische Industrie zu nutzen, sollte das Erfolgsrezept der sächsischen Automobilproduktionsstandorte übertragen werden. Was meinen Sie damit?

Wenn Standortvorteile systematisch analysiert werden, können Investitionen gezielt nach Sachsen geholt werden. Dieses Erfolgsrezept kann erweitert werden, indem durch kluge sächsische Ingenieurs- und Managementkunst aus den gleichen Ressourcen mehr Nutzen geschaffen wird.

In der Analyse heißt es, dass die soziale Dimension – alle Berufe stehen durch die Digitalisierung vor neuen Herausforderungen – zum K.o.-Kriterium für die ökonomische nachhaltige Entwicklung im Freistaat Sachsen werden kann. Warum?

Es muss darauf geachtet werden, dass die drei Ballungszentren Dresden, Leipzig und Chemnitz nicht „überhitzen“ durch fehlende Ingenieure und technische Facharbeiter. Andererseits darf das Umland und der ländliche Raum nicht unter dem Sog in die Großstädte leiden. Auf dem Land besteht großer technischer Aufholbedarf. Nur wenn wir eine tragfähige Infrastruktur, bestehend aus digitaler Infrastruktur, modernem Bildungssystem, funktionsfähigem Gesundheitssystem und Verkehrsanbindung schaffen, werden Menschen gerne in Sachsen, insbesondere auch im ländlichen Raum leben.

Welche Denkweise ist nötig, um mehr Nachhaltigkeit in der Unternehmenssteuerung zu erreichen?

Zuerst benötigen Unternehmen den Willen, nachhaltig zu arbeiten. In den Wirtschaftswissenschaften sprechen wir von der sogenannten Upper Echelon Theorie, die besagt, dass die Eigenschaften des Topmanagements die Ausrichtung des Unternehmens bestimmen. Daher sind die Geschäftsführer gefragt, nachhaltige Strategien für ihre Unternehmen zu entwickeln und umzusetzen. Darauf aufbauend müssen die Controllinginstrumente Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen.

Wie lässt sich das in der Praxis bewerkstelligen?

Da sollte man zuerst bei den Materialkosten ansetzen, sie sind oft mit Abstand der größte Kostenblock für Unternehmen, nicht Personal oder Energie. Man könnte etwa in einer Materialflusskostenrechnung gezielt die Energie- und Materialströme analysieren und Abfallkosten in ihrer „wahren“ Höhe ausweisen. Bei einem Zinkgussunternehmen konnten damit die Stückkosten auf die Hälfte reduziert werden, indem ein verbessertes Fertigungsverfahren entwickelt wurde. Nachhaltigkeit verändert die Perspektive.

Wie kann sich Nachhaltigkeit für kleinere Unternehmen rechnen?

Nachhaltiges Produzieren führt wie beim beschriebenen Zinkgussunternehmen über reduzierten Material- und Energieverbrauch, aber auch damit verbundene Personalkosten zu Kosteneinsparungen. Die Preise können gesenkt und neue Kunden erschlossen werden. Der zweite Ansatzpunkt ist gerade für kleinere Unternehmen interessant, indem sie höhere Preise am Markt für nachhaltigkeitsorientierte Kunden durchsetzen und gut in einer Nische wirtschaften können. Cloud&Heat, ein Dresdner Unternehmen, bietet Serverleistungen an und nutzt gleichzeitig die Abwärme der Server zur Wärmeversorgung – aus einem unerwünschten Output wird ein zweites Produkt.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der Materialeinsparung?

Bei der Sharing Economy werden vorhandene Produkte intensiver und häufiger genutzt. In der Wirtschaft sind dann weniger Produkte im Umlauf, was auch wiederum den Materialverbrauch reduziert. Bei der vorwegnehmenden Wartung werden Ersatzteile abends oder am Wochenende ausgetauscht und nicht erst, wenn das Gerät ausfällt. Dadurch sinkt zwar nicht das benötigte Material pro Produkt, aber die Ressourcen werden effizienter nutzbar. Das heißt, der Wert der produzierten Ware pro investierter Fertigungsstunde steigt. Und: Arbeitsplätze werden geschaffen, Umsätze werden eher durch Personaleinsatz als durch Materialeinsatz erzielt. Wie schon gesagt: sächsische Ingenieure können ohne Flugreisen Wartungsmaßnahmen in Anlagen auf anderen Kontinenten anleiten.

Gespräch: Nora Miethke