Von Jens Fritzsche
Radeberg. Historische Momente stellt man sich eigentlich irgendwie anders vor. Feierlicher vielleicht? Aber so richtig wird ja auch oft erst später klar, dass es sich hier tatsächlich um einen historischen Moment handelt. In diesem Fall aber ist das anders, hier ist es sogar ein historischer Moment quasi mit Ansage: Der Radeberger Stadtrat hat Mittwochabend einen wirklich historischen Haushalt für 2017 und 2018 verabschiedet!
Einen Haushalt, der den Weg für Investitionen von rund 20 Millionen Euro in den kommenden Jahren freimacht – und der gleichzeitig dafür sorgen soll, dass Radeberg Mitte 2017 keine Schulden mehr hat. „Abgesehen von den Eigenbetrieben natürlich“, schränkt Radebergs OB Gerhard Lemm (SPD) ein – denn auch das gehört zu historischen Momenten ja irgendwie dazu, nämlich demütig auf dem verbalen Teppich zu bleiben. Weil man aus der Historie ja genau weiß, dass sich Zeiten auch mal wieder ändern können. Und weil das auch die Stadträte wissen, machte dann zum Beispiel Liegaus Ortsvorsteher Gabor Kühnapfel – selbst Unternehmer und für die SPD im Stadtrat – klar: „Es ist ein guter Grundstein für die Zeit, wenn die wirtschaftliche Entwicklung und auch die Sache mit den aktuell zinsgünstigen Krediten im Land mal wieder vorbei sein werden.“ Die kluge Stadt baut vor, sozusagen.
Wobei OB Lemm zunächst eher das Problem sieht, das viele Geld, das Radeberg ausgeben möchte, gar nicht ausgeben zu können. „Denn da ja derzeit alle bauen wollen, steht die Frage, ob die Baufirmen überhaupt die Kapazitäten dafür haben …“ Ganz zu schweigen davon, dass eine große Nachfrage auch zu großen Preis-Vorstellungen führt, die von den Baufirmen dann gern aufgerufen werden. Im Ortsteil Ullersdorf hatte man das Thema ja jüngst auf dem Tisch, als man die Sanierung des morschen Wiesenwegs noch mal um ein halbes Jahr verschieben musste, weil im Frühjahr die Baupreise oft niedriger sind als im Sommer und im Herbst.
Und ausgeben will Radeberg einiges! Vergleichsweise „Kleinigkeiten“ wie 138 000 Euro für die Sanierung der Umkleidekabinen im Stadtbad und des Parkplatzes davor, 290 000 Euro für die Erneuerung der Fassade der Pestalozzi-Oberschule oder 270 000 Euro für den weiteren Ausbau des Radwegenetzes – und richtige dicke Brocken wie zum Beispiel 1,7 Millionen Euro für ein neues Gebäude des Liegauer Sportplatzes, über drei Millionen Euro für die Erweiterung des Radeberger Feuerwehrgerätehauses, 1,2 Millionen Euro für den Umbau des leer stehenden Ullersdorfer Gasthofs zum Ortsamt und Vereinshaus, 600 000 Euro für die Erweiterung der Außensport-Anlagen an der Ludwig-Richter-Oberschule oder rund 3,6 Millionen Euro für den Erweiterungsbau der Pestalozzi-Schule.
Und dann soll auch noch ein Geschenk drin sein, das sich die Stadt quasi selbst macht: Zum Jubiläum 600 Jahre Stadtrecht vor vier Jahren spendierte sich Radeberg ja den Nachbau der historischen Postsäule auf dem Marktplatz – für das 2019 anstehende 800. Stadtjubiläum soll es nun der lange gehegte Wunsch nach einem neuen Marktbrunnen sein. „Das aktuelle Brünnchen ist ja für viele nicht das, was sie sich unter einem echten Blickfang vorstellen“, umschrieb Lemm die mitunter bitterböse geführten Debatten um den Glasbläser-Brunnen vor der Rathaustür. In diesem Zusammenhang wies CDU-Fraktionschef Frank-Peter Wieth darauf hin, dass man überhaupt am Thema dranbleiben müsse, aus dem Marktplatz endlich wieder einen echten Mittelpunkt zu machen. Und generell ist dieser historische Haushalt aus Sicht Wieths ein zwar wirklich wichtiger, aber dennoch ein Zwischenschritt. „Wir haben damit die Chance, uns als Stadt im Speckgürtel Dresdens weiter als guter Wohn- und Ansiedlungsstandort zu präsentieren – und vor allem weiterzuentwickeln!“ Es gebe jedenfalls noch eine Menge zu tun, „beispielsweise auf dem Eschebach-Gelände“. Ähnliches hatte zuvor auch schon OB Lemm angedeutet: „Wir werden uns mit diesem Doppelhaushalt viele langgehegte, aber eben noch immer nicht alle Wünsche erfüllen können.“
Stehenbleiben ist eben irgendwie nicht die Sache der Radeberger. Nicht ohne Grund sind hier in den vergangenen Jahren – und Jahrhunderten – wohl eine Menge Innovationen geboren worden. Von der ersten deutschen Autokarosserie, über den ersten in Deutschland hergestellten Camembert, moderne Fernseher bis hin zu Mikroelektronik-Entwicklungen. Deshalb muten hier historische Momente am Ende wohl auch ein bisschen weniger historisch an. Knapp 20 Minuten dauerte es jedenfalls Mittwochabend, da war der historische Moment im Stadtrat dann auch schon wieder Geschichte.
Deshalb an dieser Stelle – sozusagen für die Nachwelt – noch einmal die historischen Zahlen: Von rund 36 Millionen Euro Schulden nach der Wende wird die Stadt im kommenden Jahr auf null Schulden kommen. Vor zehn Jahren zahlte Radeberg 2,7 Millionen Euro jährlich als Zinsen an die Banken …