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Und wieder Bautzen

Die Debatte um die Schuldzuweisungen nach der Brandstiftung am Husarenhof ist noch nicht verstummt, da gerät die Idylle der Stadt an der Spree erneut aus den Fugen.

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© Loeb/News5

Von Ulrich Wolf, Thomas Schade und Miriam Schönbach

Bautzen. Ausgerechnet während der ersten Bautzener Demokratiewochen. Einen Monat lang sollte unter dem Motto „Gib deinen Senf dazu“ in der 40 000-Einwohner-Stadt das Wesen der Demokratie erforscht und auch hinterfragt werden. Vereine, Parteien, Privatpersonen, Kirchen, Gewerkschaften und andere Institutionen hatten ein umfangreiches Programm auf die Beine gestellt, das meiste davon ehrenamtlich.

Der Mittwochabend in Bautzen

Und dann das: Ein verwackeltes Video, gemacht in der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag, zeigt Polizeifahrzeuge mit Blaulicht im Zentrum von Bautzen. Menschen rennen, als würden sie gejagt. Stimmen grölen: „Wir sind das Volk!“ Die Bilder erinnern an die Ausschreitungen in Heidenau im vergangenen Sommer. Gepostet wurde das Video auf der Neonazi-Seite Stream-BZ-Fotografie, die Facebook inzwischen gesperrt hat. Für Pegida-Chef Lutz Bachmann war rasch klar: „Mutige Bürger zeigen in Bautzen Zivilcourage und vertreiben Asylbetrüger gewaltfrei, aber lautstark aus der Innenstadt!“

Die Stadt war gerade dabei, sich ein wenig zu erholen von den Schlagzeilen, in die sie im Februar wegen eines Feuers in dem ursprünglich als Flüchtlingsunterkunft vorgesehenen Hotel Husarenhof geraten war. Es war Brandstiftung, doch Täter und Motive sind auch sechs Monate später noch unklar. Und nun sind sie wieder da, die Schlagzeilen. Ob Spiegel, Süddeutsche, Zeit oder Focus: Bautzen ist wieder drin in der Medienmaschinerie. Tenor: „Rechte und Flüchtlinge gehen aufeinander los“.

Am Donnerstagvormittag laufen mehrere TV-Teams zwischen Kornmarktcenter und dem eingerüsteten Reichenturm umher. Reporter mit Mikrofon in der Hand versuchen, Passanten vor die Kamera zu kriegen. Doch viele wollen oder können nicht recht erklären, was sich abgespielt hat in der Nacht. Und einige, die schon vor Mittag im Schatten der Bäume am ersten Bier arbeiten, würden reden, haben aber nicht wirklich was zu sagen. Tagsüber sei hier nichts zu merken von fremdenfeindlichen Menschen, sagt ein älterer Herr mit Krawatte. Er ist Zeuge Jehovas. Zusammen mit einer Glaubensschwester und einem Bauchladen steht er regelmäßig auf der Platte und bietet kostenlose Bibelkurse an.

Zuspruch könnte Bautzens parteiloser Oberbürgermeister Alexander Ahrens gebrauchen. Der 50 Jahre alte Jurist ist bereits zum zweiten Mal in seiner erst einjährigen Amtszeit als Krisenmanager gefragt. Er war auf einer Dienstreise nach Düsseldorf unterwegs, als ihn die Nachrichten über die Krawalle erreichten. Er kehrte sofort zurück, zeigte sich „wütend und entsetzt“, verurteilte die Gewalt „aufs Schärfste, egal, von welcher Seite sie ausgeht“. Auch „die Versuche, auf eigene Faust für Ordnung in der Stadt zu sorgen“, werde er nicht hinnehmen. Der Bautzener CDU-Landtagsabgeordnete Marko Schiemann beteuerte umgehend: „Ich habe mit dem Innenminister gesprochen und höhere Polizeipräsenz in Bautzen gefordert.“ Sachsens AfD-Fraktionsgeschäftsführer Uwe Wurlitzer nahm die derzeitige Mexiko-Reise von Ministerpräsident Stanislaw Tillich zum Anlass, um vor „mexikanischen Zuständen in Sachsen“ zu warnen. Albrecht Pallas, Innenpolitik-Experte der sächsischen SPD, betonte, man müsse alles daran setzen, um „die Gewaltspirale“ zu durchbrechen. Denn ähnlich wie seinerzeit in Heidenau ging den Ausschreitungen in der Nacht zum Donnerstag eine Eskalation voraus.

Im Mittelpunkt steht der Kornmarkt, von den Bautzenern „Platte“ genannt. Der Platz ist ein beliebter Treffpunkt für Asylbewerber, da sie dort über teils offene WLAN-Zugänge kostenlos das Internet nutzen können. Aber auch bei einheimischen Jugendlichen und – so die Polizei – dem „örtlichen Trinkerklientel“ ist der Kornmarkt beliebt. Bereits am Freitagabend vor einer Woche flogen dort nach Demonstrationen diverser politischer Gruppen Flaschen und Böller. Es wurde provoziert und gepöbelt, gehetzt und obszön gestikuliert, die Polizei musste Messerattacken und Schlägereien unterbinden. Die Szenen wiederholten sich in der Nacht von Montag auf Dienstag, stets hatten die Randalierer zu viel Alkohol intus. Schon bis dahin hatte die Polizei rund 90 Beamte im Einsatz, sprach 50 Platzverweise aus und registrierte sieben Straftaten, darunter eine schwere Körperverletzung. Im Polizeibericht heißt es schon fast lakonisch: „Einmal mehr ist die Polizei auf den Kornmarkt gerufen worden.“

So auch am Mittwochabend. Um 20.50 Uhr gingen mehrere Notrufe ein. Nur wenige Minuten später seien mehrere Streifen vor Ort gewesen, teilt die Polizei mit. Etwa 80 junge Männer und Frauen hätten sich am Kornmarkt getroffen. Sie seien „augenscheinlich gewaltbereit“ und „in großer Zahl dem politisch rechten Spektrum zuzuordnen“ gewesen. Nach Darstellung der Sicherheitskräfte skandierte die Gruppe Parolen, „wonach Bautzen und der Kornmarkt den Deutschen gehören würden“.

Der Adressat ihres Hasses war offensichtlich eine rund 20-köpfige Gruppe von Asylbewerbern. Die Polizei geht davon aus, dass es bereits vor ihrem Eintreffen „zu verbalen und tätlichen Auseinandersetzungen gekommen“ war. Sie beruft sich dabei auf Zeugen, die von mehreren Flaschenwürfen sowie Körperverletzungen berichteten. Diesen Zeugen zufolge sollen die Flüchtlinge die Tätlichkeiten ausgelöst haben. Andere Augenzeugen aus dem Kreis ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer hingegen schreiben auf Facebook, die „rund 20 Asylbewerber und deren Freunde“ hätten „friedlich auf der Platte“ gesessen, als sich immer mehr gewaltbereite Rechtsextreme versammelten. Die Betreuer hätten daraufhin die Asylbewerber beruhigt, sie seien zunächst friedlich geblieben. Zu dieser Zeit, etwa halb zehn, sei die Polizei mit lediglich neun Beamten vor Ort gewesen. Keiner habe eingegriffen, auch nicht, als darum gebeten worden sei. Zeugin Annalena Schmidt aus Bautzen ergänzt, Ehrenamtliche hätten mit den Flüchtlingen gesprochen und sie gebeten, die Platte zu verlassen. „Wir waren damit jedoch nicht schnell genug, und der Nazi-Mob näherte sich.“

Die Polizei berichtet, sie habe zu diesem Zeitpunkt die beiden Gruppen mit einer Polizeikette auf Abstand gehalten und alle Anwesenden aufgefordert, den Kornmarkt zu verlassen. Daraufhin seien die Beamten aus der Gruppe der Asylbewerber heraus mit Flaschen, Holzlatten und anderen Gegenständen beworfen worden. Die Sicherheitskräfte wehrten sich mit Pfefferspray und Schlagstöcken, erst danach seien die Flüchtlinge in Richtung Friedensbrücke abgezogen. Betreuer der Asylbewerber hingegen sprachen von einem „fragwürdigen Vorgehen“ und einem „regelrechten Verjagen“. Annalena Schmidt räumt ein: „Ja, es flogen Gegenstände, die Flüchtlinge sind vorher allerdings von Polizisten auch mit der Bemerkung „Verpisst euch!“ zum Gehen aufgefordert worden.

Übereinstimmend schildern Polizei und ehrenamtliche Helfer die dann folgenden Ereignisse: Nach dem Platzverweis teilte sich die deutsche Gruppe auf und verfolgte – die Parole „Wir sind das Volk“ brüllend – die Asylbewerber. Deren Ziel war die Unterkunft in der Dresdner Straße. In der ehemaligen Außenstelle des Berufsschulzenrums sind derzeit 32 der insgesamt 176 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge im Landkreis Bautzen untergebracht.

Die Polizei forderte die jungen Asylbewerber auf, das Gebäude nicht zu verlassen, was sie auch taten. Ein 18-jähriger Marokkaner blutete, er hatte Schnittverletzungen am Arm. Der alarmierte Krankenwagen wurde, so die Polizei, „von mehreren augenscheinlich rechtsmotivierten Männern an der Anfahrt gehindert und mit Steinen beworfen“. Erst unter Polizeischutz konnte ein zweiter Rettungswagen die Unterkunft erreichen.

Auch am Donnerstagvormittag stehen vor der Tür des Heims mehrere Polizeifahrzeuge. Beamte nehmen die Personalien auf. Der Landkreis will den jugendlichen Flüchtlingen nun Alkohol verbieten und sie zu einer Ausgangssperre ab 19.00 Uhr verdonnern.

Ob das den Kornmarkt beruhigt? An der Rezeption im Hotel Best Western, direkt am Kornmarkt gelegen, gibt man sich zurückhaltend. Ja, der Lärm sei sogar in der Lobby zu hören, und die Gäste fänden das natürlich nicht gut. Mehr möchte die Frau nicht sagen. Dafür findet ihr Chef deutliche Worte. „Unerträglich“ sei die Situation, schreibt er in einem offenen Brief. Allein am Mittwochmorgen seien bei der Hotelleitung 58 Beschwerden eingegangen. „Außerdem ist es für bestimmte Zielgruppen des Hotels nicht möglich, für einen kleinen Stadtspaziergang das Haus zu verlassen, da die Angst, angepöbelt zu werden, groß ist.“

Das Management des Einkaufstempels Kornmarktcenter betont, sein freies WLAN funktioniere nur in Teilbereichen im Gebäude. Außerhalb sei es nicht verfügbar und werde zudem zum Ladenschluss abgeschaltet. „Insofern kann das WLAN unserer Ansicht nach nichts mit den nächtlichen Vorgängen auf dem Kornmarkt zu tun haben.“ Einen ebenfalls freien Zugang bietet die „Bäckerei Dreißig“; dort sagte die Verkäuferin, man wolle daran vorerst auch nichts ändern.

Ob WLAN-Stopp, Alkoholverbot, Platzverweise oder Ausgangssperre – unabhängig von all diesen Maßnahmen befürchtet der Bautzener Linken-Landtagsabgeordnete Heiko Kosel, Bautzen könnte zu einem Wallfahrtsort für Rechtsextreme werden. „Ich habe den Eindruck, es geht ihnen inzwischen darum, einen ‚national befreiten Kornmarkt‘ zu schaffen. Der „Widerstand Bischofswerda“ hat auf Facebook bereits dazu aufgerufen, sich am Donnerstagabend um 20 Uhr auf dem Holzmarkt in Bautzen zu treffen, „mit anschließendem geschlossenen Gang zur Platte“. Die Antifa will dagegenhalten, um „rassistische Pogrome“ zu verhindern. Die neurechte Politaktivistin Ester Seitz aus der Nähe von Nürnberg ruft für Sonntag auf den Kornmarkt zu einer Kundgebung „gegen die Zerstörung des europäischen Friedens“.

Ein paar Kilometer vom Bautzener Zentrum entfernt, liegt das Plattenbauviertel Gesundbrunnen. Von hier sollen einige der rechtsextremen Randalierer stammen. In dessen Nachbarschaft steht der Gebäudekomplex „Greenpark“, in dem 268 Asylbewerber untergebracht sind, vorwiegend junge Männer. Über die Geschehnisse in der Nacht zum Donnerstag möchten auch sie nicht reden.

Eine verschleierte Muslima geht vorüber. Nur ihr Gesicht ist zu sehen. Allein und offensichtlich ohne Scheu läuft sie auf der Löbauer Straße in Richtung Kornmarkt.