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Und, wo kommst du her?

Menschen mit Migrationshintergrund sind genervt von dieser Frage. Was also tun? Lieber nicht mehr fragen? 

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Sawsan Chebli
Sawsan Chebli © dpa/Christoph Soeder

Berlin. "Und, wo kommst du her?" Eine unschuldige Frage. Außer, man hört sie ständig. Oder man merkt, dass eine Antwort wie "Nürtingen" oder "Rostock" ungläubiges Nachhaken auslöst. Das kennt auch die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli. Die Erfahrung ziehe sich wie ein roter Faden durch ihr Leben: "Wo auch immer ich auftrete: Sehr schnell kommt die Frage, woher ich komme."

Die SPD-Politikerin ist einer der Menschen, die sich in den vergangenen Wochen bei Twitter zu Wort gemeldet haben. Unter dem Schlagwort #vonhier teilen Leute ähnliche Erfahrungen. Sie kommen aus Deutschland, werden wegen ihres Namens oder Aussehens aber oft gefragt, wo sie "denn eigentlich" herkämen.

Die Schauspielerin und Autorin Samira El Ouassil nennt das bei "Spiegel Online" den ""Woher kommst du, ja, nein, ich meine, woher kommst du wirklich"-Tippel-Tango". Sie nervt das, und mit ihr viele, deren Name, Haar oder Hautfarbe eine Geburt in Indien, Kenia oder dem Libanon möglich scheinen lassen - obwohl sie vielleicht aus Frankfurt kommen oder schon lange in Dortmund leben.

Oder auch in Herne. Die Stadt taucht in einer Szene mit Dieter Bohlen auf, die viel Kritik auslöste. Der Moderator fragte vergangenen November in der RTL-Show "Das Supertalent" ein Mädchen, wo es herkomme. Die Kleine antwortete mit "Herne". Und Mama und Papa, wollte Bohlen wissen, von den Philippinen? Nein, auch aus Herne, sagte das Kind. Aber aus welchem Land, gebürtig? "Ich weiß es nicht."

Journalistin Ferda Ataman spricht von "Herkunftsdetektiven". Sie hat die Diskussion auf Twitter angestoßen und bringt zum Thema ein Buch heraus. "Deutschsein wird immer noch stark mit einem bestimmten Aussehen verbunden", sagt auch Chebli, die als Kind palästinensischer Eltern in Berlin aufwuchs. "Und wenn man anders aussieht, muss man sich rechtfertigen, erklären und darum kämpfen dazuzugehören."


Sie würde niemals sofort mit Rassismus argumentieren, sagt Chebli. Sie gehe stets vom Positiven aus, weil sie an das Gute im Menschen glaube. "In den meisten Fällen ist es einfach nur Interesse. Wer aber dreimal nachbohrt, der will mich bewusst in eine Schublade packen." Für sie stehe hinter der Frage ein Denken, "das in unseren Köpfen tief verankert ist, aus dem wir endlich ausbrechen müssen".

In Deutschland hat etwa jeder Vierte einen Migrationshintergrund. 2017 waren es laut Statistischem Bundesamt mindestens rund 19,3 Millionen Menschen. Damit meinen die Statistiker, dass Menschen selbst oder mindestens einer ihrer Elternteile nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurden. Nicht alle dürften gleich stark mit der Herkunftsfrage konfrontiert sein.

Was also tun? Lieber nicht mehr fragen? Auch darüber wird gestritten. Soziologe Armin Nassehi empfiehlt Gelassenheit. Natürlich sei die Frage nach der Herkunft legitim. "Wir fragen uns das ja auch, wenn man beim anderen gar keinen Migrationshintergrund vermutet, ob man aus Hamburg, München oder Stuttgart kommt", sagt der Wissenschaftler von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität.

Andererseits hält er Sensibilität bei Menschen, die x-Mal erklären sollen, wo sie herkommen, für sehr nachvollziehbar: "Es geht um Menschen, die möglicherweise schon einiges an Ablehnung, Diskriminierung und Feindseligkeit erlebt haben. So eine Frage kann den anderen zwingen, sich zu legitimieren, obwohl er ein ganz selbstverständlicher Bestandteil dieser Gesellschaft ist." Auch gut gemeinte Fragen würden oft klingen wie: "Warum bist du denn jetzt eigentlich hier?"

Im Alltag rät Nassehi dazu, das mögliche Kommunikationsproblem offen anzugehen. "Die Alternative ist ja nicht, verklemmt an der Frage nach der Herkunft vorbei zu kommunizieren", meint er. "Man kann so etwas gut mit Humor und Augenzwinkern auflösen. Indem man etwa sagt: "Sie werden das wahrscheinlich sehr oft gefragt, darf ich auch?" - oder etwas Vergleichbares."

Auch Chebli fragt Menschen, woher sie kommen, weil sie es bereichernd finde, mehr über ihr Gegenüber zu erfahren. "Aber ich stelle die Frage einmal und merke, wenn Menschen nicht drüber sprechen wollen und höre dann auf nachzubohren." Sie habe keine Probleme, über ihre palästinensische Identität zu sprechen. "Ich möchte meine Geschichte und die meiner Eltern nur nicht mit jedem teilen. Und ich will auch nicht jedes Mal über den Nahostkonflikt sprechen müssen."

In den USA zum Beispiel werde sie auch oft gefragt, woher sie komme. "Dann sage ich Deutschland und dann ist gut", sagt Chebli, die Staatssekretärin unter anderem für bürgerschaftliches Engagement ist. Dort werde das ohne Nachfragen einfach akzeptiert. Bei allem, was in den USA schief laufe: "Sie haben es geschafft, dass amerikanische Identität, Amerikaner-Sein, viele Gesichter hat."

Bei allen Schwierigkeiten hält Forscher Nassehi die #vonhier-Debatte für eine gute Sache. "Das klingt paradox, aber es ist doch so: Dass Menschen solche Fragen heute offensiv und selbstbewusst diskutieren, ist doch schon ein deutliches Zeichen von Zugehörigkeit." Migranten der ersten oder zweiten Generation hätten das Problem lange gar nicht aufgeworfen. "Ihnen hätte bei solchen Fragen niemand zugehört und man hätte die Fragen für illegitim gehalten. Das ist heute ganz anders." (dpa)