Von Claudia Kornmeier, Kehl
Claus Nückles steht seit eineinhalb Stunden im Stau. Nachts um halb zwei, kurz vor der Europabrücke zwischen Straßburg und Kehl. In dem deutschen Ort an der französischen Grenze leben 35 000 Menschen, die Stadt wirbt für sich selbst mit der „Gemütlichkeit einer badischen Kleinstadt“ – nicht mit dem Reiz eines brummenden Nachtlebens. Was Nückles, wie er erzählt, damals im November aufhält, sind keine Nachtschwärmer. Es sind die wiedereingeführten Grenzkontrollen. Seit den Anschlägen von Paris will Frankreich genau wissen, wer sich im Grenzgebiet aufhält.
Neun Monate später wird immer noch kontrolliert, wenngleich etwas laxer. Die Polizei hat die Fahrbahn verengt: Statt auf zwei Spuren geht es auf beiden Seiten nur auf einer Spur voran – in Schrittgeschwindigkeit. Die Polizisten werfen einen raschen Blick auf jedes Fahrzeug. Immer wieder wird jemand rausgewunken, das trifft auch mal einen Linienbus. Es gibt Tage, da fließt der Verkehr. Dann wieder staut sich die Autokolonne komplett an Kehl vorbei. Anika Klaffke pendelt jeden Tag. Die Deutsche wohnt in Straßburg und arbeitet in Kehl. Sie plant seit den Kontrollen für die Fahrt 20 Minuten mehr ein. Zwischen den beiden Innenstädten liegen nur etwa sieben Kilometer. Aber plötzlich verbindet Klaffke nach einem Termin in Straßburg den Rückweg ins Büro mit dem Gedanken: „Boah ne, jetzt bis nach Kehl raus.“
Wie sie arbeiteten Mitte Juni 2015 in der Region um Offenburg rund 6 800 Menschen, die in Frankreich wohnen. Klaffkes Kollege, Marc Gruber, geht davon aus, dass daran auch die Grenzkontrollen nichts ändern werden. So wie früher, mal eben mit dem Auto für einen Mittagessen-Termin rüber nach Straßburg, das mache man jetzt zwar nicht mehr, sagt Gruber. Ansonsten passe man sich aber an. Der Franzose radelt jeden Tag über die Fußgänger- und Fahrradbrücke. Auf der autofreien Passerelle nur ein paar Hundert Meter von der Europabrücke entfernt wird nicht kontrolliert.
Im Kehler Einzelhandel war man zeitweise weniger gelassen: In den Geschäften blieb die französische Kundschaft aus. „Etwa 45 Prozent der Kunden kommen aus dem Elsass, sie machen die Hälfte des Umsatzes aus“, sagt Fiona Härtel vom Stadtmarketing Kehl. Lebensmittel, Zigaretten und Kosmetika sind hier günstiger. Drogerien wie in Deutschland gibt es in Frankreich nicht.
Aber wenn man für sieben Kilometer plötzlich eine Stunde braucht, überlegt man sich das mit dem Einkaufen im Nachbarland zweimal. (dpa)