Großenhain. Normalerweise dauert es keine 20 Minuten, bis der fast drei Meter lange und 32 Kilogramm schwere Stollen der Bäckerei Faust aufgeschnitten, verteilt und aufgegessen war. Diesmal brauchten die Großenhainer etwas länger, weil sie sich mit ihren Regenschirmen nicht so leicht bis zum Bühnenrand durchschlängeln konnten. Da hatte es nun ein dreiviertel Jahr kaum geregnet, und ausgerechnet zur Eröffnung des Weihnachtsmarktes nieselte es unangenehm aus dem grauen Himmel.
„Jetzt ein paar Grad unter null, und alles wäre weiß“, sagt Roland Zschorn bedauernd. Der Großenhainer hat sich mit hochgestelltem Mantelkragen und seiner Stollenscheibe ein Stück aus dem Gedränge zurückgezogen und lässt seinen Blick über die Marktstände schweifen. An die 40 hübsch gestaltete Holzbüdchen stehen im Rund – von Brodaufs Gebäck-Stand zieht der Duft von frischen Quarkspitzen herüber. „Hoffen wir mal“, sagt Zschorn fröstelnd, „dass das Wetter jetzt nicht drei Wochen lang so bleibt.“
Zumindest für die Zeit nach dem 2. Advent sagen die langfristigen Wetterprognosen eine Abkühlung mit ein paar Flocken voraus. Ob es wirklich so kommt – wer weiß? Mit Schnee zur Weihnachtszeit ist Großenhain ja ohnehin nicht so verwöhnt. Dennoch verwandelt sich der Hauptmarkt jedes Jahr im Dezember in eine außergewöhnliche Weihnachtsstadt. Tradition geht vor Innovation – und genau so wollen es die Großenhainer haben. Adventsstimmung ohne Udo Häfners Feuerzangenbowle? Undenkbar! Bereits seit 1993 steht der Geißlitzer an seinem Punschkessel und entzündet rumgetränkte Zuckerhüte. Auf alten Fotos kann man sehen, dass die Weihnachtsmarkt-Tradition in der Röderstadt bis ins Jahr 1900 zurückreicht. Die erste kleine Budenstadt auf dem Hauptmarkt wurde 1926 errichtet. Um sie herum waren ganze Berge von Weihnachtsbäumen zum Verkauf aufgestapelt. 1972 fand der erste Weihnachtsmarkt der DDR-Zeit statt. Doch das Angebot war dürftig. HO und Konsum boten in der Hauptsache Brat- und Bockwurststände, gebrannte Mandeln und kandierte Äpfel auf. Nach der deutschen Einheit investierten die Stadt Großenhain, ihre Vereine und Gewerbetreibenden eine Menge Kraft und Ideen in den Markt, sodass er zu dem werden konnte, was er heute ist: einer der Schönsten in ganz Sachsen.
Zwischen den Stadttoren mit den hübschen Schwibbögen und um die Budenstadt herum gibt es wieder jede Menge zu sehen und zu erleben. Handwerkliche Vorführungen wie Glasblasen, Drechseln und Schauschmieden. Für die Kinder das Plätzchenbacken im Hexenhäuschen. Oder eine Rutschpartie auf der Reifen-Rodelbahn. Oder eine Runde auf dem Kinderkarussell. Für die Jugend wird am 8. Dezember eine Hüttenzauberparty veranstaltet. Und über die gesamte Adventszeit gibt es ein abwechslungsreiches Kulturprogramm auf der Weihnachtsmarktbühne, im Kulturschloss, im Museum und in der Marienkirche. Eine Neuerung, die dem Besucher nicht sofort ins Auge sticht: das Einweg-Geschirr und -Besteck, das an vielen Imbissständen ausgereicht wird. Es besteht aus Maisstärke und lässt sich kompostieren. Es soll dabei helfen, Plastikmüll zu vermeiden. Von 2016 zu 2017 hatte sich die Müllmenge auf dem Großenhainer Weihnachtsmarkt mehr als verdoppelt, sodass die Stadt entsprechenden Handlungsbedarf sah. Was die Stabilität betrifft, sollen die neuen Gabeln und Löffel ihren Vorgängern zumindest ebenbürtig sein – frohe Öko-Weihnacht!