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Urteil im Anneli-Prozess fällt

Das Landgericht Dresden wird heute das Urteil gegen die mutmaßlichen Entführer und Mörder der 17-jährigen Anneli-Marie Riße verkünden. Die Schwurgerichtskammer steht vor einer schwierigen Entscheidung.

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© Robert Michael

Dresden. Ein paar Jahre oder lebenslang: Zwölf Monate und drei Wochen nach der Entführung und dem gewaltsamen Tod von Anneli-Marie wartet die Familie der 17-Jährigen auf Gerechtigkeit. Noch ein Mal werden Vater, Mutter und Schwester den beiden mutmaßlichen Tätern im Saal A 1.82 des Dresdner Landgerichts gegenübersitzen. An diesem Montag verkündet die Schwurgerichtskammer die Urteile für Markus B. und Norbert K.. Für Angehörige und Freunde der Gymnasiastin gibt es nach der Verhandlung nur eine Strafe für die Männer: lebenslang.

Die 40 und 62 Jahre alten Männer sind wegen erpresserischen Menschenraubes mit Todesfolge angeklagt, der jüngere B. zudem wegen Mordes. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft haben sie Anneli-Marie am 13. August 2015 unweit ihres Elternhauses in Robschütz bei Meißen ins Auto gezerrt und verschleppt. Von ihrem Vater verlangten sie laut Anklage 1,2 Millionen Euro Lösegeld - übermittelt per Online-Banking. Daran jedoch scheiterte die nach Einschätzung der Ermittler „dilettantisch geplante“ Erpressung.

Darüber geredet hat nur der 62-jährige K. nach seiner Festnahme am 17. August 2015. Ihm zufolge hat B. die Entführung geplant und aus Angst vor Entdeckung am nächsten Tag auch getötet. Die verscharrte nackte Leiche von Anneli-Marie wurde drei Tage danach auf dem Anwesen von B.s Schwiegermutter gefunden - um den Hals zwei Kabelbinder und ein Spanngurt. K. versicherte auch in einer Erklärung vor Gericht, von der Entführung überrascht worden zu sein, mit dem Mord nichts zu tun zu haben und B. davon nicht habe abhalten können.

„Herr B. ist sicherlich kein netter Mensch“, sagte sein Anwalt im Plädoyer. Er habe sein Leben auf Lügen und Betrug aufgebaut, sogar seine Ehefrau jahrelang belogen. Ein Mörder müsse er deswegen nicht sein. „Es gibt drei Varianten: die Tötung durch B., die Tötung durch K. oder durch beide gemeinsam.“ Belegbar sei keine davon. Gemäß des Grundsatzes „im Zweifel zugunsten des Angeklagten“ könne keiner der Männer wegen Mordes verurteilt werden, argumentierte er.

Sein Mandant schwieg - gegenüber Ermittlern und vor Gericht. Auch begutachten lassen wollte er sich nicht. Dafür zeichneten Zeugen ein Bild von Leben und Charakter des aus Pforzheim (Baden-Württemberg) stammenden Kochs mit krimineller Vergangenheit und Hafterfahrung. Der Vater zweier kleiner Söhne bog sich die Realität zurecht: Vermögen, Studium, noble Herkunft - all das war erfunden, auch gegenüber Frau und Umfeld. Der mehrfach Vorbestrafte kaufte kurz vor der Tat noch ein neues Haus.

Als die Schulden drückten und die sorgsam gehegten Luftschlösser zu platzen drohten, musste Geld her. Viel Geld. Ein früheres Gutachten bescheinigte ihm durch Großspurigkeit verdecktes Versagen, gestörtes Selbstwertgefühl, besondere Kaltblütigkeit und massive Unempfindlichkeit gegenüber von ihm geschädigten Menschen. Die Ermittler sind überzeugt, dass B. die Tat geplant hat, nachdem die Erpressung einer Supermarktkette um 1,2 Millionen Euro gescheitert war. K. hatte er ein Drittel der Summe versprochen.

Der verschuldete Arbeitslose ist laut dem Forensiker Matthias Lammel ein Typ, der sich anderen anpasst. Der gelernte Förster aus dem Westen Berlins arbeitete als selbstständiger Florist - in wechselnden Städten und der jeweiligen Partnerin folgend. Er war nach eigener Aussage zu schwach, B. in der Scheune zu stoppen, wo Anneli-Marie an einen Stuhl gefesselt saß und sich heftig wehrte. Ihre Familie glaubt das nicht, die Staatsanwaltschaft hat nach der Beweisaufnahme ihre Anklage um Mord durch Unterlassen verschärft.

Laut Obduktionsergebnis wurde Anneli-Marie erdrosselt und erstickte, der Zeitpunkt aber konnte wegen des Zustands ihrer Leiche nicht mehr exakt bestimmt werden. Auch K. war am 14. August mehrere Stunden allein mit der Entführten. Annelis Familie will wissen, was passiert ist. Norbert K. rang sich immerhin zu einem Wort des Bedauerns durch. Markus B. indes weinte nur, als sein Verteidiger Zweifel säte an seiner Schuld. „Wir haben Anspruch auf Rache und Sühne, Genugtuung und Gerechtigkeit“, gab der Vater der Kammer mit auf den Weg in die Schlussberatung. Der Prozess zehrt an den Kräften der ganzen Familie. „Ich fühle mich 50 Jahre älter, als ich bin“, sagte Annelis Schwester. „Wir sind zerrissen zwischen Trauer und Ekel.“ (dpa/SZ/lex)