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Post vom Pazifik: Amerika - gigantisch, großartig und grausam

SZ-Reporterin Franziska Klemenz arbeitet für mehrere Monate in Portland. Ihr Arbeitsalltag in der Stadt ist geprägt von Kriminalität, aber auch von Muffins mit Zuckerstreuseln.

Von Franziska Klemenz
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Seit sich Franziska Klemenz mit Kriminalität und ihren Hintergründen in den USA befasst, kommt Deutschland ihr heil und behütet vor.
Seit sich Franziska Klemenz mit Kriminalität und ihren Hintergründen in den USA befasst, kommt Deutschland ihr heil und behütet vor. © Franziksa Klemenz

In Deutschland gehöre ich zu den Journalistinnen, die über härtere Themen berichten. Terroranschläge, Morde und Heroin-Dealer in Berlin, Proteste, Abschiebungen und Rechtsradikale in Sachsen.

Ein journalistisches Austauschprogramm führt mich von der Sächsischen Zeitung zu “The Oregonian”, einer Regionalzeitung im US-Bundesstaat Oregon von vergleichbarer Größe. Es gibt ein eigenes Ressort nur für “Public Safety”, öffentliche Sicherheit, weil die hier oft mehr Glück als Garantie ist.

Seit ich mich mit Kriminalität und ihren Hintergründen in den USA befasse, kommt Deutschland mir so heil und behütet vor.

67 Morde gab es dieses Jahr in Portland, das kaum größer ist als Dortmund. Ein Mann hat die Mutter seiner Kinder zu Tode gestochen; ein anderer hat um sich geschossen, dann sich selbst getötet, manchmal eskaliert ein Streit zwischen Fremden.

Wenn ich in Deutschland über Morde berichtet habe, sah ich vor allem kilometerweit Absperrbänder in Parks und versiegelte Wohnungstüren. Hässliche Details verlassen Tatorte meist mit der Polizei. Hier komme ich zum Tatort und sehe eine Blutlache neben einem Gulli in der Sonne trocknen. Erst als der Grundstückseigentümer einen Reinigungsdienst bestellt hat, sind der schwarz-rote Fleck und die Fliegen verschwunden.

Das Blut des Opfers klebt auf der Straße. Noch hat es niemand weggeputzt.
Das Blut des Opfers klebt auf der Straße. Noch hat es niemand weggeputzt. © Franziksa Klemenz

Bei Recherchen hier bin ich viel zu Fuß unterwegs, nicht immer in den besten Gegenden der oft unheimlich zauberhaften Stadt. Tausende leben hier auf der Straße, umgeben von Geröll und Gewalt.

Proteste in Deutschland sind oft hässlich. Ein Pegida-Ordner hat mich gewürgt, Corona-Protestler haben Flaschen nach uns geworfen, durchgedrehte Dynamo-Anhänger haben einen berichterstattenden Schüler ins Koma geprügelt. Das sollte alles nicht existieren.

Portland lässt Dresden trotzdem putzig aussehen. In der Innenstadt gibt es kaum mehr Glasflächen in Erdgeschossen. Vor zwei Jahren haben meine Kollegen 100 Abende lang von Protesten berichtet. Black Lives Matter, rechtsextreme Proud Boys, linksextreme Kontrahenten, erlebnisfreudige Vierte und eine Polizei, die Zivilisten und die Presse teils willkürlich mit Tränengas und Schlägen attackiert hat. Die Protestierenden sind in Gericht und Gefängnis, Appleshop und Louis Vuitton Boutique eingebrochen, ein Scherbenteppich legte sich über die Straße.

Viele Presseleute wurden verletzt, ein Linker ist durch eine Kugel gestorben. In Deutschland mögen Steine, Flaschen und Fäuste die Presse bedrohen. In den USA sind Schusswaffen im Spiel.

Portlands Antifa dafür ist so zahm geworden, dass Menschen aus Leipzig oder Hamburg sie mit einem Kindergeburtstag verwechseln würden. Beim Protestevent vergangene Woche gab Muffins und Popmusik statt Punk und Dosenbier.

Muffins und Popmusik statt Punk und Dosenbier bei der Antifa in Portland.
Muffins und Popmusik statt Punk und Dosenbier bei der Antifa in Portland. © Franziksa Klemenz

Dass was Politisches der Anlass ist, haben ausgerechnet die Muffins verraten. Die Aufschrift 1312 thronte auf dem Zuckerguss, das steht für “All cops are bastards”. Aber selbst diese Kampfansage musste konkurrieren. Mit tausenden bunten Zuckerperlen, die sie überall umgeben haben.

Fast alles ist viel größer und viel doller hier. Das ist oft großartig; ich fühle sie auch, die Bewunderung für dieses Land. Es hält aber auch viel mehr Grausamkeit bereit. Amerika, so imponierend wie verstörend.