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Post vom Pazifik: Die vereinigten Sklaven von Amerika

SZ-Reporterin Franziska Klemenz berichtet für drei Monate aus Portland in den USA. Die Stadt versteht sich als Hochburg der Weltoffenheit. Doch Schwarze erleben sie häufig ganz anders.

Von Franziska Klemenz
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Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mordopfer in Portland männlich und schwarz ist, beträgt fast 50 Prozent.
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mordopfer in Portland männlich und schwarz ist, beträgt fast 50 Prozent. © Franziska Klemenz

„Da würden mir reiche weiße Leute für viel Geld erzählen, was ich längst weiß.“ Das hat ein 30-jähriger Mechaniker mir zu Psychotherapie gesagt. Vorher hatte er erzählt, dass er sein Leben hassen, es sich irgendwann nehmen würde. Ein Leben im zweiwöchentlichen Lohnscheck-Rhythmus mit viel Dosenbier und wenig Perspektiven.

Narben haben sich über seine braunen Wangen gezogen. Weiße Jugendliche hätten ihn mal verprügelt, sagte er.

Ich schreibe eigentlich für die Sächsische Zeitung; seit August erkunde ich die amerikanische Westküste, arbeite bei „The Oregonian“ im Bundesstaat Oregon in der Stadt Portland.

Einige Amerikanerinnen und Amerikaner nicht-weißer Herkunft haben ihre Geschichten mit mir geteilt, von einer Kindheit in Armut, einem Schicksal, das sich unweigerlich anfühlt; von jahrelanger Migräne, weil Eltern nicht für Weisheitszahn-Operationen zahlen konnten; von Hohn im Schulbus über Nase und Haare.

Dosenbier vergossen auf Depressionen

Wer in den USA arm aufwächst, braucht mehr Bravour, Glück oder Strebsamkeit als in Deutschland, um auszubrechen. Einige kämpfen und gewinnen. Andere gießen Dosenbier auf Depressionen.

1619 haben die ersten aus Afrika verschleppten Sklaven Amerika erreicht, 246 Jahre später hat die Verfassung Sklaverei verboten. Protest dagegen röhrte vor allem aus den Südstaaten nach Washington D.C.

Oregon hat Sklaven abgelehnt. Wegen ihrer Hautfarbe, nicht für ihr Karma oder die Menschen selbst. Dem Gesetz nach sollte Schwarze halbjährlich 39-mal die Peitsche treffen, bis sie den Bundesstaat verlassen.

Hochburg der Weltoffenheit? Nur für Weiße

Sie durften nicht nach Oregon kommen, bleiben, Grund besitzen. Das Land, das die Regierung Ureinwohnern weggenommen hat, ging an weiße Siedler: 263 Hektar pro Mann, Ehepaare doppelt so viel.

Mehr als 100 Jahre lang hat Oregon manchen Verfassungs-Zusatz ignoriert, der Schwarzen mehr Rechte gewährte.

In keinem anderen Bundesstaat hatte der rechtsextreme Ku Klux Klan während der 1920er-Jahre so viele Mitglieder pro Einwohner wie in Oregon.

Heute versteht sich Portland als Hochburg der Weltoffenheit, dabei bleibt es des Landes weißeste Großstadt. Der Anteil schwarzer Menschen beträgt sechs Prozent, im Staat Oregon sind es drei. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mordopfer in Portland männlich und schwarz ist, beträgt fast 50 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, unter der Armutsgrenze zu leben, ist für schwarze Menschen in Portland am größten, fast ein Drittel ist betroffen.

Weiße Haushalte verdienten jährlich zuletzt gut 65.000 Dollar, schwarze weniger als die Hälfte.

Geld bestimmt darüber, wie es Menschen geht

Portland ist offener und schöner für queere Menschen als jede Stadt in Deutschland, die ich kenne. Viele Geschlechter und Sexualitäten haben Platz, fast alle davon sind weiß. Nicht Weißen sind deren Orte oft zu teuer, und ihre Diversitätshymnen klingen schal für jene, die höchstens in Alibi-Strophen vorkommen.

Viel vereinter als im Bürgerkrieg sind die Vereinigten Staaten heute nicht.

Geld bestimmt darüber, wie es Menschen geht und wer sie regiert, was sie lernen, wie sie arbeiten und wohnen – weitgehend ohne Bremse, Puffer, Notausgang. Chefs und Vermieterinnen kündigen oft genug grund- und fristlos, Schleudersitze spucken Menschen auf den Bordstein, auf dem sich Obdachlose zu Tausenden tummeln.

Ein Land, das mehr wagt und mehr missachtet

Millionen Menschen fühlen sich bis heute eher wie die vereinigten Sklaven von Amerika denn als freie Bürgerinnen.

Rausch wurde zum Status Quo der USA: Gold, Baumwolle und Öl, später Autos, Wallstreet, Hollywood. Emporgekommen ist ein Land, das mehr wagt und ausreizt als Europa; weiter, zu den Sternen denkt; mehr missachtet und sich mehr verrenkt.

Das weiße Amerika hat viel getan, um zu kaschieren, wie viel Glanz darauf baut, dass Millionen Schwarze und Ureingeborene überlebt, getrauert und gekämpft haben. Musik, Kunst, Reichtum und Sport, Schauspiel, Philosophie und Schönheit, Werte, Erfindergeist und Freiheiten verdankt das Land jenen, die es am schlechtesten behandelt hat.

Harriet Tubman, Muhammad Ali, Ella Fitzgerald und Ella Baker, James Baldwin, Jean-Michel Basquiat und Aretha Franklin, Whitney Houston, Jimi Hendrix und Katherine Johnson, Quincy Jones, Jesse Owens, Michael Jordan und Serena Williams, Martin Luther King, Henrietta Lacks, Malcolm X, Beyoncé, Tina Turner, Stevie Wonder und Amanda Gormand: Sie sind ebenso Amerika wie der KfZ-Mechaniker, der seinen Frust in Rausch versenkt.