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Post vom Pazifik: Portland ist nicht Potsdam

Bevor SZ-Reporterin Franziska Klemenz nach Portland kam, hatte sie Sorge, es könnte zu sehr wie Deutschland sein. Denn der Stadt wird nachgesagt, die europäischste in Amerika zu sein. Doch Portland ist nicht Potsdam.

Von Franziska Klemenz
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"Wir nehmen Essensmarken" steht auf einer Tür eines Restaurants in Portland.
"Wir nehmen Essensmarken" steht auf einer Tür eines Restaurants in Portland. © Franziska Klemenz

Portland gilt vielen als europäischste Stadt Amerikas. Mit mehr Regenbogen- als US-Flaggen, mehr bunten Hipsterküchen als Donut- und Burger-Läden, mehr Umwelt-Desperados als Waffenbesitzern ist Portland so unamerikanisch, dass Ex-Präsident Donald Trump die Stadt an der Westküste als anarchistische Vorhölle brandmarkte.

Bevor ich kam, habe ich fast befürchtet, es könnte zu sehr wie in Deutschland sein.

Ein journalistisches Austauschprogramm führt mich von der Sächsischen Zeitung zu “The Oregonian”, einer Regionalzeitung im US-Bundesstaat Oregon von vergleichbarer Größe. Und wenn ich schon das erste Mal in den USA bin, dachte ich, wollte ich auch möglichst uneuropäisch leben.

Nach Woche zwei kann ich sagen: Höchstens Portlands Außenkruste schmeckt nach Europa. Eine sehr softe Version von unserem Usus.

Große Autos zum Knutschen

Viele Menschen hier bezeichnen sich als radikale Umweltschützer und meinen damit, dass sie Müll nicht nur in recycelbar und unrecycelbar trennen, sondern Flaschen und Dosen extra wegwerfen; dass sie keinen höher gelegten Pickup-Monstertruck fahren, der schon beim Start so viel frisst wie ein VW-Polo von Dresden bis Prag, sondern nur einen SUV.

Viele Menschen hier verstehen sich als Gurus der Promiskuität und meinen damit, dass sie auf alle Geschlechter stehen; Menschen, die öffentlich knutschen – wie auf Sizilien jede 16-Jährige, die etwas auf sich hält – lässt die promisken Gurus gleichwohl schnappatmen. PDA, so heißt es, gehöre sich nicht. Das steht für “public display of affection” und heißt auf Deutsch öffentliche Liebesbekundung. Auch deswegen brauchen wahrscheinlich alle riesige Autos, so können sie sich wenigstens nach dem Date kurz küssen. Bei Stau etwas länger.

Das linksliberale Image der Stadt verwässert, wenn der Blick die oberen Gesellschaftsschichten verlässt.

Rassismus, Drogen, Obdachlosigkeit

Abertausende Menschen haben keine Wohnung, leben in Autos mit zersplitterten Scheiben, zusammengebrochenen Wohnwagen, zerrissenen Zelten oder auf blankem Beton. Viele von ihnen reden den ganzen Tag lang mit sich selbst oder schreien Fremde an, weil das Leben, Crystal Meth und Heroin ihre Psyche verwüstet haben. Ratten wühlen sich durch ihre Lager, Hitze und Kälte kosten viele Leben.

Auf der Straße landen Menschen in Amerika schnell, ein soziales Sicherungssystem wie in Deutschland gibt es nicht. Job weg, keine Miete bezahlt – Zack, raus. Bei vielen wird aus dem Ausflug ein Schicksal auf der Straße.

Die Wahrscheinlichkeit, in Portland arm zu leben, ist für schwarze und afroamerikanische Menschen am größten, gefolgt von Ureinwohnern und Hispoamerikanern. “Black Lives Matter”-Flaggen mögen in jedem dritten Vorgarten wehen, viele Hautfarben gibt es trotzdem nicht, nur sechs Prozent der Menschen in Portland sind schwarz.

Trotzdem sind sie es, die am häufigsten durch Waffengewalt sterben. Seit 2019 steigt die Anzahl der Schießereien in Portland exponentiell. In den ersten sechs Monaten 2022 gab es 673 Schießereien. In einer Stadt kaum größer als Dortmund. Morde gehören hier genauso zur Normalität wie die vielen zauberhaften bunten Holzhäuser mit ihrem Hippie-Schmuck und ihren breiten Veranden, Schussverletzungen genauso wie die Livemusik in den Kneipen, obdachlose Crystal-Junkies genauso wie die vielen Bäume, Sträucher und Blumen in der Stadt. Portland ist nicht Potsdam und Portland ist kein Paradies für alle. Es ist ganz sicher ein Paradies für all jene, die Aufregendes suchen. New Yorker würden dem ganz sicher widersprechen.