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US-Botschafterin Amy Gutmann: „Putin könnte noch heute den Krieg stoppen“

Die neue US-Botschafterin in Deutschland, Amy Gutmann, im Exklusiv-Interview – zum Ukraine-Krieg, über Gefahren für die Demokratie und die Beziehung zu Deutschland.

Von Annette Binninger & Nora Miethke
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Die Familie von Amy Gutmann stammt aus der Nähe von Nürnberg. Ihr Vater floh 1934 aus Deutschland wegen der Judenverfolgung. Gutmann wurde 1949 in New York geboren. Zuletzt war sie Präsidentin der Princeton University in Pennsylvania.
Die Familie von Amy Gutmann stammt aus der Nähe von Nürnberg. Ihr Vater floh 1934 aus Deutschland wegen der Judenverfolgung. Gutmann wurde 1949 in New York geboren. Zuletzt war sie Präsidentin der Princeton University in Pennsylvania. © Jürgen Lösel

Frau Gutmann, was bedeutet es Ihnen, Botschafterin in Deutschland zu sein – in dem Land, aus dem ihr Vater 1934 fliehen musste, weil er Jude war.

Seine Erfahrungen haben mein Leben und meine Ansichten tief geprägt. Mir war stets bewusst, dass man Demokratie nicht als selbstverständlich betrachten darf. Mein Vater hat mir nicht viel über die dramatischen Phasen seines Lebens erzählt, aber doch genügend, um zu wissen, wie wichtig es ist, gegen jede Tyrannei aufzustehen und dagegen anzukämpfen.

Denken Sie manchmal darüber nach, was Ihr Vater dazu sagen würde, dass Sie in sein Geburtsland als US-Botschafterin zurückgekehrt sind?

Es bedeutet mir sehr viel – sowohl persönlich als auch beruflich – als US-Botschafterin zurückzukommen in ein jetzt vereintes, demokratisches Deutschland, aus dem mein Vater damals fliehen musste, weil es eine Diktatur geworden war. Meine Aufgabe ist es, zu zeigen, dass Deutschland und die USA mehr verbunden sind, als jemals zuvor. Wir zusammen müssen jetzt der Ukraine helfen, die Demokratie zu verteidigen.

Mein Vater kam aus einer sehr traditionellen Familie, aus der Nähe von Nürnberg. Er hatte nur ein Kind, eine Tochter. Er setzte sehr stark auf Bildung und Ausbildung und ermutigte mich, dass ich alles erreichen könne, was ich mir vornehme. Ich war 16 Jahre alt, als er starb. Aber ich bin sicher, er wäre begeistert und sehr stolz, dass ich heute Botschafterin der USA bin.

Was sind Ihre wichtigsten Ziele als US-Botschafterin in Deutschland?

Ich habe mir drei Ziele gesetzt. Erstens: die Stärkung der Allianz zwischen Deutschland und den USA. Als ich im Februar meine Amtsgeschäfte aufgenommen habe, hat kurz darauf Putin die Ukraine angegriffen. Das ist eine Herausforderung für uns alle. Darum ist mein zweites Ziel: Wir müssen stärker zusammenhalten gegen jegliche Bedrohung der Demokratie. Putin bedroht nicht nur ganz direkt die Ukraine, sondern indirekt auch uns alle. Dazu braucht Deutschland eine stärkere, moderne militärische Ausrüstung und ein starkes Band zur Nato. Auch die Beendigung von Nordstream II war wichtig, denn das war kein guter Deal.

Und als drittes Ziel: Wir müssen gemeinsam innovativer und kreativer werden. Wir müssen unseren Wohlstand stärker mit allen Menschen auf der Welt teilen. Der Kampf gegen das Corona-Virus ist nur ein Beispiel dafür, dass ein Land allein es nicht schaffen kann. Der wichtigste Impfstoff war ein Gemeinschaftsprodukt von Pfizer und Biontech. China hat diesen bewährten Impfstoff nicht genutzt. Und schauen Sie sich an, was dort jetzt gerade passiert, wie grausam die Rechte der chinesischen Bevölkerung dort mit Füßen getreten werden.

Sie kommen in sehr schwierigen Zeiten nach Deutschland. Der russische Angriff auf die Ukraine, die Energie-Krise und die manchmal, so scheint es, fast schon vergessene Klima-Krise – was ist für Sie persönlich gerade das drängendste Problem?

Wir können es uns nicht leisten, uns nur auf eines dieser Probleme zu fokussieren, denn sie sind alle miteinander verbunden. Putin könnte noch heute den Krieg stoppen und er wäre vorüber. Der Krieg hat eine Energie-Krise ausgelöst. Aber wir hatten aufgrund der Klima-Krise auch bereits einen erheblichen Veränderungsdruck in unserer Energie-Politik. Wir brauchen eine große Innovationsoffensive zum Ausbau grüner Energie. Das wird uns helfen, zusammen die Energie- und Klima-Krise zu lösen, unsere Gesellschaft widerstandsfähiger zu machen und mehr Jobs zu schaffen.

© Jürgen Lösel

Was erwarten Sie, wie es in der Ukraine weitergeht?

Ich kann gar nicht genug meine Bewunderung zum Ausdruck bringen für unsere ukrainischen Brüder und Schwester – für ihren Mut, ihren Zusammenhalt und ihr Durchhaltevermögen in diesem Krieg. Das wird maßgeblich auch das Ende dieses Krieges beeinflussen. Wir werden an ihrer Seite sein und unterstützen, solange es notwendig sein wird. Und Deutschland hat dies auch zugesagt. Wir haben derzeit keinerlei Anzeichen dafür, dass Putin bereit wäre zu verhandeln. Aber wenn er es ist, bin ich sicher, dass die Ukraine dazu auch bereit sein wird. Sie wird bestimmen, wann sie ihre volle staatliche Integrität und Souveränität zurückerhalten hat. Aber Putin steht dem im Wege.

Wurde ausreichend verhandelt mit Putin, um diesen Krieg zu verhindern?

Wenn Putin Frieden durch Verhandlungen wollen würde, dann könnte der Krieg sehr schnell zu Ende sein. Aber Putin hat sich entschieden, diesen grausamen Angriff auf die Ukraine zu beginnen. Er dachte, er würde uns damit auseinandertreiben, aber stattdessen ist unser Band stärker denn je. Es ist eine eindeutige Falschinformation, dass es an mangelnden Verhandlungen gelegen habe, dass dieser Krieg ausgebrochen ist. Es gab immer und viele Gelegenheiten sich zusammenzusetzen – und die gibt es auch jetzt. Doch Putin hat bisher immer wieder klargemacht, dass er die Ukraine zerstören, dass er sie als Staat vernichten will. Aber das werden wir verhindern, da bin ich sicher.

Wenn der Krieg noch lange dauert, könnte die Unterstützung bei manchen europäischen Ländern schwinden, zumal wenn sich die Energie-Krise stärker auswirken sollte.

Die Unterstützung ist enorm, bei all unseren Verbündeten hier in Europa. Selbstverständlich sind damit auch große Opfer verbunden beispielsweise die hohen Energiepreise in Europa. Und wir versuchen, diese Opfer so weit wie möglich zu verringern. Wir unterstützen Deutschland dabei, in Energiefragen völlig unabhängig von Russland zu werden. Aber wahr ist doch auch: Niemand bringt so große Opfer wie die Menschen in der Ukraine. Wir tun alles, um sie zu unterstützen, aber nichts, um diesen Krieg weiter eskalieren zu lassen. Wir wollen nur helfen, diesen Krieg zu beenden. Denn letztlich geht es dabei auch um den Schutz unserer Bevölkerung. Aber das einzig akzeptable Ende dieses Krieges ist für uns, dass die Ukraine gewinnt.

Der deutschen Bundesregierung wurde in den vergangenen Monaten immer wieder vorgeworfen, zu langsam zu handeln, zu spät die Entscheidung getroffen zu haben, auch schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Sehen Sie das auch so?

Als ich im Februar ins Amt gekommen bin, hat die deutsche Regierung gerade angekündigt, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato zu erfüllen. Das war am 27. Februar – nur drei Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Das war die eigentliche „Zeitenwende“. Und die deutsche Reaktion darauf war klar und mutig. Denn es ist nicht so einfach, das zu schaffen, wenn das Militär zu diesem Zeitpunkt nicht auf dem modernsten Stand ist. Es ist hart, aber es vollzieht sich gerade ein großer Wandel in Deutschland. Und es gibt keinen Weg zurück mehr.

Dieser Schritt wird weitreichende Folgen haben. Ich glaube, dass die aktuelle Entwicklung auch den Ausbau der grünen Energie in Deutschland, ganz Europa und auch in den USA beschleunigen wird. Zudem sehen wir – und das begrüßen wir ausdrücklich - dass Deutschland in Europa mehr und mehr eine Führungsrolle übernimmt.

Sie haben bei Ihrem Antrittsbesuch in Sachsen auch Ministerpräsident Michael Kretschmer getroffen, der in der Russland-Frage häufig andere Ansichten hat.

Er ist auch der Meinung, dass die Einigkeit der USA mit allen Verbündeten stark und stabil ist. Auch er ist an einem Weg interessiert, schnellstmöglich diesen Krieg zu beenden – unter Berücksichtigung der Interessen der Ukraine.

Die Verbundenheit mit Russland und eine Skepsis gegenüber den USA – das ist immer noch in Ostdeutschland spürbar. Vor ein paar Tagen wurde in Leipzig bei einer Demonstration „Ami go home“ skandiert. Wie wollen Sie die Verbindungen zwischen beiden Ländern verbessern?

Wir müssen uns gegenseitig besser kennenlernen. Wir brauchen so viele persönliche Beziehungen wie möglich. Ministerpräsident Kretschmer war zum Beispiel sehr interessiert an unserem Austauschprogramm für Lehrer und Lehrerinnen. Darum geht es. Ich bin so herzlich in Deutschland begrüßt und aufgenommen worden, trotzdem weiß ich, dass es überall auf der Welt anti-amerikanische Stimmungen gibt. Aber dominieren sie? Nein, absolut nicht. Die Mehrheit der Deutschen denkt anders und weiß, dass ihr Land und die USA heute wesentlich stärker verbunden sind als noch vor einem Jahr.