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Post vom Pazifik: Brennende Freude

SZ-Reporterin Franziska Klemenz reist für drei Monate in die USA. Was ist anders? Was gleich? Der erste Eindruck: Es gibt mehr Kälte, Freude und Plastikgabeln.

Von Franziska Klemenz
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SZ-Reporterin Franziska Klemenz ist derzeit für mehrere Monate in den USA.
SZ-Reporterin Franziska Klemenz ist derzeit für mehrere Monate in den USA. © Pexels/Philip Nürnberger / tlrs.me

Schlechte Nachrichten haben Sachsen und die Westküste Amerikas gemein. Es brennt. In Kalifornien haben Flammen dieses Jahr 59.000 Hektar Wald gefressen, die Sächsische Schweiz erinnert nach den Löscharbeiten an die Landschaft des Saturn. Doch Rathmannsdorf ist nicht LA.

Seit zwei Wochen bin ich, sonst Reporterin in Sachsen, in den USA. Erst Washington, jetzt Oregon. Neun Stunden Zeitunterschied. Sechs Flugstunden, nur von der Ost- zur Westküste. Alles ist sehr groß. Manches ist sehr ähnlich. Vieles ist so anders. Erst die Ferne lehrt ja oft, dass man ein Fisch ist, den das Wasser und der Fisch-Schwarm prägen. Wenige Selbst-Zuschreibungen lägen mir ferner als Kartoffel. Seit ich den Atlantik überquert hab, finden ständig Leute „typisch deutsch“, was ich so tue. Keine Pommes, eine Bratkartoffel soll ich sein. Mit Sauerkraut und Currywurst – das kombiniert man hier.

Kneift Zuhause das Gewissen, weil ich doch mal wieder fliege, doch mal Gebratenes mit Glutamat aus Styroporalbträumen kratze, steig ich hier zum Egel für Konsum-Lustigkeit auf. Zur Mahnerin, nervös mit ihren Lidern zuckend, wenn fröhliche Menschen mit ihr lunchen gehen.

Die Antarktis würde Gletscher darüber weinen, wie kalt Amerika sein kann

Mittagessen in Washington, herrliche 35 Grad im Schatten, den US-Flaggen-Scharen gewähren. Wer draußen sitzt, röhrt förmlich: „Ich bin auswärtig!“. Mir ist vor jeder Reise klar, dass ich was Wichtiges vergesse. Darin bin ich zuverlässig. Dass mir mein Schnee-Anzug hier fehlt, hätte ich nicht gedacht. Die Antarktis würde Gletscher weinen, wüsste sie, wie kalt es in Amerika sein kann. Air Condition bräuchte sie.

Der Gehsteig vor der Gelateria ist leer wie Wüsten in Banditenfilmen. Nicht vor, sondern in der Eisdiele, also der Kühltruhe, snacken die Leute Eis. Enger gedrängt als die Sterne der US-Flagge. Ich werfe meinen Gastgebern ein amerikanisches „Hä?!“ entgegen. „Man möchte sein Eis essen und nicht trinken, oder?“, antworten sie. „So europäisch, Eis draußen zu essen.“ Dinner auf dem Balkon im Freien – nur mit mobiler Klimaanlage und einem Gerät, das Mücken grillt. „Wir in Europa akzeptieren die Existenz von Wetter“, sage ich. Sie zucken mit den Schultern. „Wir in Amerika die Existenz von Technik.“

Irgendwo zwischen Udo Lindenbergs erster Cognacbestellung des Tages und klirrendem Stahlbesteck pendelt sich der Hotelfrühstücks-Sound in Deutschland ein. In Amerika schweigt das Besteck. Ein Automat spuckt Plastiklöffel, -gabeln, -messer aus. Einmal benutzt, zack weg. Eigenen Kaffeebecher mitbringen? „So deutsch“. Genauso wie Füße benutzen. „Are you alright?“, fragt ein Pickup-Fahrer. Im Grünen, der Sonne, bei Seen. Geht es euch gut? Tickt ihr noch richtig? „Alles gut, wir gehen nur spazieren“, versichern meine Kollegin und ich. Seine Mimik formt ein klares Resümee: „Ihr Freaks“.

Mehr Spaß als Brunnen machen Whirlpools

Das ist alles ganz anders als in Deutschland und lädt zu schnellen Urteilen ein. Stereotypen liegt oft Realität zugrunde. Aber es wär so langweilig, wenn Dinge einfach und einseitig wären. Dass Menschen Fremde, für die sie nicht verantwortlich sind, fragen, ob es ihnen gut geht, ist nämlich genauso „typisch amerikanisch“ wie die Monster-Karren mit den US-Flaggen auf Ladeflächen. Von vielleicht 200 Menschen, mit denen ich zu tun hatte, war genau keiner unfreundlich. Nicht mal der Busfahrer. Da, wo ich herkomme, ziehen manche Busfahrer ihre größte Freude daraus, Türen zu verschließen – vor Leuten, die einsteigen wollten.

Während der deutsche Nörgelblues mit seinen Standardwerken „Tach auch“, „muss ja“ und „was fragste mich“ besticht, begrüßen Amerikanerinnen sich mit der Frage „Wie geht’s“ dir, die sie standardmäßig mit „fein“ oder „großartig“ beantworten.

Amerikanische Leichtigkeit und lodernde Wälder

Alles drunter gilt als depressiv. Das kritisieren viele als oberflächlich, aber es ist nicht nur das. Oft genug scheinen Leute hier wirklich offener für neue Menschen und Gespräche zu sein. Stille Wasser mögen tief sein, aber hey: Mehr Spaß als Brunnen machen Whirlpools.

Wer in Washington eine Raucherin vor einer Bar oder eine Passantin anquatscht, wirkt nicht verzweifelt, verrückt oder zwielichtig. Sprechen macht nicht verdächtig. Ich kenne schon jetzt Wochenschicht-Pläne meiner „Trader’s Joe“-Verkäuferinnen, Straßen- und Drogenvorgeschichten vieler Taxifahrer, Lebensträume meiner Gastfamilie – bei der ich heute eingezogen bin.

Das freundliche Alltagsgeschnatter ist ein bisschen wie Fahrstuhlmusik. Nicht zwingend nötig, aber irgendwie angenehm. Ob amerikanische Leichtigkeit und lodernde Wälder langfristig koexistieren sollten, ist eine andere Frage, die hier wahrscheinlich viele „typisch deutsch“ fänden.