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Vergessen, dass Weihnachten ist

Das Betrugsverfahren gegen eine Partnervermittlerin wurde fortgesetzt. Sie soll die Demenz einer 90-jährigen Radebeulerin ausgenutzt haben.

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© Symbolbild/dpa

Von Jürgen Müller

1 600 Euro Strafe soll eine 64-jährige ehemalige Partnervermittlerin zahlen, weil sie die Krankheit einer 90-jährigen Frau aus Radebeul ausgenutzt haben soll. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr Betrug vor. Denn die Kundin war nicht nur schwer dement, sondern stand auch unter Betreuung. Sie war gar nicht mehr in der Lage, selbst Geschäfte abzuschließen. Trotzdem soll sie die Mitarbeiterin einer Partnervermittlung zu einem Vertragsabschluss gedrängt haben.

Als die Tochter der Geschädigten das merkte, sperrte sie sofort das Konto. Doch 340 Euro waren schon abgebucht. Nur weil sie das Konto ihrer Mutter sofort auflöste, konnten weitere Abbuchungen verhindert werden. Die 64-jährige Angeklagte streitet ab, gewusst oder bemerkt zu haben, dass die 90 Jahre alte Frau dement ist. Gegen den Strafbefehl hat sie deshalb Einspruch eingelegt. Am Mittwoch wurde nun weiterverhandelt.

Diesmal wird die Enkelin der Geschädigten gehört. Die 33-jährige Lehrerin schildert sehr detailreich den Zustand ihrer Großmutter. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 2013 sei es mit ihr seelisch rasant bergab gegangen. Ihr Langzeitgedächtnis habe noch funktioniert, das Kurzzeitgedächtnis sei jedoch völlig weg gewesen. Die Demenz sei stark fortgeschritten, sie habe keinen Lebensmut mehr gehabt.

Einmal nach einem Besuch ihrer Großmutter habe diese sie auf dem Bahnsteig angerufen. Wann sie sie denn wieder mal besuche, sie sei ja schon Monate nicht da gewesen, hatte die alte Frau ihrer Enkelin gesagt. Die Enkelin bezweifelt, dass die alte Frau ihre Personalien angeben konnte für den Partnervermittlungsvertrag. Ihren Namen habe sie ja noch gewusst, beim Geburtsdatum aber ginge es schon los.

Auch Postleitzahl oder Hausnummer habe sie nicht mehr gewusst. Oft habe sie vergessen zu essen oder zu trinken. Als die Enkelin sie zu Weihnachten 2013 abholen wollte, saß sie in der Volkssolidarität. Sie hatte vergessen, dass sie eingeladen ist, wusste auch nicht, das Weihnachten ist. „Ich habe ja noch gar keine Geschenke“, soll sie gesagt haben. Die Oma habe oft verschmutzte Sachen angezogen, auch mit der Körperpflege war es nicht weit her.

Zweimal am Tag kam ein Pflegedienst. Sie habe nicht gewusst, welcher Wochentag ist, über Geld und ihr Konto hatte sie keinen Überblick. „Das macht meine Tochter“, habe sie immer gesagt. Die Enkelin bezweifelt, dass mit ihr eine längere, normale Kommunikation möglich war. Sie habe nur auf Ja-Nein-Fragen und auf Suggestivfragen antworten können. Die Partnervermittlerin hatte angegeben, mit der Frau ein etwa eineinhalbstündiges Gespräch geführt zu haben. Dabei habe sie mit ihr ganz normal reden können.

Wenn es stimmt, was die Mitarbeiterin eines Call-Centers sagt, dann hätte die 90-Jährige aus Interesse auf eine ganz bestimmte Anzeige hin anrufen müssen. Sie hätte dann mit der Mitarbeiterin des Call-Centers am Telefon ein Partnerprofil erstellen müssen. Danach sei ein Termin vereinbart worden. Nach all dem, was Tochter und Enkelin der Geschädigten aussagten, war das unmöglich. Die alte Frau konnte sich ohnehin an nichts mehr erinnern. Nach dem Besuch der Partnervermittlerin hatte sie gegenüber ihrer Tochter gesagt, es sei niemand da gewesen, sie habe niemanden ins Haus gelassen und habe nichts unterschrieben. Zu einem Urteil kommt es aber auch am zweiten Verhandlungstag nicht. Der Verteidiger hat vier neue Beweisanträge gestellt. Auch eine Zeugin soll noch gehört werden.