Von Gunnar Klehm
Rosenthal. Der Anblick ist gewöhnungsbedürftig. Auch Pfarrer Jörg Humboldt sieht man an, dass er das riesige Kruzifix in seiner Kirche in Rosenthal lieber heute als morgen von seiner Umhüllung befreien würde. Doch es dauert noch einige Zeit, bis das passiert. Die Leidenszeit ist noch nicht beendet. Noch mindestens drei Wochen wird in der Kirche gebaut. Und selbst wenn am 23. Oktober wieder ein Gottesdienst zur Kirchweihe vorm Altar abgehalten wird, ist nur der erste Bauabschnitt beendet. Danach wartet noch ein geradezu mystisches Problem auf die Bauexperten. Seit Mai dieses Jahres wird an der Kirche gearbeitet. Das ist wegen der Baugerüste außen für jedermann gut sichtbar. Die besondere Situation ist aber auch gut hörbar, und zwar nicht wegen der Baugeräusche. Weil die Sandsteingewände der Glockenstube teilweise erneuert wurden, mussten auch die Fensterläden raus. Nun steht der Glockenturm größtenteils offen. Geläutet wird dennoch jeden Tag mindestens zweimal – um 12 und um 18 Uhr. Der offene Turm bewirkt, dass die Glocken nun weiter zu hören sind als sonst. Das haben dem Pfarrer einige Einwohner bestätigt.
Die meisten Reaktionen bekam er jedoch, als das Zifferblatt der Kirchturmuhr ausgebaut wurde. Auch an dessen Einfassung waren Reparaturarbeiten nötig. „Da haben viele erst gemerkt, wie selbstverständlich sie immer an die Kirchturmuhr geguckt haben“, sagt Pfarrer Humboldt. Das Zifferblatt ist zwar seit wenigen Tagen wieder dran, aber die Uhr steht beständig auf 12 Uhr. Daran wird sich so schnell auch nichts ändern, weil das Uhrwerk komplett ausgebaut ist. „Das haben wird eingelagert, damit es während der Bauarbeiten und der Staubbelastung keinen Schaden nimmt“, erklärt der Pfarrer.
Die Sanierung der 1856 erbauten Kirche hatte eine lange Anlaufphase. Gutachten wurden erstellt, Förderanträge ausgefüllt, und es mussten jede Menge Spenden gesammelt werden. Schließlich hatte die ev.-luth. Kirchgemeinde Rosenthal-Langenhennersdorf den Eigenanteil von rund 15 000 Euro für den ersten Bauabschnitt beisammen. Dazu gab es einen Zuschuss von der Landeskirche und aus dem Leader-Förderprogramm. Damit konnten der Turm saniert und der Dachstuhl ertüchtigt werden. „Wir freuen uns sehr, dass es endlich losging“, sagt Ulli Hofmann. Der Elektriker gehört zum Kirchenvorstand und legt jetzt auch selbst mit Hand an. Er ist nicht der Einzige. Auch den Farbanstrich im Inneren der Kirche haben Gemeindemitglieder in Eigenleistung erbracht. „In Abstimmung mit dem Denkmalschutz“, versichert der Pfarrer. Fördermittel gäbe es auch nur für die Außenhaut, nicht für die Verschönerung im Inneren.
Vor Baubeginn wurde ein Gutachten erstellt, ob die Schäden am Turm mit den schweren Stahlglocken in Verbindung stehen. Die ursprünglichen Bronze-Glocken aus der Bauzeit der Kirche waren während des Zweiten Weltkriegs eingeschmolzen worden, in den 1950er-Jahren kamen als Ersatz Stahlglocken in den Turm. „Das Gutachten hat aber eine direkte Wirkung ausgeschlossen. Es handelte sich also um normale Alterserscheinungen“, sagt Pfarrer Humboldt. Die Reparaturstellen sind kaum zu erkennen, weil der neu eingebaute Sandstein und die Fugen künstlich nachgealtert wurden.
Trotz aller Vorfreude auf die sanierte Kirche bleibt eine Baustelle offen, und zwar im wahrsten Sinne. Es ist der Riss in der Giebelwand. „Je nach Wetterlage ist er mehr oder weniger offen“, erzählt der Pfarrer. Die Ursache ist ungeklärt. Weder ein Baugrundgutachten noch einwöchige Untersuchungen eines Bau-Professors und seiner Studenten konnten Licht in die Sache bringen. Der Riss verläuft direkt hinter dem Kruzifix. Christus hält quasi die auseinanderstrebende irdische Welt zusammen. Schon mehrfach wurde der Riss verfüllt, tat sich aber immer wieder auf. Die Kirchgemeinde hatte schon überlegt, die Wand und damit den Riss zu verkleiden. Da spielte der Denkmalschutz aber nicht mit. Ganz Verwegene hatten sogar die theologische Überlegung, das Bauproblem einfach zu akzeptieren, es als Riss in der Welt zu betrachten, durch den Christus hereintritt. „Da könnte man gut zu predigen“, überlegt Pfarrer Humboldt.