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Das wilde Weib der Semperoper

Sängerin Iris Vermillion begeistert seit 30 Jahren in Dresden und sorgte für eine der wenigen Auszeichnungen für die Oper. Zurzeit ist sie dort das Monster vom Dienst.

Von Bernd Klempnow
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Das ist doch kein brauchbarer Mann.“ Iris Vermillion als sexkranke Mescalina – hier mit Frode Olsen – in „Le Grand Macabre“.
Das ist doch kein brauchbarer Mann.“ Iris Vermillion als sexkranke Mescalina – hier mit Frode Olsen – in „Le Grand Macabre“. © Ludwig Olah

Eigentlich gibt es keinen Grund, die jüngste Neuproduktion der Semperoper, György Ligetis „Le Grand Macabre“, zu besuchen. Das Stück ist eine Groteske, grell, ordinär, wüst, bösartig, geschmacklos – nicht nur die Texte. Der Komponist und Librettist spricht selbst von einer Anti-Anti-Oper. „Diese Musik ist gegen das Publikum geschrieben, einfach, um dagegen zu sein“, sagt „Macabre“-Dirigent Omer Meir Wellber. „Deshalb sitzt das Publikum direkt mit vorgehaltener Waffe im Saal.“ Oder es geht zwischendurch oder erst gar nicht hinein.

Und doch lohnt der Abend, dessen Karten preiswert sind. Denn alle Musiker, alle Sänger – vom Solisten bis zum Chor – werfen sich ins Zeug. Vor allem eine Künstlerin spielt und singt die Farce mit vollem Einsatz: Iris Vermillion.

Die Mezzosopranistin agiert als eine Sexkranke, die ihren Mann mit Sado-Maso-Praktiken traktiert, dass man für ihren Bühnenpartner Schlimmes befürchtet. Als sie sich dann einem vermeintlich potenten Liebhaber nähert, tötet dieser sie – zumindest läuft sie ab diesem Moment fast eine Stunde mit einer Strumpfhose über dem Kopf nach vorne gebeugt über die Bühne. Wie kann man so etwas spielen?

Als Hexe in "Hänsel und Gretel".
Als Hexe in "Hänsel und Gretel". © Matthias Creutziger

"Ich hatte anfangs bei den Proben Magenprobleme“, sagt Iris Vermillion. „Doch ich vertraute dem Regisseur und entschied irgendwann, diese Interpretation anzunehmen. Aber ich gebe zu, sie macht demütig.“

Körperlich ist die anstrengende gebeugte Haltung für die 59-Jährige kein Problem. Sie ist als aktive Jägerin und Naturschützerin fit und agil. Das hat sie schon bei vielen Inszenierungen im Haus bewiesen. Und doch: Nur weil die Semperoper angefragt hatte, hat sie die Partie der Sexkranken überhaupt angenommen. „Dresden ist etwas Besonderes. Dafür nehme ich eigentlich zweifelhafte Dinge in Kauf.“ Die gebürtige Bielefelderin, die an vielen großen Häusern Europas arbeitet, ist mit der Stadt und ihrer schönen Umgebung seit 1987 vertraut. Damals war sie zu einer Aufnahme von „Hoffmanns Erzählungen“ da. Die Aufnahme fand statt, doch erschienen ist die Platte nie. Dafür wurde Vermillion ab 1990 regelmäßig von der Semperoper gebucht. Große Partien ihres Fachs hat sie hier prägend gestaltet: Brangäne, Fricka, Octavian, Prinz Orlofsky...

Wie für einen Mezzosopran üblich, hat sie oft negative und brüchige Figuren zu gestalten. Zum Publikumsliebling wird man damit selten. Aber auch das schaffte die Künstlerin. Beispielsweise entwickelte sie mit Regisseurin Katharina Thalbach eine der verrücktesten und wandlungsfähigsten „Hänsel und Gretel“-Hexen. Zunächst tritt sie als Vamp und Rasseweib auf, doch sobald sie die Kinder gefangen hat, zeigt die Hexe ihr wahres Ich: Wie von Zauberhand – in Wirklichkeit per Reißleine – wird aus einem kleinen Rucksack auf dem Rücken der Sängerin ein Buckel, aus dem zudem noch ein schäbiges Kleid quillt. Die Perücke fliegt runter. Rosina Leckermaul trägt Glatze und Hornbrille.

Als blutberauschte Penthesilea
Als blutberauschte Penthesilea © Matthias Creutziger

Ein weiteres Monster, auf das Dresden stolz sein kann, gebar sie 2008. Damals kam Jahrzehnte nach der Uraufführung am Haus die Oper „Penthesilea“ erneut heraus. Eine Musik- und Blutorgie wurde inszeniert, ein Schlachtfeld der Geschlechter. Ihre Penthesilea wurde zur Rasenden, die den Geliebten zerfleischte. Grandios setzte sie ihren Stimmumfang von drei Oktaven ein. Mit baritonalen Alttönen bis zu ekstatischen Sopran-Höhen bannte sie das Publikum. Die Kritiker der Sächsischen Zeitung kürten sie zur Sängerin des Jahres. Auch der Deutsche Theaterpreis „Faust“ ging an sie und somit Dresdens „Penthesilea“. Damit erhielt das Haus, das oft von überregionalen Kritikern als Touristenoper belächelt wird, mal eine Ehrung für seine Kunst.

Kein Wunder, wenn Freunde großen Gesanges und intensiven Spiels jetzt bei „Le Grand Macabre“ auf eine Sternstunde gehofft hatten. Und Iris Vermillion liefert eine solche als gefährliche wie gefährdete Frau. „Es ist eine Lust, Extreme auszuloten. Ich liebe diese wilden Weiber.“

Nur noch wenige Produktionen und Konzerte nimmt sie an. Sie unterrichtet lieber „streng, aber nicht gemein“. Immerhin: 2021 wird sie an der New Yorker Met als schändliche Herodias debütieren.

Womit könnte sie Dresden noch einmal locken? „Nach so vielen Traumstunden würde ich zum anstehenden 30-jährigen Semper-Bühnenjubiläum gern noch einmal die ,Hänsel’-Hexe singen. Hexen sind etwas Wunderbares: wissende und starke Frauen – oft verunglimpft, aber das ist eine andere Geschichte.“

„Le Grand Macabre“ am 13., 26. und 28. November, Semperoper; Kartentel. 0351 4911705